Die Asozialen hinter "Die Asozialen"

 

Es gibt Bücher, die hat man gelesen, auch wenn man sie nicht gelesen hat. Will heißen: Wenn man den Titel vor sich liegen hat, die Buchklappen überfliegt, dann weiß man schon, was auf den nächsten Seiten folgt. Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren von Walter Wüllenweber ist so ein ungelesen gelesenes Buch.
These seines geistigen Elaborats ist es, dass Oben und Unten auf Kosten der Mittelschicht lebten. Die Unterschicht hätte keine bürgerlichen Wertvorstellungen mehr, würde in den Tag hineinschmarotzen und Steuerzahler betrügen, gleichwohl die Oberschicht sich in eine Parallelwelt abgrenzt. Erstaunlich findet Wüllenweber, dass diese "gegenüberliegenden Enden der Gesellschaft" ähnliche Entwicklungen nehmen. Beispielsweise, dass zwischen Leistung und Erfolg kein Zusammenhang mehr herrschte oder der Beschiss zur Lebensart würde. Die einen betrügen das Finanzamt, die anderen beim Sozialamt - was mindestens ungefähr dasselbe sei.

All das geschieht freilich zulasten der anständigen und unbescholtenen Menschen, der so genannten Mittelschicht, die der wahre Motor der Gesellschaft ist. Und der gerät mehr und mehr ins Stottern aufgrund dieser parasitären Auswüchse jenseits der Mitte. Es ist schon makaber, dass Wüllenweber Ober- und Unterschicht gegenüberstellt und gleichsetzt. Geschenkt an dieser Stelle, dass er Oberschicht generalisiert, anders als Krysmanski das in seinem Buch tat. Dergleichen Detailiertheit darf man jedoch von ihm nicht verlangen. Gleichfalls die Unterschicht, die er zeichnet, in der alle betrügen und im bescheißenden Wettbewerb mit dem Sozialamt stehen. Die kürzlich veröffentlichten Zahlen, wonach 97 Prozent aller Leistungsberechtigten nach SGB II keinerlei Pflichtverletzungen begingen, wonach sogar 99 Prozent keinerlei Arbeitsverweigerung leisteten, dürften für Wüllenweber irrelevant sein. Dass der eklatante Steuerbetrug und eine Koalition, die fortgeschaffenes Schwarzgeld bei Rückführung dezent pauschal besteuern und damit Straffreiheit gewähren möchte, ein ganz anderes Kaliber von Betrug ist, kommt ihm freilich auch nicht in den Sinn.
Für die, die Wüllenweber Oberschicht nennt, ergeben sich ganz andere Betrugsmöglichkeiten, als für jene, die Unterschicht sind. Und es ergeben sich qua finanzieller Ausstattung Möglichkeiten, sich Rechtsberatung zu engagieren, fast lückenlose Vertuschungs- und Alibioptionen zu installieren. Kein Hartz IV-Empfänger könnte so vollständig und gefahrlos auch nur einen Betrug um zwei oder drei Hunderter begehen. Ein reuiger Betrüger, der seinem Jobcenter seinen Betrug gestehen würde, erhielte auch keine Straffreiheit, sondern müsste sich mit dem Staatsanwalt auseinandersetzen.
Reden wir nicht über betrügerische Leistungsberechtigte nach SGB II - die letzthin veröffentlichten Zahlen sprechen ja, wie angerissen, eine andere Sprache. Der so genannte Sozialbetrug fällt relativ lau aus. Es gibt ihn quasi nicht. Pekuniär fällt er so gut wie nicht ins Gewicht. Es sei denn, man sieht den Bezug von Sozialleistungen generell als Betrug am Steuerzahler, sprich: an der Mittelschicht, an - es sei denn, man definiert das Hinterziehen von Steuern als normale Widerstandshandlung freiheitsliebender Erfolgsmenschen an. Und genau darum geht es Wüllenweber. Sein Buch ist kein faktenbasiertes Produkt, kein objektives Machwerk, sondern ein reines Befindlichkeitsbuch. Vielleicht auch ein Erbauungsbüchlein, in dem er die Mittelschicht wachrütteln und moralisch stärken will. Wüllenweber will das vorherrschende Lebensgefühl einer Klasse nachzeichnen, die sich selbst als Mittelschicht versteht und die moralische Verurteilungen auf Basis eines Weltbildes betreibt, das ökonomisch vorgeprägt ist. Es geht um Menschen, die sich stets verarscht und betrogen vorkommen, die glauben, sie seien die gemolkene Kuh und immer benachteiligt, zahlten nur Steuern ohne Gegenleistung und finanzierten den Armen ein Leben in Saus und Braus und den Reichen gleich mit.
Wüllenweber arbeitet die Befindlichkeit dieser Menschen ab und füttert sie mit neoliberalen Background. Das wiederum verwundert wenig, denn er gehört der "IZA Policy Fellows seit 2005 als Gründungsmitglied an". Dieses Institute zur Zukunft der Arbeit (IZA) ist ein von der Deutschen Post AG privat gegründetes Wirtschaftsinstitut, das immer wieder neoliberale Schocktherapien vorschlägt. Im März 2010 legte es eine Agenda 2020 vor, in der Mindestlöhne kategorisch abgelehnt und längere Arbeitszeiten gefordert wurden. Außerdem sprach sich dieses Papier für die Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Lockerung des Kündigungsschutzes aus, sowie für ein Workfare-Konzept. Der Direktor der Arbeitsmarktpolitik des IZA (Hilmar Schneider) sprach sich zudem für eine Arbeitslosen-Auktion aus. Die Granden des IZA sind altbekannte Gesichter: Klaus Zumwinkel, Klaus Zimmermann und eben genannte Hilmar Schneider. Policy Fellows sind neben Wüllenweber Leute wie Dieter Althaus, der ewige und überall anzutreffende Oswald Metzger, Dirk Niebel, Bert Rürup, Thilo Sarrazin und Thomas Straubhaar.
Der Untertitel von Wüllenwebers Buch klingt nach Aufklärung - er lautet nämlich: Und wer davon profitiert. Die Antwort kann klar gegeben werden: neoliberale Konzepte und Think Tanks wie das IZA. Die Darstellung der mittelschichtigen Befindflichkeit ist das Polster, auf dem weitere neoliberale Reformen erzwungen werden sollen. Dabei die Oberschicht gleichfalls zu diffamieren, ist nur ein gekonnter Kniff, denn es ist genau diese Oberschicht, die eine wütende Mittelschicht braucht, um Konzepte wie das des IZA durchzuboxen. Den Hass auf die Unterschicht mit dem Unverständnis für die Oberschicht zu koppeln, soll etwas wie Objektivität suggerieren und die Menschen für Konzepte gewinnen, die ihnen nur Nachteile und Gram bescheren werden.
Dieses hier nicht weiter genannte Buch von Walter Wüllenweber erschien in irgendeinem Verlag.


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