Die Bibel “nicht nur historisch lesen”!

Die Bibel “nicht nur historisch lesen”!Kürzlich wurde mir in einem Referat nahegelegt, ich sollte die Bibel “nicht nur historisch lesen”, denn “alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben…” (2. Tim 3,16 NGÜ). Diese Ermahnung war eigentlich nur ein Exkurs nach der Lektüre eines Bibelabschnittes, den bibelkritische Leser offenbar als utopisches Wunschdenken, nicht aber als tatsächlich so geschehen weginterpretieren.

Ebenfalls als kleiner Exkurs vor meinem Hauptpunkt möchte ich erwähnen, dass m.E. der Begriff “historisch” in diesem Zusammenhang etwas unglücklich ist. Treffender wäre wahrscheinlich “historisch-kritisch” gewesen, denn wenn ich die biblischen Erzählungen als tatsächlich geschehen aufnehme, dann ist ja das gerade eine historische Lektüre.
Zweitens könnte man sich fragen, was denn das heilsame Gegenteil oder die notwendige Ergänzung von “historisch-kritisch” wäre. In Anlehnung an 2. Tim 3,16) wäre wohl “geistlich” ein angebrachter Ausdruck.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie die Bibel gelesen werden kann: historisch, historisch-kritisch, linguistisch, philologisch, psychologisch, missiologisch, usw. usf. Aus meiner Warte würde ich sagen, man soll sich bei der Lektüre der Bibel auf keine dieser Lesarten exklusiv beschränken. Die Bibel ist ein dermassen facettenreiches Buch, dass sich ihr Sinn und ihre Kraft dann am besten entfalten kann, wenn ich mich ihr von ganz verschiedenen Seiten her zuwende. Deshalb ist es auch so wichtig und bereichernd, mit anderen Menschen zusammen dieses Buch zu entdecken. Am allerspannendsten ist es, dies mit Menschen aus anderen Kulturkreisen zu tun, denn diese tragen andere Brillen als wir.

Für das Publikum der o.g. Ermahnung – ein Publikum, das sich ernsthaft um ein gottgefälliges Leben bemüht und ein grosses Vertrauen in die Kraft der Heiligen Schrift hat – scheint mir nun die grösste Gefahr nicht darin zu liegen, dass die Bibel zu wenig “geistlich” gelesen wird, sondern (fast) nur geistlich. Mir fällt im Gespräch mit gottesfürchtigen Menschen immer wieder auf, dass beispielsweise Jesus kaum als schlichter Mensch wahrgenommen wird: ein Mensch mit menschlichen Bedürfnissen, der z.B. auch Dinge lernen musste.
Ich finde es sehr hilfreich, den historischen Bezug der biblischen Erzählungen zu berücksichtigen: In welchem Kontext haben beispielsweise die Propheten gewirkt? Wie war das gesellschaftliche Umfeld, in dem Jesus und die Apostel gewirkt haben? Von welchen kulturellen Werten war es geprägt? (s. z.B. hier).

Ich gehe übrigens schwer davon aus, dass der Referent dies grundsätzlich auch so sehen würde, und dass dieser Artikel letztlich nur Wasser in den Rhein trägt…



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