Die Bärin und der Goldfisch

Unter dem weißen Himmel in einem Land, in dem neben den Tannen auf auch Parfumflaschen und Federboas wuchsen, strolchte einst tagaus tagein eine große schwarzbraune Bärin. Stets trug sie eine blutrotfarbene Federboa um den Hals und einen mit Strass besetzten Rucksack auf dem Rücken.
Dennoch liebte sie die Natur über alles, ihr Tal, dessen üppige Flora und Fauna, besonders aber den wohlduftenden Wald, ohne den sie nicht leben konnte.

Wenn sie morgens erwachte und das Singen der Bob-Marley-Vögel hörte, ihr der süße Duft der Blumenparfums, der warme trockene Geruch der eher herberen Noten, die leicht faulig riechenden Moschusessenzen oder das unvergleichliche Aroma frischer Grastöne in die Schnauze stieg, war sie glücklich.

Sie war eine ganz besondere Bärin, lebte das ganze Jahr über im Freien und hielt keinen Winterschlaf, denn sie wollte jede Jahreszeit genießen. Sie brauchte die Freiheit dieser Natur wie die Luft zum Atmen, um sich selbst zu sein. Oft streifte sie ziellos durch den Wald, sie jagte gerne oder angelte an den orangefabenen Limonadebächen, stieg weiter bis über die Baumgrenze, hinauf auf die Berge, schaute über deren Gipfel in die weite Welt und dachte nach. Denn das Leben hatte es, trotz all der Schönheit, die sie umgab, nicht immer nur gut mit ihr gemeint.

Manchmal weinte sie dicke Tropfen von Kakao aus ihren großen, schönen, braunen Augen bei dem Gedanken, was sie verloren hatte, ohne eigene Schuld. Dann wurde die Boa ganz nass und färbte ab. Eines Tages waren Menschen gekommen, und hatte ihre Lavendelseifenplantage, die sie höchst persönlich angelegt hatte, einfach abgerodet. Immer wieder legte sie eine neue an, bis sie endlich begriff, dass Pissnelkenseife den Menschen nicht gefiel. Nachdem sie sich um entschieden hatte, was zwar Ruhe, aber auch kein Lavendelduft mehr im Wald. Sie konnte nur noch davon träumen.

Und sie spürte immer mehr, wie sehr sie sich all die Jahre nach der Erfüllung ihrer Träume gesehnte, nach einem vollen, aromatischen Sauberbärenleben.

Spirituell veranlagt suchte sie lange Trost in rhythmischem Zertreten von Holunderbeeren, manchmal auch Tannennadeln, an Nächten, in denen der Große Bär zu sehen war. Allein, es half nicht viel.

Vor allem aber wünschte sie sich am sehnlichsten, mehr als Honig und Blütenöle, einen Gefährten, der sie verstehen würde, der mit ihr ziehen würde in die hintersten Ecken ihrer Heimat, der sie und ihren wohlriechenden Pelz so liebte, dass beide irgendwann eins sein würden.

Ihre vielen Bärenbrüder sahen sie einsamer werden und versuchten, sei mit Tannennadelbädern zu trösten, wahlweise auch mit Milchbädern, wenn sie zufällig eine Kanne gefunden hatten.
Doch der Kummer über ihre Einsamkeit lugte aus jeder Spitze eines jeden Haares des weichen, braunen Fells, und sie zog immer weiter, weiter und weiter. Sogar die Federboa wurde immer blasser und beschwerte sich.
Ganz hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, als sie eines Tages im Lauf eines glasklaren Gebirgsbachs einen goldenen Fisch erblickte. Der trug eine kleine Krone, hatte große grüne Augen und trank gerade mit den Süßwasserkrebsen einen Cappucino.

Sie wollte ihn fangen, dabei fiel die Federboa ins Wasser und färbte es rot, schließlich trieb sie laut lachend einfach davon. Die Bärin sah den Fisch nicht mehr, aber da hielt sie schon in seinen Vorderpranken, mehr um ihn zu bewundern, als zu fressen, da sprach der Fisch zu ihr: „Weißt du denn nicht, wer ich bin?“ Als die erstaunte Bärin den Kopf schüttelte, erzählte ihr das Fischlein, dass es einst ein schöner Bärenprinz gewesen war, den sie vor fünf Jahren einmal im Wald getroffen hatte. Er sei sofort in Liebe zu ihr entbrannt, aber sie hatte immer nur ihre Lavendelfelder und deren Wiederaufbau im Kopf gehabt.
Vor Unglück er sich in den Bach gestürzt, doch eine Fee hatte ihn gerettet und in einen Fisch verwandelt.
Überwältigt von seiner Liebe warf sie ihn zurück ins Wasser, damit er nicht stürbe, und genau dadurch erlöste sie ihn, er wurde wieder zu einem goldbraunen, schönen Bär. Sie küsste ihn zärtlich, legte ihre Tatze auf seine und wich ihm nie wieder von der Seite.

Gemeinsam überlegten sie, ein Wildrosenbeet anzulegen, so tief im Wald und so gut versteckt, dass kein Mensch es jemals finden würde.

Von Viola Eigenbrodt

 


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