Warum haben die arabischen Aufstände, die im Dezember 2010 in Tunesien begannen und sich dann über weitere arabische Länder verbreiteten, der Masse der Bevölkerung nichts genützt, sondern im Gegenteil zu noch prekäreren Lebnsverhältnissen und zu Einschränkungen in bisher von den gestürzten Regierungen gewährten Freiheitsrechten – insbesondere für Frauen – geführt? Weil die neuen Eliten, die nun an die Macht gekommen sind, zwar einerseits auf den Koran setzen, anderseits aber auf den freien Markt und das damit verbundene, neoliberale westliche Wirtschaftsmodell.
Das ist durchaus kein Widerspruch: Die erzfundamentalistischen Islamisten, die beispielsweise in Saudi-Arabien am Ruder sind, haben von der westlichen Welt nichts zu befürchten, weil sie mit ihren Ölmilliarden den ganzen Plunder der kapitalistischen Warenwelt kaufen und sich auch sonst im kapitalistischen Luxus-Kasino ganz zu Hause fühlen: Die Verlierer der Welt werden ausgebeutet, mit den anderen Gewinnern macht man Geschäfte. Allenfalls wenn wieder einem philippinischen Hausmädchen der Kopf abgeschlagen wird, gibt es ein wenig Aufregung.
Auch die Muslimbrüder in Ägypten bekennen sich zum freien Markt und der wirtschaftlichen Konkurrenz – Umverteilung oder gar staatliche Unterstützung jener derzeit 40 Prozent der Bevölkerung, die unter der offiziellen Armutsgrenze leben, ist nicht vorgesehen. Hier setzen die Muslimbrüder auf die vom Koran gebotenen Spenden der Gläubigen an Arme. Waren zu Mubaraks Zeiten noch wichtige Protagonisten dieser konkurrierenden Business-Clique ins Gefängnis gewandert, wurden nach der Revolution die Mubarak-treuen Geschäftsleute vertrieben oder verhaftet. Am Geschäftsmodell an sich hat sich aber nichts geändert. Im Gegenteil: Wenn die Brüder der 1 Prozent mit ihrer Privatisierungspolitik in Ägypten weiter machen wie bisher, werden weitere Millionen Menschen ihr Arbeitsplätze verlieren und die Verarmung der Bevölkerung noch rasanter fortschreiten als unter Mubarak.
Ähnliches lässt sich auch an deren Ländern beobachten, in denen die bisherigen (autoritären) Regierungen im Zuge der Arabellion gestürzt wurden: Mit den neuen Regierungen wird es nicht besser.
Aus diesem Anlass jetzt ein bisschen deutsche Lyrik:
Von den Großen dieser Erde melden uns die Heldenlieder:
Steigend auf so wie Gestirne
gehn sie wie Gestirne nieder.
Das klingt tröstlich, und man muss es wissen.
Nur: für uns, die sie ernähren müssen
ist das leider immer ziemlich gleich gewesen.
Aufstieg oder Fall: Wer trägt die Spesen?
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.Ach, wir hatten viele Herren
hatten Tiger und Hyänen
hatten Adler, hatten Schweine
doch wir nährten den und jenen.
Ob sie besser waren oder schlimmer:
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer
und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine
dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine!
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.Und sie schlagen sich die Köpfe
blutig, raufend um die Beute
nennen andre gierige Tröpfe
und sich selber gute Leute.
Unaufhörlich sehn wir sie einander grollen
und zerfleischen. Einzig und alleinig
wenn wir sie nicht mehr ernähren wollen
sind sie sich auf einmal völlig einig.
Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter
und das heitre Spiel, es unterbleibt
wenn das Wasser endlich mit befreiter
Stärke seine eigne Sach betreibt.
Bertold Brecht