Immer wieder versuchten die verfolgten Juden, nachdem sie Kenntnis von der schier unvorstellbaren Tatsache der ‚industriellen’ Vergasung von Menschen hatten, die Öffentlichkeit zu informieren. Zwar machten bereits vor den Deportationen ‚Gerüchte’ die Runde, dass im Osten, das heißt in Polen und nach dem Russlandfeldzug auch darüber hinaus, es zu Massenmorden kommt, auch das Wort ‚Gas’ schwirrte mit in der Gerüchteküche in West- und Mitteleuropa. Doch die Menschen konnten das nicht glauben, wie sollten sie auch. Wenn dann die deportierten Juden um die Vorgänge in den Vernichtungslagern wussten, dann war es für die allermeisten zu spät. Für die Juden, die in Verstecken lebten oder als Partisanen kämpften, war das eigene Überleben schier anstrengend genug, doch versuchten immer wieder vereinzelt einige die Weltöffentlichkeit zu informieren über die Vorgänge in den Vernichtungslagern. Wir wissen Heute, dass solche Informationen durchaus ihren Adressanten in Stockholm, London oder Washington erreichten; wir wissen Heute aber auch, dass von diesen Informationen wenig bis kein Gebrauch gemacht wurde. Da die ‚Informanten’ nicht überprüfen konnten, ob ihre Nachricht überhaupt dort angekommen ist, wohin sie ankommen sollten und auf Grund des Nichthandelns von außen, gingen diese davon aus, dass ihre Nachrichten verloren gegangen sind. Eine durchaus logische Schlussfolgerung. So ging die Vernichtung der zumeist jüdischen Menschen weiter und die nationalsozialistischen Machthaber, ihre Helfer und Unterstützer tobten sich auf perfideste Weise an hilf- und wehrlosen Menschen aus, um dem Wahn einer Volksvernichtung zu folgen. Doch immer wieder flammte in den Menschen der Widerstand gegen das Unvermeidliche auf, so nahmen sie auch die größten Gefahren auf sich, denn den Tod als solches hatten sie ja stets vor Augen.
So auch Rudolf Vrba und Alfréd Wetzler, beide gefangen im Vernichtungslager Auschwitz, beide zur Arbeit selektiert, beide wollten sich mit ihrer Situation nicht abfinden. Rudolf Vrba wurde als Walter Rosenberg am 11. September 1924 im slowakischen Topol'čany geboren. Die Slowakei sagte sich im März 1939 von der Tschechoslowakei los und wurde ein ‚Staat’ von Hitlers Gnaden. Das zeigte sich umgehend am Schicksal der slowakischen Juden, die wie die Juden im ‚Reich’ drangsaliert wurden, durch Entrechtung, Ausgrenzung und Deportation. Bereits im August 1940 wurde den Juden, laut Volkszählung von Ende 1938 nur 29.928 Personen, aber ‚zur israelitischen Religion bekannten sich 87.487 Einwohner’. Der Besuch von Ober- und Hochschulen wurde, wie so vieles andere, Juden untersagt, nur wenige Volksschulen standen ihnen noch offen und für diese anderen hatte die jüdischen Religionsgemeinden aufzukommen. Diese Bestimmungen trafen auch den 15-jährigen Walter Rosenberg, er musste die Oberschule verlassen und sich als Hilfsarbeiter durchschlagen. Im Frühjahr 1942 wollte er außer Landes fliehen, wurde aber verhaftet und zuerst nach Majdanek, dann nach Auschwitz deportiert. Hier bekam er die Gefangenen-Nummer 44.070 und blieb bis zum 10. April 1944 im Lager Auschwitz. Alfréd Wetzler wurde 10. Mai 1918 in Trnava geboren und kam ebenso wie Walter Rosenberg 1942 nach Auschwitz. Dem Slowaken Wetzler erging es in der Slowakei ähnlich wie seinem Freund Rosenberg und als diese sich in Auschwitz wieder trafen, sie kannten sich von früher her, verband sie (wieder) eine tiefe und vertrauensvolle Freundschaft. Trotz der Zwangsarbeit, oder vielleicht wegen dieser, fanden sie die Kraft und den Mut zuerst innerlich zurebellieren, um sich dann einen Plan zur Flucht auszudenken. Was nur äußerst wenigen gelang. Den beiden gelang am 10. April 1944 auf abenteuerlichem Weg die Flucht aus dem Vernichtungslager Auschwitz. Zwar trieb beide jungen Männer das Überleben an, doch das war nur vordergründig, ihr größter Ansporn für ihre Flucht war das Informieren der Weltöffentlichkeit von den Vorgängen im Vernichtungslager Auschwitz und die Rettung der jüdischen Bevölkerung Ungarns, denn sie hatten bereits von den bevorstehenden Deportationen erfahren. Nach der geglückten Flucht machten sie sich sofort daran die Vorgänge in und um Auschwitz niederzuschreiben, dieser 35seitige Bericht auch ‚Vrba-Wetzler-Bericht’ oder ‚Vrba-Wetzler Report’ genannt wurde vom 25. bis 27. April 1944 dem slowakischen Judenrat diktiert und auch gleich ins Deutsche übersetzt. Dieser Bericht ging zunächst an den ‚US-Office of Strategic Services’ (OSS) in London und an den Judenrat von Ungarn. Dem ‚Vrba-Wetzler-Bericht’ wurden noch zwei weitere Teile von Augenzeugen hinzugefügt, die gesamten Informationen gelangten bis nach Washington. Walter Rosenberg nahm nun seinen Partisanennamen Rudolf Vrba vollends an und die Wege der Freunde trennten sich nach der Befreiung durch die Rote Armee.
Die Wirkung des Berichts ist weiterhin umstritten, in den Nürnberger Prozessen wurde daraus nur zitiert, ebenso im Eichmann-Prozess in Jerusalem. In beiden Prozessen wurden weder Rudolf Vrba noch Alfréd Wetzler als Zeugen gehört. Alfréd Wetzler und auch Rudolf Vrba waren Zeugen im ersten Frankfurter Auschwitzprozess 1964, dort wurde von Verteidigern der Angeklagten der Bericht der beiden Geflohenen ‚auseinander’ genommen. Natürlich war der Bericht subjektiv und deren Schätzungen waren die von Häftlingen, so weit sie Einblick in die Vernichtungsmaschinerie hatten. Da die Zahlen des ‚Vrba-Wetzler-Berichts’ nicht mit den Fakten der damaligen historischen Erkenntnissen übereinstimmten, wurde Alfréd Wetzler das Zeugenleben mehr als schwer gemacht. Übrigens nahmen sich damals weite Teile braun gesinnter Menschen der Argumentation der Verteidigung an und versuchten den ‚Vrba-Wetzler-Bericht’ als ‚Lüge’ zu diskriminieren; so wurde auch die Ablehnung des Berichts zu einem Mosaik der ‚Auschwitzlüge’. Doch so leicht ließ sich Alfréd Wetzler nicht beirren, seiner intensiven Schilderung um die Vorgänge im Vernichtungslager Auschwitz fanden Gehör beim Gericht und finden auch im Urteil gegen die angeklagten Massenmörder ihren Niederschlag. Bereits 1945 hatte Alfréd Wetzler ein Buch in Košice unter dem Titel ‚Auschwitz, Grab von 4 Millionen Menschen’ veröffentlicht, das auch den gesamten Vrba-Wetzler-Bericht enthält. Anfang Mai 1945 waren auch Böhmen und Mähren frei, und Rudolf Vrba nahm an der Prager ‚Hochschule für chemisches und technisches Ingenieurswesen’ ein Studium der Chemie und Biochemie auf. Nach dem Studium war er als angesehener Fachmann für Hirnforschung in der Hauptstadt tätig, fühlte sich politisch aber immer weniger wohl, wie er selber schilderte: "Natürlich richtete der Verband antifaschistischer Kämpfer alljährlich einen Erinnerungsabend an die Opfer von Auschwitz aus. Einmal habe ich daran teilgenommen. Man redete vor allem vom Heldentum tschechischer Kommunisten. Dagegen ist nichts zu sagen: Dutzende von ihnen sind, wie auch Hunderte weiterer tschechischer Bürger, umgekommen, weil sie den Nazis bewussten Widerstand entgegensetzten. Ehre ihrem Andenken. Im Laufe des Abends erwähnte jedoch niemand die Tausende tschechischen, nämlichen jüdischen Kinder, die in Auschwitz kaltblütig ermordet wurden und so zu Märtyrern wurden, ob sie es wollten oder nicht. Den ganzen Abend über nahm kein einziger die Wörter Jude oder jüdisch in den Mund. Oder doch, einer tat es, ein honorig aussehender Mann, der zu mir kam und mir zuflüsterte, ob ich es bemerkt hätte, dass »auf dem Podium nur Juden rumhängen«. Ich sagte nichts, es war schließlich die Zeit des Slánský-Prozesses und ich wollte das Schicksal nicht herausfordern. Aber eins wusste ich: Im nächsten Jahr gehe ich nicht wieder hin". 1958 flüchtete er aus der Tschechoslowakei und ging für zwei Jahre nach Israel. In seinen Erinnerungen äußerte er eine gewisse Enttäuschung, nicht einmal in den Memoiren von Chaim Weizmann, dem ersten Staatspräsidenten Israels, fand er eine Erwähnung von Auschwitz, und er fragte sich, "ob diese Tatsache auf ein Desinteresse Weizmanns und seiner Umgebung verweist, oder ob das Wort Auschwitz damals sogar in Israel ein Tabu war". Im Jahre 1960 kam dann eine Einladung nach London, die sein Leben gleich zweifach veränderte: Er machte eine brillante wissenschaftliche Karriere, und er publizierte Aufsätze und Bücher über seine KZ-Erlebnisse. Mitte der1980-er Jahre war er auch in Claude Lanzmanns legendärem Film ‚Shoah’ zu sehen. Erst 1998 gelang es Ruth Linn, Dekanin an der Universität Haifa, eine hebräische Übersetzung von Vrbas Buch herauszubringen im gleichen Jahr verlieh ihm die Universität Haifa ein Ehrendoktorat in Anerkennung seiner heroischen Flucht und seines Beitrags zur Holocaust-Erziehung.
Rudolf Vrba berichtet in seinem Buch: „Ich war 21 Monate und sieben Tage in Auschwitz, also fast zwei Jahre. Natürlich hat es mir dort ab dem ersten Moment nicht gefallen, und die Idee zu flüchten ist langsam gereift. Ich kam dazu, mir zu sagen: Es ist im Grunde möglich. Die Bewachung von Auschwitz war nicht anders als die von Dachau, Sachsenhausen, Oranienburg und anderen KZs, wie sie damals in Deutschland waren. Auch in Majdanek, wo ich vorher war, herrschte dasselbe Prinzip. Natürlich dauerte es lange, bis ich das Prinzip der Bewachung begriffen hatte. Und es dauerte lange, bis ich die Geographie begriffen hatte. Denn niemand hatte mir gesagt, wo Auschwitz liegt. Ich wusste es nicht: Von Majdanek war ich nach Auschwitz gekommen und benötigte lange Zeit zur Orientierung: Auf Waggons, die von Auschwitz abgingen, las ich das Wort ‚Oberschlesien’. Aus Gymnasialzeiten erinnerte ich mich an ‚Mährisch-Schlesien’, ‚Oberschlesien’ konnte also nicht in der Tschechoslowakei liegen – ich schloss auf die weitere Umgebung von Mährisch-Ostrau. Gefragt habe ich niemanden, denn dadurch wäre aufgefallen. Nach der Geographie von Auschwitz zu fragen, war lebensgefährlich. Ich war damals 18 Jahre alt. An Flucht hatte ich ab dem ersten Tag gedacht, aber gereift ist der Entschluss erst 1944. Da wusste ich sicher, dass ich es versuchen werde, ob es gelingt oder nicht. Die Sache war, dass Auschwitz ein Bewachungssystem besaß, dem die Nazi fest vertrauten. Aber nichts ist perfekt, und das System hatte eine Schwäche, und auf diese habe ich gebaut. [...] Bei mir war Alfred Wetzler, der im Lager B II untergebracht war – B für "Bauabschnitt" Sektion d, ich war B II a. Wir hatten uns von Kindheit an gekannt und zwischen uns bestand absolutes Vertrauen. Außerdem waren wir 650 Mann aus der Stadt Trnava, wo wir alle gewohnt hatten, aber nur wir beide waren noch am Leben. So etwas schließt noch mehr zusammen, zumal er in Auschwitz schon drei Brüder und Vater und Mutter verloren hatte. [...] Wir "organisierten" also ein dreiviertel Kilo russischen Machorkas, auch Benzin, in dem wir den Machorka tränkten und trocknen ließen. Als wir dann unser Bretterloch bestiegen, da habe ich die ganze Umgebung mit dem Machorka präpariert. Am 7. April 1944 gingen wir hinein, es war ein Nachmittag, polnische jüdische Häftlinge deckten das Versteck zu. Von außen sah es wie ein normaler Stapel aus. Dort blieben wir und kehrten nicht in die "kleine Postenkette" zurück. Jetzt war Zählappell, wir waren nicht da, und bald fand man heraus, dass wir aus der derselben Stadt stammen. Die Sirene heulte los, die Lagerleitung war überzeugt, dass wir noch innerhalb der "großen Postenkette" sein mussten, also: Hunde heraus! Drei Tage wurde das Gelände durchgekämmt, aber immer, wenn die Hunde an unser Versteckt kamen, nahmen sie wieder Reißaus. Das Mittel wirkte also. So ging es drei Tage und drei Nächte. [...] Als sie uns nach drei Tagen und drei Nächten nicht gefunden hatten, sagten sie sich, dass wir nicht mehr da seien. [...] Jetzt waren wir frei!“ Und weiter berichtet er: „Die Passivität zahlloser jüdischer Mütter und Väter, die ihre Kinder an der Hand zu dem elenden Tod in den Gaskammern von Auschwitz brachten, war keineswegs die Folge ‚jüdischer Minderwertigkeit’, wie es Nazis behaupteten. Auch war es nicht die Folge einer Unfähigkeit, die Wahrheit zu begreifen, was manche heutige israelische Historiker wie z.B. Jehuda Bauer sagen. Die Juden neigten zu der Hoffnung, dass sie durch Gehorsam der zunehmenden Gewalt in ihrer Heimat entrinnen könnten. Sie huldigten sogar dem optimistischen Glauben, größere Sicherheit zu finden, wenn man sie in weniger gefährliche so genannte ‚Umsiedlungsgebiete’ deportierte, wo ihre Kinder vielleicht eine Chance in irgendwelchen Judenreservaten im Osten bekommen würden, den Krieg zu überleben. Mit solchen Erwarten wurden die Juden in die Deportationszüge hinein gelogen und hereingelockt. Als sie in Auschwitz ankamen und erkannten, dass man sie belogen hatte, dass sie nicht in einem Umsiedlungsgebiet sind, sondern in einem Mordlager, meist schon unmittelbar vor den Gaskammern und den Krematorien, da hatten sie nur noch eine Wahl: endlos gequält zu werden oder auf eine weniger komplizierte Art zu sterben. Oft wurden sie umgebracht, ermordet und beraubt, bevor sie Zeit hatten, sich die Alternativen klar zu machen. Denn die Schnelligkeit des ganzen Prozesses, das war ein notwendiger Teil der Technik des Massenmordes, wie sie die Nazis in Auschwitz und anderen Schinderstätten des Dritten Reichs praktizierten. Damals glaubte ich, es würde einen erheblichen Unterschied machen, wenn es mir gelänge, aus Auschwitz auszubrechen und in der Welt draußen die Wahrheit über das Geschick der potentiellen "Kandidaten für die Umsiedlung" zu verbreiten. Das Geheimnis wäre gelüftet und damit die entscheidende Voraussetzung des störungsfreien Ablaufs der Massenmorde beseitigt. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel an meiner Fähigkeit, die Außenwelt über die Realitäten von Auschwitz aufzuklären. Wenn die Opfer schon zu Hause wüssten, dass man ihre Kinder ermorden wird, dann würden sie nicht freiwillig in die Züge gehen. Ich sage nicht, dass sie dadurch gerettet wären, aber es ist ein großer Unterschied, ein ahnungsloses Opfer heimtückisch zu ermorden, oder jemanden umzubringen, der weiß, dass man seine Kinder töten wird. Und wenn tote Kinder nicht in Auschwitz insgeheim verbrannt werden, sondern, sagen wir, direkt auf den Straßen von Budapest oder Bratislava, dann wird auch die Bevölkerung aufwachen: Die machen das heute mit den Juden – was werden sie morgen mit uns machen? Das war meine Idee: Das Durchbrechen des Geheimnisses von Auschwitz würde das Morden vielleicht nicht beenden, aber es erheblich erschweren.“
Dies war auch die Motivation für den Vrba-Wetzler Report.