Die Astronautin

Von Knitterfee

Ein kleines Vorwort:
Eigentlich wollte ich mir noch etwas länger Zeit lassen, diese Geschichte zu veröffentlichen.
Es wird jedoch zunehmend schwieriger, keine öffentlichen Rants über Schwangerschaft und Selbstbestimmtheit sowie Low Carb Ernährung zu schreiben. Und weil ich nicht will, dass die ersten Berichte über die Astronautin sich darauf beziehen, wie blöd die Welt manchmal zu ihr und ihrer Mama ist, erhaltet Ihr nun den Bericht über unsere dritte ICSI.

Übrigens: Nein, wir wissen nicht, “was es wird” und wir wollen es auch nicht wissen.
Warum wir das Baby die Astronautin nennen, erkläre ich am am Ende.

Stimulation

Es ist Freitag, und eigentlich hat der Zyklus noch gar nicht angefangen. Auf meine Periode warte ich noch. Nachdem wir bei unserem letzten Fehlversuch in der alten Klinik erst sehr spät mit dem Monitoring angefangen hatten, möchte ich diesmal engmaschigere Überwachung.

Seit etwa 3 Monaten nehme ich Metformin – in der 1000er Dosierung lief alles sehr entspannt, die Steigerung auf 1500mg war eine Herausforderung, aber nun läuft auch das gut. Die eigentlich geplante Steigerung auf 2000mg habe ich versucht anzugehen, jedoch wieder aufgegeben.
Zudem hat die neue Klinik noch eine erweiterte Genetik gemacht und festgestellt, dass ich eine Thrombophilie haben könnte, also eine leichte Gerinnungsstörung.
Der Ultraschall an Zyklustag 0 zeigt 3 Follikel rechts und 4 links, Samstag kommt dann meine Periode und ich bin froh, dass wir Freitag einfach schon einmal da waren, Medikamente aus der Apotheke besorgt haben und ich mich gut aufgehoben fühle.
Ich beginne mit der Stimulation an Zyklustag 2 mit 250 Einheiten Puregon, melde am Zyklustag 4 meinen ersten Zyklustag in der Klinik und am 5. Zyklustag sind wir bereits zum nächsten Monitoring-Termin vor Ort.

Der Ultraschall zeigt 4 Follikel rechts und 6 links. Wie immer ist links aktiver.
Zusätzlich zur Stimulation mit Puregon, weiterhin 250 Einheiten mit Pen, soll ich nun mit Menogon HP stimulieren (“1 Pulver 1 Wasser” – Bastelset).

Während der Stimulationsphase verliere ich wieder vollständig mein Körpergefühl, fühle mich wie ein Roboter. Meine Seele ist irgendwo anders. Das Gefühl ist kaum zu beschreiben, weil es sich eben kaum nach etwas anfühlt. Es ist, als wäre ich nicht da, als wäre ich gar nicht beteiligt.
Ich weiß nicht, ob das einfach an dem bereits existenten Trauma liegt oder ob die neue Medikamentenzusammenstellung mit daran Schuld ist.

Ich will mich beschützen

Es wird alles anstrengender. Ich erzähle nur 3 Personen von diesem Behandlungszyklus, schreibe keine Artikel oder Tweets, die es verraten könnten. Ich habe so lange Energie in meinen offenen Umgang mit unserem Kinderwunsch gesteckt, und diesmal will ich meine Energie in unsere Behandlung investieren und nicht in Ärger über die blöden Kommentare von fremden Menschen.
Am schlimmsten sind die auf Youtube. Ich machte die Videos doch, um anderen zu helfen und einen realistischen Einblick in die Höhen und Tiefen von Kinderwunsch-Behandlungen zu vermitteln. Stattdessen fragen mich Menschen, wann ich denn endlich mal wieder ein Video posten würde, und wenn ich dann sage dass mein Leben keine Unterhaltungsshow ist, ist man da anderer Meinung. Ich solle eben keine Videos machen, wenn ich dann keine Updates nachliefern würde. Als hätte man ein Anrecht auf die Teilhabe am Leben anderer, nur weil man mal auf einen Link geklickt hat.

Ich will mich vor alledem diesmal beschützen.
Christoph und ich nehmen vereinzelt Video-Updates auf, um später etwas zu haben, woran wir uns erinnern können.

Taubheitsgefühle 

Am Zyklustag 10 beginne ich mit der Downregulation mit Orgalutran, das bedeutet nun also 3 Spritzen am Tag, einmal Pen, einmal Bastelset und einmal Fertigspritze. Es ist mir egal, ich fühle nichts, und die einzige Herausforderung ist, noch freie Stellen am Bauch zu finden. Der Ultraschall zeigt sowohl links als auch rechts 7 Follikel, mindestens sagt unsere Ärztin, mehr zu sehen ist schwierig und nun geht es wohl hauptsächlich um die Größe der Leitfollikel. Sie sind 15 und 16 mm groß.
Ich erinnere mich nicht mehr an viel. Ich verabrede mich für Mittwoch mit einer meiner liebsten und langjährigsten Freundinnen, die nach vielen persönlichen Rückschlägen endlich ihr erstes Kind erwartet. Ich fühl mich nicht, aber ich brauch Gefühl.

Ein weiterer Ultraschall am Mittwoch, Zyklustag 12, ergibt weiterhin 7+ Follikel pro Seite. Die Leitfollikel sind gewachsen auf 20 mm. Die Punktion wird schon für Freitag festgelegt.

Ich fahre direkt nach dem Termin nach Altona zu meiner Freundin, und ich freu mich für sie, und sie sieht so süß aus mit ihrem Bauch. Ein bisschen Normalität, zusammen Mittagessen und etwas Babydust abbekommen tut gut.

Abends terrorisiert uns eine Nachbarin aus dem zweiten Stock mit lauter Musik, die man bis in unsere oberste (fünfte) Etage unter dem Dach hören kann. Diese Nachbarin öffnet nicht einmal die Tür, wenn man klingelt. Sie ist, so erzählt man sich, Alkoholikerin und arbeitsunfähig. Und mit unserem Vermieter befreundet. Tolle Kombination.

Auslösen, Punktion, Erwachen

Ich nehme also mein Brevactid – das Eisprung-auslösen-Bastelset mit ins Bett, löse um 21 Uhr wie vorgegeben den Eisprung aus, packe mir Ohropax in die Ohren und schlafe.

Am 13.  Zyklustag ist nicht viel los, und viel anzufangen weiß ich auch nicht mit mir.

Zyklustag 14 um 10 Uhr. Punktion. Die Anästhesistin macht nicht viel Heckmeck, und bevor ich irgendetwas realisiere, bin ich auch schon wieder wach und erkläre einer der Praxismitarbeiterinnen wie schön sie ist (was auch wirklich so ist. Ein schöner Mensch, aber rundum, mit Seele und allem drum und dran.)
Sie sagt mir, dass 11 Eizellen gewonnen werden konnten und ich breche in Tränen aus vor Erleichterung.

Nachdem meine Aufwachraum-Mitbewohnerin bereits gegangen ist, darf Christoph zu mir. Ich esse erstmal was und kippe Wasser in mich rein. Ausserdem hänge ich an einem Tropf – das kannte ich aus der alten Klinik so auch nicht. Ich finde es befremdlich, aber auch irgendwie praktisch.
Ich lasse mir nochmal Schmerzmittel nachschießen – ich bin Heldin genug, ich brauche nicht Heldin zu spielen.

Dann ein kurzes Abschlussgespräch mit unserer Ärztin: Leider waren nur 5 von den 11 Eizellen reif. Was war da schon wieder los? Wir wissen es nicht.

Wir fahren mit dem Taxi nach Hause und ich versuche zu schlafen, kann aber nicht. Ich bin zu nervös und habe Angst, dass wir eine Nullbefruchtung haben werden.
Am Samstag Anruf des Labors. Eine Eizelle ließ sich befruchten. Hinweg die Hoffnung auf Kryo-Embryos, darauf, nicht nochmal durch die Stimulation gehen zu müssen.

Aber der eine Embryo. Den bekommen wir Montag zurück. Okay.

Ein 8-Zeller ist besser als kein 8-Zeller

Das Wochenende über verkrümel ich mich und rede mit niemandem. Ich habe das Gefühl, wir haben schon wieder versagt, ich hab nicht genug reife Eizellen produziert und Christophs Spermien sind halt auch nicht der Burner, und meine Hoffnung ist hinweggewischt.

Montag Mittag, Zyklustag 17, erscheinen wir zum Transfer. “Sie wollten ja sowieso nur einen transferieren” sagt unsere Ärztin. Ich wusste, dass sie das sagen würde, aber das tröstet mich jetzt nicht so wirklich. Es ist ja nicht der Punkt. Wir hätten gern noch wenigstens zwei eingefroren, um die Strapazen zu verringern für einen nächsten Versuch.

Wir haben uns für Assisted Hatching entschieden – und wir bekommen einen traumhaft schönen 8-Zeller zurück. Wie aus dem Lehrbuch.

Ich bekomme zusätzlich zum Standardprogramm – Progesteron und Estradiol – nun auch noch ASS Mini wegen meiner eventuellen Gerinnungsstörung.
Ausserdem sieht man beim Ultraschall, dass meine Eierstöcke noch stark vergrößert sind und ich werde weiterhin zu mindestens 3 Liter Wasser und eiweißreicher Ernährung ermahnt. Nicht schwer für mich – in der Zeit nach der Punktion sehe ich das trinken wie die Einnahme der Medikamente, es sind 3 Liter Wasser die mindestens rein müssen, und die trinke ich dann eben.
Die Warteschleife beginnt. Ein paar billige Schwangerschaftstests verbrauche ich noch, um das HCG rauszutesten und bestelle dann die Geratherm Tests. 3 Stück, ausreichend um das HGC rauszutesten, aber nicht in den totalen Testwahn zu verfallen. Meine Eierstöcke fühlen sich immer noch extrem schwer an, gerade beim hinsetzen. Fahrradfahren lasse ich noch sein, mein Beckenboden fühlt sich ausgeleiert an.
Meine positive Einstellung zum Beginn des Zyklus ist stark getrübt. Von 14+ Follikeln auf 11 Eizellen auf 5 reife Eizellen auf nur einen Embryo – und genau der soll sich dann festbeißen? Unwahrscheinlich.

Auf die Plätze, Entspannen, Zack!

Mir fällt auf, dass ich gar nicht erwähnt habe, dass ich mich während der Punktionsphase auch mit Akupunktur behandeln lassen habe. Eigentlich hätte ich direkt vor dem Transfer nochmal eine Akupunkturbehandlung haben sollen, aber die Ärztin konnte nicht in die Kinderwunschklinik kommen, und auch nicht in ihrer Praxis sein. Ich hätte in eine völlig fremde Praxis am Berliner Tor fahren müssen, und ich beschließe am Wochenende vor der Punktion, dass mir das zu viel Stress wäre, und mich nicht sonderlich entspannen würde.

Grundsätzlich muss ich sagen, dass die Akupunktur gut war, aber ich hatte auch nicht das Gefühl, besonders entspannt zu sein. Eine Stunde irgendwo rumzuliegen und mich auf Knopfdruck bzw. Nadelpieks zu entspannen, funktioniert irgendwie nicht.

Rausgetestet

Am 20. Zyklustag ist auf dem Geratherm-Test nur noch ein kaum sichtbarer Schatten zu sehen – das HCG der Auslösespritze scheint also aus meinem Körper raus zu sein.

Ich beschließe, mich einige Tage in Ruhe zu lassen und nicht weiter zu testen. Die Nebenwirkungen von Progesteron und Estradiol tun ihr übliches Schwangerschaftssimulations-Teufelswerk. Ich backe Kekse. Low-Carb-Kekse natürlich. Die Brüste tun weh, mir ist schwummrig im Bauch, müde und mimimi bin ich auch.

Reingetestet.

Am 24. Zyklustag teste ich. Da ist ein Schatten, stärker als der vom letzten Mal. Ich denke “what the fuck” und lege den Test weg. Am 25. Zyklustag teste ich wieder mit Geratherm. Der Strich wird stärker. Ich bin verwirrt – das kenne ich nicht. Ich kenne nur “kein Strich”  und “nicht schwanger” und verstehe die Welt nicht mehr.

Es dämmert mir, dass es geklappt haben könnte, bin aber irgendwie aus Gewohnheit total skeptisch. Christoph ist ebenfalls sehr skeptisch. Und verwirrt.

Am 26. Zyklustag wühle ich meinen Clearblue Digital aus dem Badezimmerschrank. Das ist der Test, den ich seit Beginn unserer Kinderwunschbehandlungen aufhebe, für den Fall dass ich mal ziemlich sicher sein kann, dass da “schwanger” stehen wird.

Und dann der Gedanke: Am Samstag ist Essen mit der Familie. Wenn ich dann nichts trinke, ist das verdächtig. Ich trinke IMMER bei meinen Schwiegereltern, spätestens wenn meine Schwiegermutter den Amaretto aus dem Schrank holt, werde ich schwach. Und zum Bluttest in die Klinik darf ich erst am Montag. Das halte ich nicht aus.

Ich rufe also noch Donnerstag Abend in der Kinderwunschklinik an und frage, ob ich Freitag schon zum Test kommen darf. Ich darf, mit dem Hinweis dass ich Montag auf jeden Fall nochmal reinkommen muss, egal wie das Ergebnis ist.

Also fahre ich Freitag morgen zur Kinderwunschklinik, lasse mir Blut abzapfen und treffe mich zum Mittagessen mit Christoph. Um 13:30 Uhr soll ich anrufen.

Wir sitzen im Tandur gegenüber von der Rindermarkthalle, ich kann meinen Dönerteller nicht mal zur Hälfte aufessen vor lauter Aufregung.

Ich rufe um 13:26 Uhr an und das Team ist noch nicht aus der Besprechung zurück. Ich rufe um kurz nach halb zwei nochmal an.

Positiv. Herzlichen Glückwunsch.

“Bitte kommen sie Montag nochmal wieder.” Ich bin immer noch verwirrt.

Am Samstag treffen wir den Christoph-Teil der Familie. Schwiegereltern, Schwager, Schwägerin. Ein Bild vom 8-Zeller mit in die Geschenktüte gelegt, als alle verstehen was das heisst, große Freude. Danach erstmal unaufgeregte Normalität. Ein Spieleabend und gutes Essen. Einfach schön.

Zyklustag 31, der zweite Bluttest. Nachmittags anrufen, der HCG liegt bei 559. Sieht alles gut aus.
Ich versuche, erst einmal alles sacken zu lassen, kann aber nicht so richtig glauben, dass es tatsächlich geklappt haben soll. Die schlechte Quote hatte mich innerlich irgendwie schon aufgeben lassen.

Besonders scharf auf weitere Ultraschalle bin ich ohnehin nicht, und ich ahne schon, dass meine Gynäkologin und ich bei vielen Themen nicht einer Meinung sein werden, also vereinbaren wir einen Termin für ein Abschlussgespräch und Ultraschall in der Kinderwunschklinik.
Ich habe das Bedürfnis nach einem Bild, einem Herzschlag, auch für Christoph.
So sitze ich nach nicht ganz 3 Jahren Kinderwunschzeit, nach 3 ICSI, 4 Embryotransfers, 10 Ärzten, die mir transvaginale Ultraschalle verpassten, zahllosen Blutentnahmen und Untersuchungen, wieder auf dem Stuhl meiner Ärztin und sehe die Astronautin.

“Möchten Sie das aufnehmen?”

Sehe ihren Herzschlag, wir können ihn sogar hören. Die Ärztin sagt “möchten sie das aufnehmen?” und ich denk mir nur, das vergess ich nie wieder, es hat sich eingebrannt in mein Hirn (auch wenn ich sonst alles vergesse).

Unser Kind hat den gleichen Takt wie Born Slippy von Underworld aus dem Trainspotting Soundtrack. 140 bpm. Und es sieht aus wie ein Astronaut, sagt die Ärztin. Find ich auch besser als Gummibärchen.

Und weil Mädchen auch Astronauten sein können, nennen wir sie die Astronautin.
Bis sie zur Welt kommen wird, dauert es noch eine ganze Weile. Welche Weile, werde ich nicht verraten.

Der errechnete Termin ist ein errechneter Termin, ein Anhaltspunkt, einer an den sich unser Kind sicherlich nicht halten wird, wenn es auch nur ein bisschen so ist wie wir.
Es wird von mir keine Instagram-Posts geben, auf denen ich eine Karte mit der entsprechenden Schwangerschaftswoche vor meinen Kugelbauch halte, keine Schwangerschafts-Updates mit genauer Dokumentation meiner Nebenwirkungen und Beschwerden oder meines Gewichts oder “was meine Ärztin” gesagt hat. Es wird keine Obst-Größenvergleiche geben oder andere Dinge, die durchaus ihre Daseinsberechtigung haben, aber eben einfach nicht so meins sind.

Aber: es wird von mir Instagram-Posts geben mit Essen, das Schwangere nicht essen “dürfen”, und ich fahre Fahrrad (gut für den Beckenboden!), und ich werde weiterhin Kaffee trinken und überhaupt wird es alles ganz ganz schrecklich unverantwortlich.

Irgendjemand muss dem Kind ja beibringen, wie man ein Mensch wird, der für sich und seine Überzeugung einsteht.
Deswegen wird es Blogartikel und Tweets geben, in denen ich mich über Ärzte und andere Medizinmenschen aufrege (ausgenommen Hebammen. Ihr rockt.), und vielleicht halte ich auch mal die Wampe in die Kamera, die allerdings jetzt schon weitaus größer aussieht als ich in Wochen bin. Ich hab durch die Speckschicht ja mindestens 4 bis 6 Wochen optischen Vorsprung.

Nun denn, freuen wir uns auf eine Zeit mit ungefragten Ratschlägen und übergriffigem Verhalten – was meint Ihr, soll ich einen “Leute die mir ungefragt an den Bauch gefasst haben” Counter irgendwo einbauen?