Für den meistgesuchten (und nun kürzlich gefundenen) Drogenboss der Welt gibt es Fürsprache von vielen Mexikanern. Sie fordern seine Freilassung. Ähnliches gibt es auch in Deutschland. Beides ist Anzeichen für den Verfall des staatlichen Gemeinwesens.
»Spiegel Online« sah sich kürzlich dazu berufen, die Proteste zur Freilassung des habhaft gewordenen Bosses des Sinaloa-Drogenkartells - ein Mann namens Joaquín Guzmán, auch »El Chapo« genannt - zu erklären. Dazu spannte man einen Bogen bis zu Pablo Escobar, den legendären Drogenhändler, und erläuterte, dass diese Gangster und Massenmörder auch Wohltäter für die Menschen gewesen seien. Wahrscheinlich hielt man in der Redaktion des »Spiegel« diese Proteste für Kriminelle für so spektakulär, dass man sie deshalb seiner Leserschaft erklären wollte. Dabei hat schon Eric Hobsbawn 1969 auf »Räuber als Sozialrebellen« hingewiesen. In weitaus kleinerem Maßstab (und mit nur scheinbarer sozialen Komponente) gibt es dergleichen auch hierzulande.
Man erinnere sich nur mal an jene Mitglieder-Versammlung des FC Bayern München im letzten November. Die geriet zu einer Kundgebung für einen, der jahrelang seine Gelder in die Schweiz transferierte, um sich so vor der Steuer drücken zu können. Was waren denn der Beifall und die Statements der Mitglieder anderes, als eine Demonstration der Solidarität mit einem, den sie in erster Linie als einen Wohltäter ansehen? Einen wie ihn sollte man nicht bestrafen, hörte man da, denn er schaffe ja Arbeitsplätze und habe den sportlichen Erfolg nach Bayern geholt, spendete überdies immer wieder hohe Summen an gemeinnützige und karitative Projekte – und ließ mancher Veranstaltung Rostbratwürste frei Haus zukommen.
Hoeneß ist freilich kein »Chapo« - aber das Prinzip ist eindeutig dasselbe. Man blendet die kriminellen Handlungen aus, betont die Wohltäterschaft und glaubt damit reingewaschen zu haben. Das ist wohl so eine Art moderner Ablasshandel in Zeiten moralischer Orientierungslosigkeit. Einer, der die tiefe Sehnsucht nach Kümmerern befriedigt, weil sich staatliche Gemeinwesen immer mehr zurückziehen und ihre Bürger auf sich alleine gestellt lassen. In Mexiko, wo sie »El Chapo« anbeten oder in Kolumbien, wo Escobar ein beliebter Mann gewesen ist, da waren die Staatswesen nie besonders ausgeprägt. In Deutschland sieht man an den Reaktionen, die diese Gönnerschurken moralisch freisprechen, dass ein solcher Verfall auch hier voranschreitet.
Es zeichnet sich die Renaissance des Paternalismus ab, wie er in Schwellenländern immer mehr oder minder üblich war. Die Regierungen sind dort schwach und der Staat übernimmt keinerlei Garantien für die Fallstricke des Lebens. Wer keinen Gönner hat, der Arbeitsplätze verteilt, Aufstiegschancen bietet oder Charity betreibt, der ist verloren. Paternalismus ersetzt den Sozial- und Rechtsstaat, installiert eine Parallelgesellschaft und einen Staat im Staate. In diesem System gibt es allerdings keine Rechtsansprüche, sondern im wesentlichen entscheidet die Laune des Padrinos. Er ist Legislative, Judikative und Exekutive in einer Person. Das System beruht auf Gnadenakte, auf die man keinen Anspruch hat. Aber dort, wo es sonst wenig Ordnung gibt, fühlt sich dieses hierarchische Prinzip durchaus wie Ordnung an und hat deshalb Anhänger und Befürworter.
Man könnte es auch kürzer sagen. Überall dort, wo die politische Klasse korrupt ist, Politik gegen die Menschen betreibt, Ausbeutung und Ungerechtigkeit toleriert und sich lediglich für die eigene Karriere ins Zeug legt, da entwerfen sich die Menschen sonderbare Heilige und verwechseln deren willkürliche und teils kriminelle »Herrschaft« mit »weiser Regentschaft«. Das schrieb der erwähnte Hobsbawn damals ganz ähnlich, als er darstellte, dass kriminelle Banden »außerhalb der Reichweite von Gesetz und Autorität« selbst Autorität darstellen. So gesehen hat auch Deutschland seine »Chapos«. Und man muss annehmen, dass in Zeiten des »schlanken Staates« überall »Chapos« verschiedener Ausprägung entstehen werden. Paternalismus ist überall da im Kommen, wo der Staat im Gehen ist.
&button;
»Spiegel Online« sah sich kürzlich dazu berufen, die Proteste zur Freilassung des habhaft gewordenen Bosses des Sinaloa-Drogenkartells - ein Mann namens Joaquín Guzmán, auch »El Chapo« genannt - zu erklären. Dazu spannte man einen Bogen bis zu Pablo Escobar, den legendären Drogenhändler, und erläuterte, dass diese Gangster und Massenmörder auch Wohltäter für die Menschen gewesen seien. Wahrscheinlich hielt man in der Redaktion des »Spiegel« diese Proteste für Kriminelle für so spektakulär, dass man sie deshalb seiner Leserschaft erklären wollte. Dabei hat schon Eric Hobsbawn 1969 auf »Räuber als Sozialrebellen« hingewiesen. In weitaus kleinerem Maßstab (und mit nur scheinbarer sozialen Komponente) gibt es dergleichen auch hierzulande.
Man erinnere sich nur mal an jene Mitglieder-Versammlung des FC Bayern München im letzten November. Die geriet zu einer Kundgebung für einen, der jahrelang seine Gelder in die Schweiz transferierte, um sich so vor der Steuer drücken zu können. Was waren denn der Beifall und die Statements der Mitglieder anderes, als eine Demonstration der Solidarität mit einem, den sie in erster Linie als einen Wohltäter ansehen? Einen wie ihn sollte man nicht bestrafen, hörte man da, denn er schaffe ja Arbeitsplätze und habe den sportlichen Erfolg nach Bayern geholt, spendete überdies immer wieder hohe Summen an gemeinnützige und karitative Projekte – und ließ mancher Veranstaltung Rostbratwürste frei Haus zukommen.
Hoeneß ist freilich kein »Chapo« - aber das Prinzip ist eindeutig dasselbe. Man blendet die kriminellen Handlungen aus, betont die Wohltäterschaft und glaubt damit reingewaschen zu haben. Das ist wohl so eine Art moderner Ablasshandel in Zeiten moralischer Orientierungslosigkeit. Einer, der die tiefe Sehnsucht nach Kümmerern befriedigt, weil sich staatliche Gemeinwesen immer mehr zurückziehen und ihre Bürger auf sich alleine gestellt lassen. In Mexiko, wo sie »El Chapo« anbeten oder in Kolumbien, wo Escobar ein beliebter Mann gewesen ist, da waren die Staatswesen nie besonders ausgeprägt. In Deutschland sieht man an den Reaktionen, die diese Gönnerschurken moralisch freisprechen, dass ein solcher Verfall auch hier voranschreitet.
Es zeichnet sich die Renaissance des Paternalismus ab, wie er in Schwellenländern immer mehr oder minder üblich war. Die Regierungen sind dort schwach und der Staat übernimmt keinerlei Garantien für die Fallstricke des Lebens. Wer keinen Gönner hat, der Arbeitsplätze verteilt, Aufstiegschancen bietet oder Charity betreibt, der ist verloren. Paternalismus ersetzt den Sozial- und Rechtsstaat, installiert eine Parallelgesellschaft und einen Staat im Staate. In diesem System gibt es allerdings keine Rechtsansprüche, sondern im wesentlichen entscheidet die Laune des Padrinos. Er ist Legislative, Judikative und Exekutive in einer Person. Das System beruht auf Gnadenakte, auf die man keinen Anspruch hat. Aber dort, wo es sonst wenig Ordnung gibt, fühlt sich dieses hierarchische Prinzip durchaus wie Ordnung an und hat deshalb Anhänger und Befürworter.
Man könnte es auch kürzer sagen. Überall dort, wo die politische Klasse korrupt ist, Politik gegen die Menschen betreibt, Ausbeutung und Ungerechtigkeit toleriert und sich lediglich für die eigene Karriere ins Zeug legt, da entwerfen sich die Menschen sonderbare Heilige und verwechseln deren willkürliche und teils kriminelle »Herrschaft« mit »weiser Regentschaft«. Das schrieb der erwähnte Hobsbawn damals ganz ähnlich, als er darstellte, dass kriminelle Banden »außerhalb der Reichweite von Gesetz und Autorität« selbst Autorität darstellen. So gesehen hat auch Deutschland seine »Chapos«. Und man muss annehmen, dass in Zeiten des »schlanken Staates« überall »Chapos« verschiedener Ausprägung entstehen werden. Paternalismus ist überall da im Kommen, wo der Staat im Gehen ist.
&button;