Die Asia-Revolution

Asia-Revolution

Denke ich etwa 10 Jahre zurück und versuche mich daran zu erinnern, welche kulinarischen Momente sich damals in mein Gedächtnis eingebrannt haben, dann erscheint unweigerlich ein ganz bestimmtes Bild vor meinen Augen: Ein riesiges Buffet, voll frittierter “Köstlichkeiten”, daneben gebratene Nudeln, knusprige Ente und die obligatorische Peking-Suppe. Ich war damals 13, das chinesische All-You-Can-Eat Buffet war neu und der letzte Schrei im kleinen Provinzdorf. Heute stelle ich erschrocken und gleichzeitig ein wenig erleichtert fest: Die schier inflationäre Zahl (sogenannter) Chinesischer Restaurants hat drastisch abgenommen, doch kaum einer merkt es. Schuld sind Laoten, Vietnamesen, Thailänder und Japaner, die fast unbemerkt zur Revolution in Deutschlands Asia-Küchen-Lanschaft angesetzt haben. Doch wo liegen die Ursachen? Ein Erklärungsversuch. Von David Seitz

Chinesisch hat ein Authentizitätsproblem

Versuchen Sie doch mal 10 typisch chinesische Gerichte im Kopf zu sammeln. Sollte eigentlich kein Problem sein, Chinesische Retsaurants waren in Deutschland ja lange Zeit so verbreitet wie Griechen oder Italiener. Wetten, dass es Ihnen schwer fällt. Einerseits liegen die Gerichte, die im Standard-Chinesen lange Zeit serviert wurden ganz nah beieinander. Im Kopf herrscht nur ein grobes Konglomerat aus braun-rötlichen Farbtönen, aus einem Gemüsehaufen auf dem eine in Scheiben tranchierte Hühnerbrust thront, aus Speisekarten-Vokabular wie Hühnchen süßsauer, knusprig frittierte Ente, Morcheln und Bambussprossen. Andererseits ahnten sie ja schon immer, dass das, was einem da vorgesetzt wurde, keineswegs die echte chinesische Küche wiederspiegelt und Sie liegen richtig, denn: Die gibt es gar nicht. Vielmehr existieren in China etwa fünf große Küchen-Strömungen, die man schier unendlich weiter differenzieren könnte. Wenn man von authentischer China-Küche spricht, dann schon konkreter, beispielsweise von Kanton- Sichuan- oder Hunan-Küche.

Diese Erkenntnis hat sich spätestens in den letzten Jahren herumgesprochen. Zwar waren die wenigsten Deutschen schon einmal in China, stattdessen reiste ein beträchtlicher Teil der Generation u30 nach Südostasien und erschloss um die Jahrtausendwende das Backpackerparadies Thailand, Vietnam, Laos und Kambodscha. Mit zurück brachten sie Eindrücke, die sich ins kollektive Gedächtnis einer Generation einbrannten, darunter auch prägende kulinarische Momente. Beim einem der damals noch seltenen Thais um die Ecke konnte man die Erinnerungen wieder aufleben lassen und der eigene Erfahrungshorizont bestätigte die Authentizität der dort zubereiteten Speisen. Vielleicht war es genau diese Erfahrung, die – geteilt mit Freunden und Freundesfreunden – dazu führte, dass Tom Kha Gai und Tom Yum und Pho der Pekingsuppe den Rang abliefen. Im Schlepptau: Vietnamesen und Laoten als Profiteure des Umsturzes.

Die Chinesen, die den Namen auch verdienen, wirkten und wirken derweil abseits der Masse und wollen vermutlich auch genau das. Sie wollen sich nicht mit dem in Deutschland mittlerweile schon negativ konnotierten Begriff “chinesische Küche”  belasten. Die neue Generation benennt ihre Restaurants konkreter und sucht ihr Glück in neuer Authentizität. “Gäste kommen zu uns und sagen, dass beim Chinesen alles immer gleich schmeckt,” erzählte mir kürzlich der Chefkoch eines Taiwanesischen Restaurants in München, nicht ohne ein verschmitztes Grinsen. Auf dessen Speisekarte tauchen plötzlich ganz neue Dim-Sim Variationen auf, für Europäer unbekannte, neue Aromen, zubereitet in einer offenen Küche. Doch noch sind sie selten, die authentischen chinesischen Restaurants, denn an den neuen Mut des Chinesen 2.0, mit Entenfüßen und Schweinsohren auf dem Teller, muss sich der Deutsche erst einmal gewöhnen.

Thai und Vietnamese haben das gesündere Image

Der Siegeszug der südosasiatischen Restaurants fiel in Deutschland natürlich auf fruchtbaren Boden. Auf einer Welle von Öko, Bio, bewusstem Genuss und der Forderung nach einem mündigen Verbraucher schwamm es sich für sie besonders leicht. Der große Konkurrent, die China-Restaurants, konnte nicht gerade mit gesunder und grüner Küche punkten. Was in den standardmäßig servierten Saucen genau enthalten war, konnte man beim besten Willen nicht erkennen, erschlagen von Glutamat und Bindemittel. Doch dann waren da plötzlich Suppen aus denen man einzelne Aromen herausschmecken konnte. Zitronengras, Kokos, Galgant. Dazu: Vietnamesische Frühlingsrollen – in transparente Reisteigblätter gehüllte Kräuter, Sprossen und Gemüse – weder frittiert, noch gebraten. Neu, aufregend und gesund, absolut salonfähig und meist sogar bezahlbar. Obwohl viele Thai-Küchen genauso übertrieben mit Glutamat um sich werfen, hüllen sie es zumindest in ein gesundes Gewand aus Kräuter-Grün und exotischen Zutaten.

Gesund, authentisch, transparent: Der Sushi-Boom

Und dann war da noch der Sushi-Boom, der dem China-Imbiss den Rest gab. Sushi – als Inbegriff des authentischen Genusses, als Inbegriff des leichten, gesunden Snacks – stand zwar nie in direkter Konkurrenz zu den eher mächtigen, warmen Gerichten aus China und Südostasien und doch trugen die vielen Sushi-Imbisse, die seit der Jahrtausendwende urplötzlich aus dem Boden schießen, ihren Teil zur Verdrängung der China-Restaurants bei. Vielleicht auch, weil es deutlich leichter ist, einigermaßen authentisches Sushi zu produzieren, als einigermaßen authentische chinesische Küche zu kredenzen. Nicht zuletzt ist Sushi zudem eines der transparentesten Gerichte auf dem deutschen Imbiss-Markt. Der Verbraucher kann quasi hineinschauen in sein Produkt, sieht jede einzelne Komponente, kann erkennen ob die Avocado schon braun ist, ob der Lachs seltsam matt glänzt und er riecht sofort, sofern da etwas faul sein sollte. Genau das will der Durchschnitts-Deutsche heutzutage: Transparenz, Authentizität und die nötige Dosis an gutem Gesundheits-Gewissen. Erst wenn sich die chinesische Küche hierzulande diese Eigenschaften wieder zu eigen gemacht hat, wird sie der südasiatischen Übermacht wieder Paroli bieten können.

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