Die beschnittene Psyche

Das Kölner „Beschneidungsurteil“ löste ein gro­ßes media­les Echo aus. Fast alle grö­ße­ren über­re­gio­na­len Zeitungen Deutschlands, aber auch Öster­reichs und der Schweiz berich­te­ten. Der hpd unter­hielt sich mit einer Soziologin, die sich seit vie­len Jahren mit die­ser Thematik befasst.

beschneidung wikipedia 400x300 Die beschnittene Psyche

jüdische Beschneidung, Foto: Wikipedia

Es scheint, als wäre das Urteil des Landgerichts Köln wie „aus hei­te­rem Himmel“ gefällt wor­den. Nichts ist jedoch fal­scher. Denn in juris­ti­schen Kreisen sowie auch und vor allem unter Medizinern wird die männ­li­che Beschneidung seit eini­gen Jahren dis­ku­tiert. Dabei sind, spä­tes­tens seit im Jahre 2008 im Ärzte­blatt ein Artikel von Holm Putzke u.a. erschien, die Mehrheit der Mediziner in der Diskussion über das Thema. Seit die­ser Zeit könnte den Ärzten im Eigentlichen auch die Konsequenz ihres Handelns bewusst sein. Denn bereits 2008 fasst der oben ver­linkte Artikel zusam­men: „Die bei einer Zirkumzision vor­zu­neh­mende teil­weise oder voll­stän­dige Entfernung der Vorhaut stellt einen nicht nur uner­heb­li­chen Substanzverlust dar, sie ist mit­hin eine Verletzung der kör­per­li­chen Unversehrtheit.“ Dabei ver­weist der Aufsatz im Ärzte­blatt bereits auf den Straftatbestand der Körperverletzung nach § 223 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB).

Das erklärt auch, dass sich einige Ärzte – auch bei reli­giös moti­vier­ten Beschneidungen – dazu hin­rei­ßen lie­ßen, eine Phimose (Vorhautverengung) zu beschei­ni­gen, um eine medi­zi­nisch not­wen­dige Operation vor­zu­täu­schen. Allerdings ist bei Vorliegen einer Phimose heute in vie­len Fällen auch eine Behandlung mit Salben mög­lich und wird erfolg­reich ange­wandt.

Die Soziologin gab einen Über­blick, wel­chen Umfang und wel­che Auswirkungen die männ­li­che Beschneidung hat. Es gibt nur Schätzungen, nach denen zwi­schen 10 bis 20 Prozent der männ­li­chen Bevölkerung Deutschlands beschnit­ten seien. Dabei kann man nicht davon aus­ge­hen, dass es jeden Moslem und jeden Juden betrifft. So seien etwa 50 Prozent der in Berlin leben­den männ­li­chen Juden nicht beschnit­ten. Andere Schätzungen gehen sogar nur von ca. 20 Prozent aus.

In vie­len Ländern – vor­ran­gig in den USA – wurde die männ­li­che Beschneidung auch als Hygienemaßnahme ange­se­hen. Selbst gegen die Über­tra­gung des HIV-Virus oder die Papillomviren sollte eine Beschneidung hel­fen.

Alice Miller berich­tet in ihrem Buch „Evas Erwachen“ über die Initiative der US-amerikanischen Krankenschwester Marilyn Fayre Milos, die sich dafür ein­ge­setzt hat, dass die Beschneidung männ­li­cher Säuglinge nicht sofort nach der Geburt auto­ma­tisch durch­ge­führt wird. Sie erreichte, dass inzwi­schen wenigs­tens die Eltern die­ser Operation zustim­men müs­sen. „Dank … Marilyn Fayre Milos ist jetzt vie­len Menschen bewusst, dass ein klei­nes Kind unter sol­chen Interventionen kör­per­lich und see­lisch lei­det. Noch vor weni­gen Jahren ‚wußte‘ man das nicht, bekannt­lich ope­rierte man die Kinder ohne Narkose.“ (Seite 124)

Miller geht im Weiteren dar­auf ein, dass die Weitergabe die­ses „Rituals“ über die Generationen nur damit erklär­bar sei, dass die Väter eben­falls diese trau­ma­ti­sche Erfahrung mach­ten und sie – unwi­der­spro­chen – wei­ter gaben. „Deshalb waren es nicht die männ­li­chen Ärzte, die dem destruk­ti­ven Brauch der Beschneidung ein Ende gesetzt haben, son­dern Frauen, Krankenschwestern, die nicht Opfer die­ses Brauches waren.“ (Seite 125)

Selten ange­spro­chen wird auch die Tatsache, dass die männ­li­che Beschneidung auch der Einschränkung der leben­di­gen Sexualität die­nen sollte. Beschnittene Männer sol­len sich weni­ger selbst befrie­di­gen; sol­len weni­ger Spaß daran haben. Dies nach­zu­wei­sen dürfte aller­dings schwie­rig sein.

Es gibt jedoch Berichte, dass es in Südkorea mit der Annäherung an die USA und deren Lebensweise dazu kam, dass auch dort die nor­ma­li­sierte, unhin­ter­fragte männ­li­che Beschneidung ein­ge­führt wurde. In die­sem Falle jedoch betraf es nicht nur männ­li­che Säuglinge, son­dern auch erwach­sene Männer. Diese konn­ten dann ver­glei­chen und gaben in Untersuchungen bekannt, dass die Beschneidung die Sexualität beein­flusst hat. Die Idee dahin­ter, dass dies der Hygiene dient, wurde mit einem hohen Preis bezahlt.

Hier stellt sich die Frage nach der bio­lo­gi­schen Funktion der Vorhaut. Besetzt mit Millionen Nervenzellen ist sie eine eigen­stän­dige ero­gene Zone. Sie dient zudem dem mecha­ni­schen Schutz des Penis und schützt vor Austrockung. Eine Zirkumzision (Beschneidung) lässt diese bei­den Faktoren außer Acht. Auch dass der Peniskopf durch die Beschneidung rela­tiv unge­schützt ist und daher im Laufe der Zeit emp­fin­dungs­lo­ser wird, ist bekannt. Und mög­li­cher­weise von reli­giö­sen und lust­feind­li­chen Machtinhabern gewollt.

Die Beschneidung des Penis hat zudem tief­grei­fende psy­chi­sche Auswirkungen auf den betrof­fe­nen Mann. Viele Männer, die beschnit­ten wur­den, haben ein Traumata erlit­ten. Dabei unter­schei­det sich die Traumata mög­li­cher­weise hin­sicht­lich ihrer Art des Erlebens. Es macht einen Unterschied, ob ein Junge im Alter von acht Tagen oder im Alter von 14 Jahren beschnit­ten wird. Die eine Verletzung brennt sich in das Unterbewusste ein, die andere lässt sich erin­nern.

Das Urteil erhitzt die Gemüter. Necla Kelek for­dert die Abschaffung der Beschneidung und nennt sie eine „archai­sche Sitte“ und „ein Unterdrückungsinstrument“, der oben zitierte Dr. Holm Putzke wird bedroht und der wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bundestages sieht sich ver­an­lasst, ein Gutachten zu ver­öf­fent­li­chen. Die Diskussion beginnt erst.

Nic

Erstveröffentlichung: Humanistischer Pressedienst


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