Ein exklusiver Club von Finanzinstituten hat den internationalen Referenzzins Libor manipuliert. Hedgefonds, Banken und Händler schufen sich so lukrative Spekulationsmöglichkeiten
„Bob Diamond, Vorstandschef der britischen Bank Barclays, gestand Anfang Juli 2012 öffentlich ein: Sein Haus hat den internationalen Referenzzins für Kredite zwischen Banken jahrelang manipuliert, um hohe Gewinne zu machen. Das sei vom Vorstand so angewiesen worden. Die britische Finanzaufsicht Financial Services Authority (FSA) hatte aufgrund von internationalem Druck einschlägige Erkenntnisse bekannt gegeben. Um weitere öffentliche Auseinandersetzungen und Gerichtsverfahren zu vermeiden, stimmte Barclays einer Rekordstrafe zu und zahlte umgehend insgesamt 450 Millionen US-Dollar an die FSA, an das US-Justizministerium und an die US-Commodity and Futures Trading Commission (CFTC, Kommission für Rohstoff- und Derivatenhandel). Diamond, der von 2005 bis 2009 die für die Libor-Meldungen zuständige Investmentabteilung von Barclays geleitet hatte, und zwei weitere Topmanager traten zurück. Auch der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Marcus Agius, trat sofort zurück.
Die Tatsache des Betrugs und der Manipulation steht also fest. Der britische Premierminister David Cameron von den Konservativen prangerte die Manipulationen als Verbrechen an, das rücksichtslos bestraft werden müsse: »Verbrechen in unseren Banken müssen genauso bestraft werden wie die auf unseren Straßen.«
Diamond hatte vor einem Untersuchungsausschuß des britischen Parlaments allerdings schon darauf hingewiesen, daß seine Bank keineswegs der einzige Manipulateur war. Vielmehr habe sich eine Reihe weiterer internationaler Großbanken am Komplott beteiligt. Auch die Finanzaufsicht und die Bank of England (englische Zentralbank) hätten mitgemacht, so Diamond.
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Übrigens, nebenbei bemerkt: Diese Interbanken-Kredite sind eine ratingfreie Zone. Die Banken bewerten sich selbst. Sie sind von der gesetzlichen Verpflichtung, daß alle Marktteilnehmer sich nach den Ratings der drei großen Agenturen Standard&Poor’s, Moody’s und Fitch richten müssen, ausgenommen. Rating ist etwas für die Doofen.
Am Libor hängen aber nicht nur die Darlehen zwischen den Banken, sondern Kredite für verschiedene Bereiche der Volkswirtschaft. Mittelbar hängen daran die Geschäfte der Banken mit Partnern und Kunden außerhalb des Finanzsektors: Terminkontrakte, Optionen und andere Derivate, die an Anleger, Investmentfonds und Vermögensverwalter verkauft werden. Auf Staatsanleihen, Unternehmenskredite, Rohstoff- und Nahrungsmittelkaufverträge geben die Banken Terminkontrakte aus, also Wetten auf den Wert und die Zinshöhe zu einem späteren Stichtag.
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Die Strafen und Verfahrenskosten sind hoch, wie der Fall Barclays zeigt. Konkurrent Morgan Stanley hat schon mal vorgerechnet, daß auf die Deutsche Bank Gesamtkosten von gut einer Milliarde US-Dollar zukommen könnten. Die betroffenen Institute versuchen, die Verfahren schnell abzuwickeln, nicht öffentlich werden zu lassen und mit niedrigen Bußgeldern davonzukommen. Deshalb drängen sie bei Aufsichtsbehörden und Staatsanwälten darauf, als Kronzeugen anerkannt zu werden: Sie geben freiwillig einige Informationen heraus, hoffen auf verkürzte Ermittlungen und auf einen Vergleich, ohne daß es zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen kommt. Dann müssen sie sich nicht als schuldig bekennen und gelten nicht als vorbestraft. Einen solchen Kronzeugenstatus soll sich die Deutsche Bank bereits bei der EU und in der Schweiz gesichert haben. In den USA machen Staatsanwälte von sich aus Angebote etwa an UBS-Mitarbeiter: Wenn ihr uns Informationen bringt, bleibt ihr straffrei!
Die Deutsche Bank hat allen Grund, sich möglichst unspektakulär aus der Affäre ziehen zu wollen. Schließlich fielen die Falschangaben in das Ressort von Anshu Jain, seit Mai 2012 neuer Vorstandsvorsitzender des Instituts, damals Chef der Investmentabteilung in London. Seinerzeit hat er gern darauf hingewiesen, daß Barclays-Banker Bob Diamond zum kleinen Kreis seiner Vorbilder gehört.
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Überall in den westlichen Kapitaldemokratien wird die Aufsicht über die Banken verschärft – ein bißchen. Aber die Banken werden immer unwichtiger. Die Finanzindustrie ebenso wie die US- und die britischer Regierung setzen auf die unregulierten Hedgefonds, die Schattenbanken (shadow banking). In London ziehen sie schon in ihr neues Quartier: Raus aus dem traditionellen Bankenviertel City of London, rein in den angesagten Stadtteil Mayfair. …“
Quelle und gesamter Text: http://www.jungewelt.de/2012/08-17/016.php