Es ist wieder einmal so weit: Seit der Italo-Argentinier Jorge Mario Bergoglio (geb. 1936) von der Kurie zum Ratzinger-Nachfolger gekürt worden ist, setzt bei vielen Menschen (ja, sogar bei Linken und Laizisten) der Verstand aus. Man läßt sich von schönen Parolen, wie „Kirche bzw. der Papst der Armen” und „Kirche in Armut”, blenden und blendet dabei aus, daß es sich hier nur um eine gekonnte PR-Strategie handelt mit dem einzigen Ziel, die Macht der Priesterkaste über Mensch und Gesellschaft zu erhalten und wieder zu festigen. Als nahezu einziges Medium hinterfragt die MIZ diese Parolen.
Eigentlich ist zum Thema alles schon von Bertolt Brecht auf den Punkt gebracht gesagt worden: “Reicher Mann und armer Mann // standen da und sahn sich an. // Und der Arme sagte bleich: // »wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«.” (Alfabet, 1934)
Was steckt hinter der päpstlichen Armutsrhetorik?
Treffend hat daher Gunnar Schedel das Editorial auch mit „Armutsrhetorik” überschrieben. Hierin führt er u.a. aus: „Dass Kirche und Armut in einer engeren Beziehung stehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Nur in welcher? [...] Eine Kirche, materiell arm, aber reich im Geiste? Oder finden wir die Armut vor allem auf Seiten der Gläubigen? Ist die Kirche Sammelbecken der bedrängten Kreaturen, die keine Perspektive sehen, ihrer Armut in diesem Leben zu entfliehen? [...] Die wachsende Armut im Land wird von kirchlichen Sozialkonzernen mitverwaltet, deren Führungspersonal durchaus mal mit einen Jahresgehalt von 500.000 Euro nach Hause geht. Wenn da die Glaubensfestigkeit zunimmt, liegt es daran, dass für Caritas-Beschäftigte der Job dranhängt. [...]
(Dass der neue Papst sein Bekenntnis zur Armut just bei einer „Audienz für Medienvertreter” äußerte war insofern möglicherweise kein Zufall.) Und wie immer, wenn Wunschbilder bedient werden, dauert es, bis die Inszenierung hinterfragt wird. Dabei wäre das dringend geboten. [...]
Armut als Gottvertrauen – ein ebenso beeindruckendes wie bezeichnendes Ergebnis seiner Worthülsen-Jonglage [...] Die ganze Armutsrhetorik muss im weltkirchlichen Zusammenhang gesehen werden. Als Südamerikaner kennt Bergoglio die Erfolge der Evangelikalen [...] Die verkaufen Hoffnung derzeit besser als die katholische Kirche. Um hier wieder Boden gut zu machen, strebt der Vatikan nach einem besseren Image.
Und in einem sind sich evangelikale Prediger und katholische Bischöfe einig: Armut muss Armut bleiben. Und gesellschaftliche Veränderungen, die hier Abhilfe schaffen, stehen nicht auf dem Programm.” (S. 1 – 2)
Davon ausgehend hat Nicole Thies ihren Beitrag überschrieben mit „Nomen es omen – oder: kirchenpolitische Inszenierung von charismatischer Herrschaft”. Ihre Ausführungen faßt sie so zusammen: „Die Inszenierung des Papstes als neuer ‚Franziskus‘ ist filmreif: der Papst der Armen, die Kirche der Armen und eine Kirche für die Armen – welch‘ große Bilder und welch‘ ein Mummenschanz! Sollte man meinen… aber der charismatische Name ist Programm mit klaren Motiven: das Stärken der Amtskirche, das Kanalisieren, das Beschwichtigen und Rückführen von sozialen Gegenströmungen, die Bekämpfung des vermeintlichen Unglaubens. Und genau darin ähnelt der Franziskus-Papst dem historischen Franziskus mehr als gerade zu vernehmen ist.” (S. 3)
Noch deutlicher wird Gabriele Röwer mit ihren Überlegungen zu kirchlichen und außerkirchlichen Hintergründen einer Papst-Wahl: „Franziskus – ‚Papst der Armen‘?” Gleich mit dem ersten Satz gibt sie eine wichtige, vom Mainstream stets ausgeblendete, Antwort über den ersten Jesuiten auf dem sogenannten „Heiligen Stuhl”: „Eingetreten bereits 1958 in den größten Männerorden der Welt mit den Idealen eines Bettelordens, der über ein Milliardenimperium mit etlichen Aktienpaketen multinationaler Konzerne verfügt…” (S. 7)
Und sie stellt weiter die Frage, ob diese Papstwahl wirklich „überraschend” war, oder diese machtpolitischen Kalkülen wirtschaftlicher, politischer oder klerikaler Potentaten entsprang.
Eingehend auf die „Charme-Offensive fast ohnegleichen” (Besuch bei Flüchtlingen auf Lampedusa) heißt es in ihrem Artikel: „Ein Kommentator fragte indes, was Franziskus hindere ‚die Milliarden, die die katholische Kirche gebunkert habe, in die Hand zu nehmen, um den Flüchtlingen zu helfen‘, ein anderer, was ihn hindere, die Tore des Vatikans für die Schutzsuchenden zu öffnen. Über den Milliarden-Reichtum dieser Kirche u.a. an Gold, Firmenbeteiligungen, Immobilien und Landbesitz, zumal in den überwiegend katholischen Ländern Lateinamerikas, seit Jahrhunderten vor allem gewonnen durch Schröpfung und Schindung der Massen [...] von diesem den meisten kaum vorstellbaren horrenden Reichtum der Kirche’ äußere sich auch dieser Papst, wie all seine Vorgänger, nicht.” (S. 8)
In den Anmerkungen auf S. 15 erwähnt die Autorin, daß der Reichtum der beiden Großkirchen allein in Deutschland sich auf etwa 500 Milliarden Euro incl. Geldvermögen in Höhe von ca. 150 Milliarden Euro belaufen würde.
Ein längerer Absatz dieses Artikels beschäftigt sich mit möglichen politischen Hintergründen dieser Papstwahl und zieht hier Parallelen zur Inthronisation des polnischen Wojtyla-Papstes. Sei es damals gegen den Sozialismus sowjetischer Prägung in Osteuropa gegangen, so sei jetzt Lateinamerika mit seinen Ressourcen als bisheriger Hinterhof der USA das Ziel. (Stichworte Befreiungstheologie und Sozialismus des 21. Jahrhunderts).
Ebenfalls treffend hat Frank Welker seinen Beitrag so getitelt „Religionen brauchen Armut”. Er geht hierin auf den Zusammenhang von Religion und Armut ein und konstatiert: „Tatsächlich ist religiöse Armutsbekämpfung nur selten mehr als die Bewahrung des gesellschaftlichen Status quo.” (S. 17)
Und das würde nicht nur für die halbkolonialen „Bananenrepubliken” im Hinterhof der USA gelten, sondern seit der Kanzlerschaft des SPD-Mannes Gerhard Schröder auch für die „Suppenküchenrepublik” Deutschland.
Zusammenfassend schreibt Welker: „Wenn die Kirchen es mit der Armutsbekämpfung ernst meinen, dann seien sie hiermit dazu aufgerufen, mit der säkularen Bewegung an ihrer eigenen Abschaffung zu arbeiten und für einen fairen und sozialen Staat zu kämpfen.” (S. 19)
Staat und Religionen – Islamunterricht als Mittel zur Integration?
Zum Themen-Komplex „Staat und Religionen” zählen Beiträge von Armin Schreiber über bundesdeutsche Feiertagsgesetze und die klerikale Bevormundung unserer Gesellschaft („Brian blamiert Bochum”), von Roland Ebert („Islamunterricht als Mittel zur Integration?”), von Rainer Ponitka („Wahlkampfgetöse – Union macht Grüne für Aushöhlung der religiösen Identität verantwortlich”) sowie ein Interview mit Dirk Verhofstadt zum Reichskonkordat.
Allesamt faktenreich, argumentativ und unbedingt lesenswert. Eine Bemerkung sei zu Ponitkas Artikel gestattet. Er geht auch auf mehrfach geäußerte Vorschläge einer Kultursteuer für alle Bürger anstelle der „Kirchensteuer” (= Mitgliedsbeitrag der Kirchenmitglieder für ihre eigene Kirche) ein:„…der Vorschlag einer scheint mir so, als müssten alle, die nicht Mitglied eines Karnickelvereins sind, einen gleichen Beitrag an einen anderen Verein abführen.” (S. 36) Zu den Vorkämpfern für solch eine Zwangsabgabe durch alle zählt übrigens auch der linke Fraktionschef im Thüringer Landtag, Bodo Ramelow.
Daniela Wakonigg hat auch zu dieser MIZ-Ausgabe eine köstliche Satire beigesteuert „Neulich… in Lourdes”. Ein kleines Zitat daraus spricht Bände: „Eine höchst erstaunliche Form des Denkens, die man unter religiösen Menschen recht häufig findet: Wenn mein Hautausschlag schwindet, nachdem ich in Lourdes war, ist es ein göttliches Wunder und keine Folge des südfranzösischen Klimas oder einer psychisch ausgelösten Selbstheilung. Wenn Lourdes aber überschwemmt wird, hat Gott damit selbstverständlich nichts zu tun.” (S. 47)
Wissenswertes aus Deutschland und aller Welt
Der „Zündfunke” gibt einen kleinen Rückblick auf Aktionen, Medienarbeit, Vorträge u.a. mit Beiträgen von Daniela Wakonigg über eine säkulare Frauenkonferenz in Dublin, Jörg Schnückel über eine Tagung im Ruhrgebiet zum Thema „80 Jahre Hitler-Vatikan-Pakt” sowie (leider viiiel zu kurz) von Frank Nicolai über den Humanistentag in Hamburg.
Meldungen aus Deutschland und aller Welt gibt es in der „Internationalen Rundschau” zu lesen. Hervorzuheben ist hier, daß sich der Deutsche Kulturrat mit deutlichen Worten gegen eine enge Verbindung von Staat und evangelischer Kirche im Hinblick auf das Reformationsjubiläum ausgesprochen hat. Denn die Reformation sei eine rein religiöse Angelegenheit, die den weltanschaulichen Staat nichts angehe – das aber würde Merkels Kulturstaatsminister Neumann völlig ignorieren.
Und in eigener Sache teilt die MIZ dann noch mit, daß sich die Preise für das Jahresabonnement (von 15 auf 18 Euro) und für das Einzelheft (von 4 auf 5 Euro) ab 2014 moderat angehoben werden müßten. Erstmals seit 2002. Angekündigt sind auch damit einhergehende redaktionelle und gestalterische Verbesserungen. Dazu heißt es: „Und natürlich soll die MIZ als Stimme des Laizismus größere Verbreitung finden.” (S. 62) Das dürften sicherlich auch die in den letzten Jahren entstandenen laizistischen Zusammenschlüsse in SPD, LINKE, GRÜNE und Piraten mit Freude vernehmen.
Siegfried R. Krebs
MIZ – das bedeutet Materialien und Informationen zur Zeit. Das Vierteljahresmagazin des IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) erscheint seit 1972 und kann beim Alibri-Verlag Aschaffenburg bezogen werden.