Mode ist eine Sprache. Ob wir wollen oder nicht, wir kommunizieren über das, was wir tragen. Und zwar genau das, was wir damit sagen wollen. Egal ob wir etwas sagen wollen oder nicht. Genau deswegen wird es mir immer ein Rätsel bleiben, warum in diesem Land die meisten Menschen genau diese Tatsache geradezu tugendhaft ignorieren und sich kleiden, als hätte Kleidung im Kontext von Sprache nie eine Rolle gespielt. Sei es ein Mangel an ästhetischem Verständnis oder schlicht der gefühlte Druck, sich dummen Moden zu beugen: Der Deutsche liebt es praktisch. Und genau hier liegt seine größte Unfähigkeit : Mode als individuelles Gestaltungmittel und Ausdruck einer sozialen Sprache zu verstehen. Beispiele optischer Entgleisungen gibt es leider täglich zu Genüge : sei es der ewige Herrenschnitt bei älteren Damen in Kombination mit Verzicht auf Lippenstift und Make-up, um eine möglichst starke Natürlichkeit zu demonstrieren, die sich eben jene nicht leisten können. Sei es der schlecht gekleidete Mann, bevorzugt höheren Alters, welchem die neuen Schnitte unheimlich sind und der sich denn noch dem Diktat der Massenketten unterwirft statt ein paar Euro in den Schneider seines Vertrauens zu investieren. Heraus kommt : der Mann im schlecht sitzenden Anzug der seine heiß geliebten Sandaletten und seinen unansehnlichen Sweater sofort nach Feierabend anziehen wird um sich dann mit seinem schlecht gekleideten Nachbarn über die anstrengende Woche zu unterhalten. Das diese Woche zu einem großen Teil anstrengend ist, weil er es nicht schafft sich im Kontext persönlicher Gestaltung seine Kleidung personalisiert zu modifizieren, darauf kommt der deutsche Mann nicht. Und so wird nicht der Bauch dicker, sondern der Druck des Hosenknopfes bald unerträglich. So ist z.B. der Siegeszug des Halstuches, in welchem die meisten Frauen aussehen als ob sie erkältet wären und die meisten Männer eben nicht wie ein moderner Dandy, für mich eine der größten Stillügen der Neuzeit. In den grässlichsten Farben dekoriert sich die uniforme Masse mit einem Tuch, welches um einen Bereich gelegt wird in dem z.B. eine dekoratives Stilelement wie eine Kette viel besser platziert ist. Das Tuch macht zu 90 % keinen Sinn und ist in diesem Sinne ( sehr undeutsch ) nicht praktisch und ( sehr deutsch ) nicht ansehnlich. Und nein, sich modisch zu kleiden, entsprechend der eigenen Silhouette, ist keine Frage des Geldes. Wenn man nicht gerade adipös ist, muss man nicht sein gesamtes Einkommen investieren, um ansehnlich für für seine Mitmenschen zu sein. Doch es wird lieber in Handy, Flachbildschirm, Auto und Laptop investiert statt sich zu fragen, warum der oder die eigene Lebenspartner/in sich immer öfter nach anderen Geschlechtsgenossen und Genossinnen umdreht. Die deutsche Mentalität des -Sich gehen Lassens- setzt dem Ganzen jetzt nur noch die Krone auf. Der Deutsche gestaltet die Mode nicht, er ist Opfer ihrer Diktate. Die beste Unterstützung erhält er von der deutschen Bekleidungsindustrie welche sei Kaiser Wilhelms Zeiten sowieso nichts Relevantes mehr kreiert hat. Da wundert es auch keinen, dass die Berlin Fashion Week sich nur noch nur zum Selbstzweck inszeniert, wo das kollektive Unterbewusstsein der Modejournalisten und Blogger um den fehlenden deutschen Einfluss der dort gezeigten Kreationen doch genau weiß. Genau so wenig ist es überraschend, dass nach BOSS und Escada jetzt auch die Label Achtland und Kaviar Gauche die Flucht ergriffen haben und sich lieber in London und Paris vor einer Menge präsentieren, die kulturbedingt ein tiefes Verständnis von Mode als Sprache besitzt. So ist es auch kein Wunder, dass die Fashion Week für Juli 2014 final vom Brandenburger Tor nach Wedding verbannt wird und genau als der Nebenschauplatz degradiert wird, der er für die Modemetropolen Paris, Mailand, New York und London seit Anbeginn ist. Es ist logisch : in einem Land ohne kulturelles Verständnis für Mode und seine Sprache wird weder in den Designernachwuchs ausreichend investiert noch eine selbstbewusste und ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Stilgeschichte gewagt. Prollige TV-Sendungen mit sogenannten Designern welche die schlecht gekleidete deutsche Frau und ihre peinlich berührte Tochter stilbildlich beraten, tun ihr Übriges. Da ist der Ratschlag mehr Schlag als Rat. Deutschland, Deine Mode ist die Antimode. Kein deutscher Designer hat je einen Trend geprägt. Und das liegt sich nicht an den Designern. Sondern am Mutterleib in welchem der kreative Nachwuchs heranwächst. Ist Hopfen und Malz verloren ? Wird es je einen Schiller und Goethe der Modesprache geben ? Wir hoffen das Beste und schalten solange das Privatfernsehen an.
Die Antimode des Deutschen
Autor des Artikels : Sandra Geissler
Zum Original-ArtikelMode ist für mich Ausdruck von Identität und Kreativität, bedeutet für mich Gemeinschaft und Abgrenzung, Rebellion und Anpassung zugleich. Mit meinem Blog Fashionsandrina habe ich mir seit Oktober 2009 mein eigenes Style-Tagebuch geschaffen, in welchem ich persönliche Erlebnisse rund um die Theme...