Die Chemtrail-Verschwörung: Zwischen Fakten und Fiktion

Von Therealstories

Es ist wohl eine der weit verbreitetsten Thesen aus dem Bereich der Verschwörungstheorien und wie so häufig werden in der Diskussion darüber regelmäßig gerne Fakten und reine Vermutungen wie selbstverständlich durcheinander geworfen. Nein, diesmal handelt es sich nicht um krude Atombombentheorien zum 11. September 2001, verquere Rechtsauslegungen von Ewiggestrigen oder angeblich geplante “Megarituale“, sondern um die Chemtrail-Verschwörung. Und wieder werden wohl einige meiner Leser den Kopf schütteln und sich über den Artikel wundern. Aber der Reihe nach…

Zugegebenermaßen: In der Anfangszeit – wenn man beginnt, sich mit alternativen Themen auseinanderzusetzen – kommt man an diesem Thema kaum vorbei. Auch ich muss zugestehen, zu Beginn an diese Theorie geglaubt zu haben. “Glaube” ist hier jedoch genau das richtige Stichwort, denn nachprüfbare Beweise habe ich bis heute nicht gesehen.

Nun werden Sie vielleicht – so wie ich damals – zu denjenigen gehören, die sagen: “Aber ich weiß doch, was ich da am Himmel sehe. Das ist sich doch völlig eindeutig.” Doch ist es das wirklich? Lassen Sie uns wissenschaftlich an die Thematik herangehen und überprüfen, ob die Faktenlage tatsächlich so eindeutig ist. Wie so häufig gibt es auch hier mehrere Erklärungsmöglichkeiten, die unterschiedlich schlüssig und wahrscheinlich sind.
Ziel ist es nicht, hier eine abschließende Erklärung zu liefern. Dies ist schlicht nicht möglich. Gleichwohl kann man versuchen, die (nach aktueller Faktenlage) wahrscheinlichere Theorie herauszukristallisieren.

Zu Beginn sollte eine einheitliche Definition gefunden werden. Unter Chemtrails sind Kondensstreifen zu verstehen, die neben kondensierten Flugzeugabgasen noch weitere Chemikalien enthalten sollen, um Geoengineering oder Bevölkerungsreduktion zu betreiben. Diese werden laut der Theorie massenhaft durch Passagierflugzeuge oder groß angelegte Militäreinsätze ausgebracht.

Wie begründet sich der Vorwurf, dass nachweisbare Fakten und reine Vermutungen wie selbstverständlich durcheinander geworfen werden? Dazu muss zunächst die wirkliche Faktenlage von den weit darüber hinaus gehenden Spekulationen abgrenzt werden:

Häufig wird die Existenz von Chemtrails mit der von Düppeln begründet oder verwechselt. Düppel sind jedoch keineswegs Chemtrails, sondern lediglich ein militärisches Täuschungsmittel zur Störung von Radargeräten. Dabei werden eben keine chemischen Substanzen ausgebracht, um Menschen gezielt zu vergiften. Vielmehr werden hauchdünne, metallbedampfte Kunstfasern oder leitfähige Kohlefasern ausgebracht, die jedoch nicht von Menschen eingeatmet werden können und allein zu taktischen Zwecken dienen.
Auch Wettermanipulation durch die Ausbringung von beispielsweise Silberiodid wie bei den olympischen Spielen 2008 in China oder seinerzeit während des Vietnamkrieges stellt kein Geheimnis dar. Doch auch diese Technik hat mit Chemtrailsprühungen nichts zu tun, da diese durch spezielle Militärflugzeuge, zeitlich begrenzt und mit unverhältnismäßig großem Aufwand stattgefunden haben. Des weiteren waren sie darüber hinaus offensichtlich nicht zu verheimlichen. Wie dies alles bei einer massenhaften Versprühung durch Passagierflugzeuge der Fall sein soll, ist bislang nicht nachvollziehbar.
Auch lässt sich wohl nicht bestreiten, dass es sicherlich vereinzelte Militärübungen gibt, die entweder das Testen neuer Techniken oder auch Versuche der Wetterbeeinflussung zum Ziel haben. Für massenhafte Versuche dieser Art gibt es allerdings derzeit keine Hinweise.

Aber was führt denn nun zu dem Phänomen, welches viele als Chemtrails bezeichnen? Der Meteorologe Donald Bäcker erklärte in seiner Sendung vom 8. April 2010, was aus seiner Sicht dazu führt, dass sich manche Kondensstreifen länger halten als andere.

Einige Reaktionen auf diesen Bericht – er habe ja absolut keine Ahnung auf diesem Gebiet oder werde doch für diese gezielte Falschinformation bezahlt – sind eher eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand als eine akzeptable Auseinandersetzung. Allerdings wirft es ein bezeichnendes Licht auf zumindest einige der Chemtrail-Anhänger.

Die Frage, die sich hier unweigerlich stellt, ist die nach der Kompetenz der einzelnen Personen, die ihre Meinung zum vorliegenden Thema äußern.
Denn eine Behauptung immer wieder ungeprüft zu wiederholen, macht die Angelegenheit jedenfalls nicht wahrer. Und Aussagen von Experten sowie direkt Beteiligten halte ich für wesentlich glaubwürdiger als diejenigen von Menschen, welche von der Materie keinerlei Fachwissen vorweisen können, sondern ihr gesamtes Wissen aus pseudowissenschaftlichen Internetseiten sammeln.

Einen fachmännischen Blick auf das Thema erfährt man durch das Interview mit einem erfahrenen Piloten von Aviatik zum Thema Chemtrails. Nicht nur erklärt er darin, wie die Entstehung von Kondensstreifen von Statten geht und durch was sie konkret beeinflusst wird. Auch geht er dabei auf die technischen Voraussetzungen für eine massenhafte Versprühung durch Passagierflugzeuge ein. Besonders interessant sind dabei seine Schilderungen zu den realen Begebenheiten und Abläufen seiner Tätigkeit. Dadurch wird deutlich, wie schwer es tatsächlich wäre, eine derartige Verschwörung geheim zu halten.

Natürlich stellen die Interviewaussagen des Flugkapitäns nur dessen persönliche, subjektive Sichtweise dar, die sich aus seinen Erfahrungen und Erlebnissen zusammensetzt. Deshalb sollte folgender Expertenmeinung aus meiner Sicht umso mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, da diese aus einem neutralen Blickwinkel erfolgt.

In einem Interview mit Dr. Wolfgang Thüne, einem sehr bekannten deutschen Meteorologen, erklärt dieser, wie Kondensstreifen entstehen und wie es zur (falschen) Annahme kommen kann, es handele sich dabei um Chemtrails:

Sie entstehen, wenn die Lufttemperatur -40 Grad Celsius unterschreitet. Dies ist erst in Höhen oberhalb von etwa 8 km der Fall. Doch noch eine Bedingung muss erfüllt sein: Die Luft, in der das Flugzeug fliegt, muss nahezu gesättigt sein, also eine relative Luftfeuchtigkeit von praktisch 100% haben.

Kondensstreifen sind künstlich erzeugte Cirruswolken und unterliegen den atmosphärischen Strömungsverhältnissen. Diese bestimmen die Lebensdauer der Kondensstreifen, aber auch ihr Aussehen. Sie nehmen bisweilen bizarre Formen an, weil sie sich durch Seiten- und Scherwinde unterschiedlich ausbreiten und verformen und beim flüchtigen Beobachter den Eindruck erwecken, hier gehe es nicht mit rechten Dingen zu, werde flächenhaft gesprüht.

Es existieren also zwei Erklärungsmöglichkeiten nebeneinander und es ist somit völlig Fehl am Platz, wenn Vertreter der Chemtrail-Theorie die Gegenmeinung allein deshalb diskreditieren, nur weil sie selbst ihre eigene Erklärungsmöglichkeit für schlüssiger halten. Eine solche Einstellung hat mit einer differenzierten und kritischen Herangehensweise nicht im Entferntesten etwas zu tun. Entscheidend sein sollten Fakten, nicht Fiktionen.

Wie sind aber die angeblichen “Beweise”, die bisher vorliegen, zu werten?

Alle Bilder und Videos, die von angeblichen Chemtrails gemacht wurden, haben eines gemeinsam: Sie können in keinster Weise nachweisen, aus welchen Substanzen sich die Kondensstreifen zusammensetzen. Das einzig Entscheidende – den Inhalt – können sie also nicht belegen und sind demnach als Beweise völlig untauglich.
Die angeblich gezielt erzeugten Rastermuster am Himmel sind schlicht auf festgelegte Flugrouten und die Erdrotation zurückzuführen. Dadurch werden Kondensstreifen, die eigentlich auf der selben Route entstehen, durch die Drehung der Erde abgelenkt und erscheinen somit in Rasterformation.
Was ist mit Wasserproben, die erhöhte Werte aufzeigen? Nun, es gilt in erster Linie zu belegen, auf welchen Grund sie zurückzuführen sind. Dass erhöhte Bariumwerte nicht zwangsläufig von Chemtrails, sondern auch von Müllverbrennungsanlagen stammen können, wird von den Anhängern der Theorie gar nicht erst thematisiert. Dabei kann es für erhöhte Werte in Wasserproben zahllose Gründe geben, die auch nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich sein können. Aber dafür eine einzige Ursache, die bislang nicht einmal belegt ist, alleine verantwortlich zu machen, ist viel zu kurz gegriffen.
Ebenso werden gerne Patente angeführt, die für die Chemtrailversprühung hilfreich wären. Auch hierzu gilt etwas Grundsätzliches: Alleine die Tatsache, dass eine Technik als Patent angemeldet wurde, beweist weder, dass diese Technik tatsächlich funktioniert, noch dass diese real eingesetzt wird. Und schon gar nicht ist es ein Beleg dafür, dass sie für exakt den Zweck verwendet wird, den man sich ausmalt.
Zu guter Letzt werden Aussagen von Politikern und Regierungen herangezogen. Die Feststellung, dass das Thema diskutiert wird, oder auch die Forderung von Politikern nach der Einsetzung dieser Technik wird dabei gerne in eine Bestätigung der Theorie umgedeutet, dass Chemtrailsprühungen schon längst massenhaft durchgeführt werden. Dem ist – was bei genauerer Betrachtung der Aussagen klar wird – jedoch nicht der Fall.

Was fehlt an Beweisen, um die Chemtrail-Theorie glaubhaft zu belegen?

Bis heute unbewiesen ist der Kausalzusammenhang zwischen den angeblich gezielt ausgebrachten Kondensstreifen am Himmel und den erhöhten Werten in Wasserproben. Wer eine derartige Theorie aufstellt, sollte zwingend auch diesen Kausalzusammenhang belegen können. Denn ohne diesen elementaren Beweis ist die gesamte Theorie wertlos.
Auch zwingend erforderlich wären nachprüfbare Fakten. Referenten wie Werner Altnickel liefern eine Menge Spekulationen. Doch Fakten, die jedermann nachprüfen und falsifizieren kann, werden keine vorgetragen.
Ein unumstößlicher Beweis wären ebenfalls Proben von Flugzeugabgasen, die direkt beim Ausstoß genommen und von unabhängigen Laboren untersucht werden.
Letztlich mangelt es bei der gesamten Theorie an eindeutigen und nicht anders auslegbare Hinweisen. Ohne diese bleibt eine Theorie daher lediglich genau das – eine reine Theorie.

Fazit:
Auch wenn eine Theorie noch so schlüssig klingt und viele Menschen diese teilen, so sagt dies noch lange nichts über ihren Wahrheitsgehalt aus. Vielmehr sollte man selbst in der Lage sein, von Zeit zu Zeit sein aktuelles Weltbild zu überprüfen und die Fakten, auf denen es basiert, kritisch abzuklopfen. Nur dann kann man sich als wahrhaft kritischer Mensch bezeichnen. Dies erfordert leider auch manchmal, lange für wahr gehaltene Theorien über Bord zu werfen und die Lage bei neuem Lichte zu betrachten.

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Anmerkung:
Der Grund, diesen Artikel nun doch endlich fertigzustellen, ist übrigens der bevorstehende Vortrag von Dominik Storr am 23. November in Karlsruhe zum Thema Chemtrails. Für wie seriös Storr gehalten werden darf, hat er im Zuge der “Megaritual 2011 in Berlin”-Story gezeigt. Nicht nur dort hat er sich leider vollkommen unglaubwürdig gemacht, sondern auch mit seiner Sauberer-Himmel-Aktion. Man sehe sich nur den Artikel “Ist “Sandy” ein “Meisterwerk” des Geo-Engineering?” an, der außer reinen Spekulationen nur sehr wenig zu bieten hat. Schade, denn als Rechtsanwalt sollte er eigentlich besser wissen, wie man seriös arbeitet…