Regisseur Michael Winterbottom wagt sich an einen höchst brisanten Stoff für Die Augen des Engels. Ausgangspunkt seiner Inszenierung ist einer der medienwirksamsten Mordfälle der jüngsten Vergangenheit. Der Fall der Amanda Knox als den „Engel mit den Einsaugen“ populär machte.
Aufbauend auf dem realen Medienrummel um den Tod der jungen Studentin Meredith Kercher in ihrer italienischen Wohnung im November 2007 und dem Trubel um Schuld oder Unschuld ihrer Mitbewohnerin Amanda Knox und deren Freund Raffaele Sollecito (beide wurden im März 2015 endgültig frei gesprochen, nachdem sie zuvor verurteilt worden waren) ist Die Augen des Engels aber alles andere als ein Kriminalfilm.
Die Hauptfigur des Films, der deutsche Regisseur Thomas Lang (Daniel Brühl), hat seit längerer Zeit keinen erfolgreichen Film mehr gedreht. Angetrieben von einem Buch der Journalistin Simone Ford (Kate Beckinsale), welches sich mit einem medienwirksamen Kriminalfall auseinandersetzt, soll ihm mit seinem neuen Projekt ein ersehntes Comeback gelingen. Gemartert von persönlichen Problemen beginnt er in Siena den Mord an der amerikanischen Studentin Elizabeth Pryce (Sai Benett) aufzuarbeiten. Alsbald nach dem Mord sind für die italienischen Ermittler die möglichen Täter in der Mitbewohnerin Elizabeths Jessica Fuller (Genevieve Gaunt) und deren Freund Carlo Elias (Ranieri Menicori) gefunden. Je mehr sich Lang allerdings mit dem Mord beschäftigt, desto schwerer fällt es ihm, eine klare Linie für seinen Film zu finden. Immer mehr verstrickt er sich in den Fall, trifft dabei auch auf den geheimnisvollen Blogger Edoardo (Valerio Mastandrea) und die Austauschstudentin Melanie (Cara Delevingne), die ihm den Schlaf rauben. Geplagt von Alpträumen und Drogenräuschen scheint er seinem Wahn kaum noch entfliehen zu können.
Der Film wird die Filmgemeinde spalten, in jene, die ihn gut finden, weil unkonventionell und in die, die der ziellosen Story nichts abgewinnen können. Die Augen des Engels tanzt aus der Reihe, denn Winterbottom stellt zwar die richtigen Fragen, unter anderem warum die Menschen von diesem Fall so fasziniert sind, doch gibt er keine Antworten. Die Frage nach Schuld oder Unschuld von Jessica Fuller (oder ihrem Realbild Amanda Knox) wird zwar angedeutet, jedoch nicht wirklich gestellt. Der Prozess wird weitgehend links liegen gelassen und stattdessen, nach vielen möglichen Ansätzen für eine Hauptfigur, der Regisseur Thomas, mit seinen eigenen persönlichen Problemen, in den Mittelpunkt gestellt. Dies treibt das auf einer realen Begebenheit basierende Werk viel tiefer in die Fiktion als nötig, obwohl ein Großteil an wahrheitsgetreuen Fakten eingearbeitet wurde. So etwa die Inspiration für Winterbottoms Geschichte, dem Buch Angle Face von Barbie Latza Nadeau, die im Film von Kate Beckinsale verkörpert wird. Trotz der Ideenquelle bleibt Die Augen des Engels ein Film über einen Film und nichts weiter.
Auffällig ist Die Augen des Engels aufgrund seiner dunklen Atmosphäre. Die Drehorte unterstreichen die düstere Stimmung und wären wie gemacht für einen schaurigen Mysteryfilm. Dunkle musikalische Töne, gemeinsam mit Szenen die zumeist Nachts spielen, unterstützen die Mystik der Geschichte. Die Traumsequenzen des Hauptprotagonisten lockern den Plot auf erfrischende Weise auf, stellen so weitere spannungsgeladene Szenen dar. Doch mit der eigentlichen Story haben sie nichts zu tun und scheinen dadurch überflüssig. Das Schauspielerensemble harmoniert gut miteinander. Die Charaktere wirken glaubwürdig und interessant. Vor allem Cara Delevingnes Melanie hinterlässt großen Eindruck.
Konstant hält Winterbottoms Werk die Spannung, führt diese jedoch nirgendwo hin. Die Augen des Engels ist weniger eine vollendete Erzählung, sondern eher eine Aufgabe für die eigene Fantasie um die Geschichte für sich selbst zu Ende zu führen. Für das schon als provokativ zu bezeichnende Vorgehen des Regisseurs verdient der Film einen Blick, hinterlässt aber keinen tiefschürfenden Eindruck.
Regie: Michael Winterbottom, Drehbuch: Paul Viragh
Darsteller: Daniel Brühl, Kate Beckinsale, Cara Delevingne, Valerio Mastandrea, Genevieve Gaunt
Filmlänge: 103 Minuten, Kinostart: 22. Mai 2015