Ja, ich weiß, dass Lilly Lindner in den letzten Jahren eine große Fangemeinde um sich gesammelt hat, und nein, ich glaube nicht, dass dies zu Unrecht passiert ist. Aber was ich mit Die Autobiographie der Zeit in den Händen hielt, kann ich bestensfalls als Mogelpackung und hoffentlich nicht Lindners bestes Buch bezeichnen - das wäre dann doch zu enttäuschend.
Die Grundidee der Geschichte ist nicht übel: vier Jugendliche vom Planeten Winter begegnen dem Tod um anschließend als Urgewalten Raum, Beständigkeit, Abgrund und Zeit auf die Erde zu kommen und ihre "Arbeit" dort zu erledigen. Wie man sich beim Lesen des Titels denken kann, verbringt man alle Kapitel an der Seite der Zeit, die vieles über diese seltsamen Wesen namens Menschen zu erzählen hat, welchen sie auf dem ihr noch fremden Planeten begegnet. An Originalität fehlt es der Autorin also nicht und ich muss gestehen, dass ich anfangs auch noch sehr angetan war, doch dann nahm der "Roman" seinen Lauf.
Ich setze Roman an dieser Stelle in Anführungszeichen, weil man beim Lesen sicherlich häufiger mal vergisst, dass es sich um einen Roman handelt. Glücklicherweise hat der Verlag es vorsichtshalber nochmal auf den Buchdeckel geschrieben, um ja keine Zweifel aufkommen zu lassen. Denn ja, die Geschichte hat einen Anfang, ein Ende und eine Handlung, aber die Erzählung der Zeit kann man bestenfalls als eine Novelle bezeichnen, da sie im Fließtext - lassen wir also alle riesigen weißen Lücken nach einem dreizeiligen Kapitel und die füllenden Illustrationen mal weg - höchstens auf 50 Seiten kommt. Ich habe schon viele Vorgehensweisen von Verlagen beobachten müssen, die vergeblich ein dünnes Buch irgendwie in ein dickes verwandeln wollen, damit der Preis nicht allzu abschreckend wirkt, aber die Leistung von Droemer war in diesem Fall ein wahres Meisterwerk (im negativen Sinne).
Doch würde ich darüber hinwegsehen, wenn der Inhalt jedenfalls das halten würde, was die vielen positiven Rezensionen versprechen: Tiefgründigkeit, Emotionen und das Verlangen, über das Gelesene nachzudenken. Teilweise konnte Lindner das auch bei mir erreichen, allerdings muss ich sagen, dass es viel häufiger vorkam, dass ich die zwei Zeilen eines Kapitels las und erstaunt war, wie man etwas Unwichtiges mit solch einer Schwere versehen kann, dass es eigentlich nur noch gewollt und nicht mehr tiefgründig wirkt. Als hätte die Autorin ihren bisherigen Erfolg nochmals toppen wollen und sich bei dem Versuch wahnsinnig verrannt. Ich fand das Buch zwar nicht schlecht, aber ich kann nur hoffen, dass Sprache und Poesie in ihren anderen Büchern nicht dermaßen aufdringlich aus den Seiten springen. Dann wäre ich auch gewillt, ein anderes ihrer Werke zu lesen.
Lange Rezi, kurzer Sinn...
+Eine originelle Idee, deren Figuren die Menschheit kritisch beleuchten. Manche (in meinen Augen aber eher wenige) der Illustrationen waren ganz hübsch.
-An vielen Stellen einfach zu viel Schwere, zu viel gewollte Tiefgründigkeit, dass ich weder Autorin noch Protagonistin wirklich ernst nehmen konnte. In meinen Augen außerdem eine Mogelpackung, deren Seiten ihren Preis nicht wert sind. Falls ihr mal etwas von Lindner lesen wollt, nehmt lieber eines ihrer anderen Bücher.