Galina Ustwolskaja, russische Ausnahmekomponistin, die 2006 im Alter von 87 Jahren verstarb, war bei den Wiener Festwochen ein Schwerpunkt gewidmet. „Hommage an Galina Ustwolskaja“ waren die insgesamt vier Konzerte übertitelt, die am 31. Mai und am 1. Juni im Konzerthaus gespielt wurden.
Galina Ustwolskaja war ein Abend bei den Wiener Festwochen gewidmet. (Foto: © Sikorski Musikverlage)
Dabei kamen am 1. Juni im Konzert Nr. 3 alle sechs Klaviersonaten zur Aufführung. Niemand geringerer als Markus Hinterhäuser, derzeitiger Festwochenchef, interpretierte dieses pianistische Vermächtnis mit einer ganz besonderen Note. Spielte er doch alle sechs Sonaten ohne jegliche nennenswerte Pausen so knapp hintereinander, dass man zwischen den einzelnen Werken nicht mehr unterscheiden konnte. Dieser ganz spezielle, persönliche Zugang ermöglichte es, die kompositorische Entwicklungsgeschichte ganz blank nachzuvollziehen. Dabei wurde vor allem ein Kompositionsprinzip deutlich: Der häufige, fast zwanghafte Wechsel zwischen langsamen und schnellen Sätzen, zwischen Satzteilen im absoluten Pianissimo und solchen, die danach mit Brachialgewalt jede Zartheit von sich wischten. Aber auch der frühe Zugang zu historischem Tonmaterial wie die Bach´schen Fugen, die noch in den ersten Sonaten von Ferne nachklingen, hin zu einer Entwicklung, die eine immense Tongewalt in das Instrument wirft, die nur mehr durch den Einsatz der Unterarme auf der Klaviatur zu erreichen ist, wurde dabei deutlich. Hinterhäusers Hingabe und Konzentration, die sich mit jeder neuen Sonate noch weiter steigerten, überzeugte das Publikum restlos. Gerade in der letzten Sonate wird deutlich, dass die Komponistin weit entfernt von jeder Altersmilde agierte. Vielmehr meint man, Ustwolskaja hätte darin unbändige Kraft aber auch Wut und Enttäuschung musikalisch gebündelt. Frenetischer Applaus machte deutlich, dass Ustwolskaja in Hinterhäusers Interpretation zum Publikumsliebling avancierte. Erst im vergangenen Oktober trat Tomoko Mukaiyama anlässlich von Wien Modern mit der 5. und 6. Sonate bei einem „Tanzkonzert“ auf, was eine wunderbare Vergleichsmöglichkeit der beiden so unterschiedlichen Interpretationsvarianten ermöglicht. Hinterhäusers Stärke liegt in der glasklaren Analyse jedes einzelnen Satzes, dessen Struktur dadurch für das Publikum auch ohne vorliegendes Notenmaterial nachvollziehbar wird. Mukaiyama hingegen, die mit ihrer körperbetonten Performance einen ganz anderen Ansatz vertritt, steigt mit ihrer ganzen Körperlichkeit in den pianistischen Ring, um dort schonungslos gegen sich selbst jene Erschütterungen nach außen zu kehren, die sie in Ustwolskajas Musik vernimmt.
Das zweite Konzert des Abends, das vom Klangforum Wien unter Peter Rundel gestaltet wurde, wartete mit vier gänzlich unterschiedlichen Werken auf. Zu Gehör brachte das Ensemble die Symphonie Nr. 4 – Gebet für Trompete, Tam-Tam, Klavier und Alt sowie die Symphonie Nr. 5 – Amen – für Sprecher, Oboe, Trompete, Violine und Schlagzeug. Ustwolskaja betitelte beide Werke als Symphonie, obwohl sie nur jeweils mit einem Satz auskommen. In beiden Symphonien wirken die Stimmpartien wie Beschwörungsformeln, verwandelt sich liturgischer Text zu eindringlichen unter die Haut gehenden lyrischen Gebilden. Was Ustwolskaja hier gelang, ist eine völlig neue Definition religiöser Musik, die teilweise durch ihren einfachen Aufbau auch in die Nähe des musikalischen Verständnisses von Arvo Pärt rückt .
Marino Formenti ergänzte das Klavierwerk der Komponistin an diesem Abend mit ihren 12 Präludien, sind sie doch neben den sechs Sonaten die einzigen Stücke die Ustwolskaja für dieses Instrument geschrieben hat. Klar und eindringlich, streckenweise zart und verhauchend, dann wiederum mit jazzigen Anklängen oder laufgewaltig von einer in die andere Hand, halten die Präludien eine enorme Bandbreite an technischen Herausforderungen aber auch emotionalen Schattierungen parat. Zur Hochform lief Formenti im Anschluss mit Nicolas Altstaedt auf. Gemeinsam tauchten sie in das Große Duett für Violoncello und Klavier ein und fesselten mit Voranschreiten der Sätze das Publikum immer mehr und mehr. Wilde Kraft, nervöse Triller, eine Aneinanderreihung von einfachen Tonfolgen aber auch die Brutalität eines wilden Striches im Cello bis hin zu einer atemlosen Hetzjadt machten abermals deutlich, dass Ustwolskaja sich niemals mit Kompromissen zufrieden gab. Die vergebliche Herausforderung zu reagieren, die am Schluss des letzten Satzes vom Klavier ans Cello gestellt wird, bleibt von diesem unbeantwortet. Die übermütigen Sprünge im Diskant, die Formenti trocken seinem musikalischen Partner entgegenschleuderte wurden ganz unerwartet durch die ruhige Verfassung des Cellos nivelliert – bis dieses zum Schluss völlig schweigt. Einfach nur beeindruckend.
Ein Ausnahmeabend – wie kann es bei dieser Komponistin auch anders sein – mit hohem Erkenntniszuwachs.