Diese und viele Fragen mehr rund ums Mann-Sein stellte sich Wim Vandekeybus mit seiner Truppe Ultima Vez. „In spite of wishing and wanting“, eine Neuaufnahme der bereits 1999 entstandenen Produktion, riss das Publikum im Rahmen des ImpulsTanz Festivals im Volkstheater zu Begeisterungsstürmen hin.
Vandekeybus schuf mit diesem Stück tatsächlich so etwas wie eine Ikone des männlichen, zeitgenössischen Tanzes. In ihr verbindet er Traumsequenzen, Theaterschabernack und Film und lässt tief in seine eigene Seele blicken. Gleich zu Beginn stürmen die Männer wie losgelassene Hengste auf die Bühne. Sie schütteln ihre Köpfe, schnauben, scharren mit den Beinen, sodass man froh ist, ihnen nicht im Weg zu stehen. Schon bald aber werden sie einem der Tänzer ausgesetzt, der sie zähmt. Der sie, jeden einzeln, an die Kandare nimmt und ihnen mit der Peitsche beibringt, dass Pferdsein nichts mit Freiheit zu tun hat.
Es ist der erste, große geplatzte Traum, den Mann sich von einem Leben in Freiheit ausdenkt, der hier vorexerziert wird. Immer wieder werden im Laufe des Abends die Pferde auftreten, versuchen, sich ihre Freiheit zurückzuerobern. Eines von ihnen, das störrischste, wird sich schließlich schreiend vor Angst unter den Tanzboden verkriechen, sehr zum Gaudium des Publikums.
Aber dieser Tanzabend wäre nicht aus der choreografischen Feder von Vandekeybus, der in den letzten Jahrzehnten die Tanzszene wie kaum ein anderer immer wieder in Staunen versetzte, bliebe es bei diesem Einfall. Ein Brainstorming, in welchem auf offener Bühne laut nachgedacht wird, wie das denn so wäre, wenn man seine Bubenträume ausleben könnte und als Meeresschwamm im Wasser schwimmen oder als Vogel durch die Lüfte flöge, folgt auf das Pferde-Intermezzo. Immer wieder werden die Szenen durch musikalisch geschlossene Einheiten unterbrochen, in welchen nur eines gefeiert wird: der pure Tanz. Da treffen sich die Männer in unterschiedlichen Kostümen und zeigen Soli, Duette und Terzette, das man des Schauens nicht müde wird. Wunderbar die Taschenlampen-Choreografie, in der ein Licht von einem zum anderen weitergegeben wird, witzig ein Frösche-Fangen, das mit dem Drama endet, dass einer davon von dem bereits erwähnten, verrückten Pferd verschluckt wird. Beispielhaft die Schlafszene, in welcher sich die Tanzenden, in weiße Kostüme gehüllt, fast ausschließlich liegend fortbewegen. Passend dazu, als ob Choreografie und Musik ein einziger Guss wären, der Sound von David Byrne sowie ein „Fuzzy Freaky“ Remix von DJ Food.
Das Medium Film, für den Choreografen und Tänzer ebenso wichtig wie die Bühnenpräsenz an sich, kommt auch zum Einsatz. In zwei Szenen wird die Geschichte eines „Worteverkäufers“ erzählt, der einem despotischen, selbstherrlichen Herrscher mit dem Verkauf seiner letzten Worte das Ende einläutet. Fellini-ähnliche Szenen spielen sich dabei ab und lassen den Tanzenden auf der Bühne währenddessen Verschnaufpausen zu. Die Enthauptung des frechen Verkäufers ist der logische Abschluss der filmischen Darbietung, die auf zwei Kurzgeschichten von Julio Cortázar basiert. Das Auftreten von Vandekeybus als einsames, schwarzes Pferd am Ende des Stückes macht nicht traurig.
Vor einer surrealen Bühnenwand, auf der seine Tänzer zum Teil schräg hängen und Kopf stehen, ist er das einzige noch lebendige Tier, das sich seine Unabhängigkeit bewahrt hat. Zumindest im Traum. Eine schönere Metapher für sein Leben als Choreograf und Tänzer, der sich nicht scheut, eigene Wege zu beschreiten, hätte er kaum finden können.
Tänzer: Eddie Oroyan, Yassin Mrabtifi, Guilhem Chatir, Grégoire Malandain, Luke Jessop, Luke Murphy, Flavio D`Andrea, Knut Vikström Precht, Cheng-An Wu, Baldo Ruiz.