„Die Bewegung“ nach dem 15. Oktober: Ein Pamphlet von Florian Hauschild

„Die Bewegung“ nach dem 15. Oktober:  Ein Pamphlet von Florian Hauschild 18.10.2011 – Der folgende Text spiegelt eine Einzelmeinung wider – soll als solche aber in den gemeinschaftlichen Diskurs eingebracht werden. Wie  immer wird die darauf folgende Debatte Zustimmung, aber auch Ablehnung ausdrücken. Wie immer ist genau dieser argumentative Konflikt als Weg  das Ziel.

Nun waren wir also auf den Straßen und Plätzen. Weltweit, Millionen  von uns und haben das gezeigt, was wir schon länger wissen: Überall auf der Welt sind die Menschen nicht mehr einverstanden mit dem bestehenden System, sprich mit den vorherrschenden Machtverhältnissen, aber auch  mit der Art und Weise wie Entscheidungen getroffen werden und nach welchen Prioritäten dies von Statten geht.

Allein in Deutschland waren wir rund 40.000, die  Präsenz auf den Straßen und Plätzen gezeigt haben. Hinter jedem von uns  steht eine uns selbst unbekannte Zahl von Sympathisanten, die ebenfalls  „wir“ sind. Wir haben all Jene Lügen gestraft, die noch vor Kurzem als  scheinbar unverrückbare Wahrheit verkündet haben: „In Deutschland geht  sowieso Niemand auf die Straße“.

Statt Einsicht sehen wir von Seiten genau dieser Akteure nun aber ein gezieltes Umdeuten der Proteste, teils ein Diffamieren, und sogar  Vereinnahmungsversuche. Manch Einer meint auch zu wissen: „Das ist ein  Strohfeuer, das ebbt schon wieder ab. Die Banken werden „gerettet“ und  dann ist wieder Ruhe.“ Doch sei hier gesagt: Es geht um weit mehr!

„Wir sind die 99%“, heißt es seit einiger Zeit, was allerdings nicht heißen soll, dass nur wir, die bereits Flagge  zeigen, dies sind. Unser Slogan ist eher wie folgt zu verstehen: Wir  sind Teil der 99% der Menschen, denen das bestehende Gesellschaftssystem  nicht zu Gute kommt. Wir sind Diejenigen unter den 99%, die ob dieser Umstände angefangen haben, ihre Stimme zu erheben.

Wir erheben unsere Stimme jedoch nicht, weil wir glauben ein exklusives  Recht dazu zu haben, wir erheben unsere Stimme mit dem Ziel, dass all  die, die dies noch nicht tun, sich ein Beispiel an uns nehmen und ihr  Schweigen ebenfalls brechen.

„Wir sind die 99%“ heißt ebenfalls nicht,  dass uns eine Gesellschaftsordnung vorschwebt, die „nur“ diesen 99%  dient. Die Veränderungen, die wir suchen herbeizuführen, sollen allen  Menschen zu Gute kommen, auch jenen, die – gewollt oder ungewollt – von den jetzigen Spielregeln profitieren. Unsere Protestformen richten sich  daher auch nicht gegen „die Bänker“, wie etwa Frau Merkel nun populistischerweise zu verbreiten versucht,  indem sie glaubt, das demokratische Erwachen der Menschen gar als  Legitimation für die weitere Produktion von Beruhigungspillen  missbrauchen zu können.

Unsere Proteste richten sich auch nicht (nur oder überhaupt) gegen „den Kapitalismus“, wie Herr Gauck glaubt, verbreiten zu dürfen und solchen Falschaussagen geschwind noch ein „unsäglich albern“ anzuhängen. Auch wir wissen, dass wir als Menschen Handel brauchen. Auch wir wissen,  dass die Arbeitsteilung und der Austausch von Leistung Errungenschaften  sind, die es zu bewahren gilt. Wir wehren uns lediglich gegen die  Propagandalügen, die da sagen, bei den bestehenden Wirtschaftsstrukturen handele es sich um „freie Märkte“, die es zu schützen und zu „beruhigen“  gilt – oder gar um ein erhaltenswertes Gesamtsystem als solches.

Unser „Sprung auf die Staße“ geht auch nicht auf  die Wall-Street-Proteste zurück, wie nun gerne behauptet wird. Unsere Vernetzung hat ihren Ursprung in den spanischen Protesten im Mai dieses  Jahres, welche ihrerseits die Vorstufe zu „Occupy Wallstreet“ waren. Auf die Proteste am 15. Oktober haben wir uns bereits Ende Mai verständigt.

Wir wissen, dass ein sinnvolles gemeinsames Wirtschaften nur unter der Prämisse der Kooperation – und eben nicht auf  Grundlage von Konkurrenz möglich ist, wie es die derzeit noch herrschende Dogmatik propagiert. Wir wissen auch, dass sich unser  Wirtschaften und unser Konsum an den Ressourcen auszurichten hat, die uns auf unserem Planeten zur Verfügung stehen. Wir wissen, dass es ein Irr- und Wahnsinn ist, aus reinem Profitstreben den immer widerwärtigeren Raubau an Mensch, Tier und Natur voranzutreiben.

Die bestehende Wirtschaftsordnung ist – als Folge  eben jenes Monopoly-Konkurrenzdenkens – hochgradig oligarchisch bis  monopolistisch. Ebenso wie die grundlegenden Strukturen des bestehenden Geldsystems, das fast alle Lebensbereiche tangiert, wenn nicht gar  dominiert. Die bestehenden politischen Systeme, in denen wir leben sind  nicht demokratisch, sondern wurden längst von eben jenen Wirtschafts-  und Bankenoligopolen vereinnahmt.

Wir wehren uns also auch gegen die Verwendung falscher Begrifflichkeiten, die die Grundlage von Massenmanipulation und gezielter Sabotage politischer Diskurse sind. Wir plädieren für politische Bildung von uns allen, deren Folge ein klarer Blick auf die  herrschenden Gesellschaftsstrukturen sein wird, in denen Begriffe wie  „retten“, „helfen“, „Reformen“ und „Wachstum“ als das erkannt werden, was  sie sind: Propagandistischer Neusprech, der dem immer gleichen Ziel  dient: Die Allgemeinheit zu verwirren, zu spalten, uninformiert zu  halten und sie so zu beherrschen.

An die Stelle dieser spalterischen Konkurrenz- und Parteienpolitik setzen wir konsensfördernde Kommunikationsformen. Asambleas  im virtuellen und im physischen Raum treten an die Stelle von Stellvertreterdebatten in den Konzernmedien. Direkte basisdemokratische  Strukturen ersetzen korrumpierte Repräsentationssysteme, und stehen schon jetzt als Alternativen bereit, sobald letztere ohnehin unweigerlich kollabieren.

Wir haben die Lügen dieses im Kern längst schon gescheiterten Systems erkannt und entlarvt. Wir werden diese Lügen auch weiterhin entlarven. Und während viele sich noch fragen, wie wir „es“  eigentlich machen wollen, machen wir es längst: Wir vernetzen uns  dezentral und kommunizieren miteinander – nicht mehr und nicht weniger.  All Jene, die Hoffnung in diesen Weg setzen, sind eigentlich schon Teil  von „uns“. All Jene, die glauben, dies wäre naiv, Jene, die jetzt noch über „die Bewegung“ spotten, Euch sagen wir:

Ihr werdet Euch noch mal gewünscht haben, wir  wären naiv! Wir wissen genau, was wir tun. Und wir sind längst viele  Millionen. Wir sind eine bunte Vernetzung unzähliger Menschen. Wir sind friedlich und gewaltfrei, aber wir sind ebenfalls wortgewaltig und radikal, wenn es um die Verbreitung der hier aufgeführten Tatsachen geht. Wir sind eine revolutionäre „Bewegung“ und unsere Waffe ist das Wort.

Den reaktionären Kräften, die nun noch versuchen, uns klein zu halten, uns umzudeuten und uns zu vereinnahmen, sagen wir: Wir werden auch weiterhin willentlich und bewusst alles tun, um die Illusionen und die Traumblasen, die Ihr in Euren Köpfen für die  Wirklichkeit haltet, zu zerstören. Wir werden Euch hierfür weiterhin mit  Information konfrontieren, die Euren Irrglauben, das  bestehende Gesellschaftssystem hätte auch nur die geringste  Überlebenschance, zerplatzen lässt.

Ihr könnt all dies eine Weile ignorieren –  irgendwann werdet Ihr versuchen, uns zu zensieren, aber Ihr könnt vor der  Wahrheit nicht davon rennen. Wir werden alle Eure Illusionen und Trugbilder, Euer nur scheinbar berechtigtes Vertrauen in ein bereits gescheitertes System hinrichten, hinrichten, hinrichten; zerschmettern, zerschmettern, zerschmettern, bis in Euren Köpfen alles in Ruinen liegt und auch Ihr bereit seid für die Saat des Neuen.

Florian Hauschild auf the babyshambler

Jacob Jung zu den Ereignissen:

- Bewegung 15. Oktober: Mehr als nur Protest gegen Banken

- Occupy the Occupy: Bewegung 15. Oktober wird vereinnahmt


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