Die Arbeiterklassen-Gesellschaft

Ich gebe zu, dass ich am ersten Mai weder beim Klassenkämpfen, noch bei sonstigen einschlägigen Events war, die ja ohnehin längst zu so etwas wie eine Folkloreveranstaltung für Alternative verkommen sind. Stattdessen habe ich das wunderschöne Wetter für eine Fahrradtour durch den Spreewald genutzt. Aber die Arbeiterklasse hat ja ohnehin nichts zu lachen – auch wenn es gerade hierzulande inzwischen verschiedene Arbeiterklassen gibt, deren Lebenswirklichkeiten nicht mehr viel mit einander zu tun haben. Die einen haben dank komfortabler Tarifverträge ein vergleichsweise schönes und sicheres Leben – die anderen kommen längst nicht mehr mit ihrer Arbeit über die Runden.

Da gibt es beispielsweise die Arbeiter erster Klasse, etwa die Metaller. Die verdienen ziemlich gut – im Durchschnitt verdient ein Facharbeiter in dieser Branche solide 48.000 Euro im Jahr, und die soziale Absicherung ist auch okay. Ihre schlagkräftige Gewerkschaft, die IG Metall, ruft gerade mal wieder zu Warnstreiks auf, um ihre Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn zu unterstreichen. Die Arbeitgeber reagieren mit den üblichen Floskeln von wegen “Gefahr für Arbeitsplätze” und so weiter – natürlich ist alles schlecht, was nicht als Gewinn in den Taschen der Chefs landet. Aber irgendwas wird schon rum kommen. Schließlich produzieren die hochqualifizierten Fachkräfte zum Beispiel im Maschinenbau weltweit nachgefragte deutsche Wertarbeit.

In anderen Branchen sieht das sehr viel schlechter aus, etwa im Gesundheitsbereich. Hier zum Beispiel arbeitet die zweite Klasse der Arbeiterschaft, die deutlich schlechter bezahlt wird und dazu noch unkomfortablere Arbeitszeiten hat – Kranke müssen auch am Wochenende versorgt werden. Die Belastung ist hoch, physisch und psychisch, und sie steigt, je mehr in den Krankenhäusern, Arztpraxen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen gespart werden muss. Und gespart werden muss, das kann man jeden Tag hören, und zwar nicht nur von der FDP.

Aber wenn das Krankenhaus-Personal streikt, kommt das in der Öffentlichkeit meist gar nicht gut an: Die sollen den Leuten doch helfen! Dazu macht man doch einen solchen Job! Dass man von dieser Knochenarbeit auch leben können muss, wird niemand bestreiten, aber für Gesundheitsleistungen entsprechend mehr bezahlen will auch keiner. Selbst die üblicherweise gut verdienenden Ärzte haben keine Lust mehr auf den Stress im Klinik-Alltag – zumindest, wenn die Krankenhäuser in weniger attraktiven Regionen liegen: In Schwedt beispielsweise musste die Kinderabteilung schließen, weil es dem größten Krankenhaus in der Uckermark nicht gelang, einen geeigneten Facharzt zu finden.

Nun haben Ärzte im Vergleich zum untergeordneten Gesundheitspersonal natürlich Luxusprobleme, obwohl ich auch Nachwuchsmediziner kenne, die sich von Honorarjob zu Honorarjob hangeln – und die unterschreiben nicht mal für ein Jahr, sondern für jeweils sechs Monate. Kein Wunder, dass die dann schließlich ins Ausland gehen – England oder Skandinavien sind beliebte Ziele. Dafür kommen osteuropäische Ärzte nach Deutschland – neulich sah ich eine Reportage, in der es hieß, dass Ärzte in Tschechien so wenig verdienen, dass sie schon im Studium nebenbei deutsch lernen, damit sie nach ihrer Ausbildung gleich hier anfangen können. Auch eine Form der Globalisierung. Wer versorgt dann in Tschechien die Kranken? Mediziner aus Weißrussland?

Zur dritten Klasse gehören die Leih- und Zeitarbeiter. Die gibt es in allen Branchen. Und es werden immer mehr. Sie verdienen deutlich weniger als die Stammbelegschaften – obwohl das theoretisch eigentlich nicht so sein soll, die Praxis sieht aber ganz anders aus – und sie haben zusätzlich noch diese unglaubliche Unsicherheit: Der Witz am Einsatz von Leiharbeitern ist ja, dass man sie jederzeit wieder loswerden kann. Jemand, der in diese Mühle geraten ist, kann sich auf nichts mehr verlassen – er weiß nicht, ob er nächste Woche noch gebraucht wird, wo er als nächstes eingesetzt wird – und ob überhaupt. Das heißt, dass auch das ganze Privatleben von dieser Unsicherheit bestimmt ist. Wie soll man sich denn unter diesen Umständen einrichten? Immerhin: Es gibt einen Arbeitsvertrag, auf den man sich berufen kann, selbst wenn der nicht komfortabel ist.

Noch trauriger ist das Schicksal des Lumpenproletariats unter den hiesigen Arbeitnehmern: Die ganzen Illegalen, die für wenige Euro am Tag im Restaurant an der Spüle stehen, die Kindermädchen und Putzfrauen aus Osteuropa, Afrika, Asien oder Lateinamerika. Die können nur hoffen, dass ihre Arbeitgeber, denen sie sich anvertraut haben im wahrsten Sinne des Wortes, wenigstens halbwegs gute Leute sind, und den vereinbarten Hungerlohn tatsächlich zahlen. Die können sich nicht wehren – zu wem sollten sie denn gehen? Die werden am Ende abgeschoben – Menschenrechte interessieren im Zweifelsfall keinen, wer hier her kommt, um Geld zu verdienen, ist ein “Wirtschaftsflüchtling”. Wer sich hierzulande Arbeit erschleicht, also ehrlichen, legalen Inländern “Arbeit wegnimmt”, wird bestraft. Wer sich aber daran hält, nicht arbeiten zu dürfen, ist ein Sozialschmarotzer. Das ist dermaßen pervers.

Und die Moral von der Geschicht: Nichts gegen schlagkräftige Gewerkschaften. Aber ich fände es schön, wenn sich die bessergestellten unter den Arbeitern auch einmal einen Gedanken um die weniger gut gestellten machen würden. Die schöne alte Solidarität wieder aufleben lassen würden. Und zwar nicht nur mit den jeweiligen Klassen- und Volksgenossen, sondern mit allen, die von ihrer Arbeit leben müssen.



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