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„Klar, ich hab schon ein mulmiges Gefühl. Ich meine, wir haben ja echt eine hohe Alarmstufe mittlerweile. Ich war gestern erst am Frankfurter Hauptbahnhof und da waren verdammt viele Polizisten mit Maschinenpistolen. „Also ich gehe erstmal nicht auf den Weihnachtsmarkt.“ „ Ja, aber damit haben sie es doch schon geschafft, Terror heißt ja Angst machen, und wenn keiner mehr auf den Markt geht, dann waren sie schon erfolgreich“, entnehme ich einem Gespräch zwischen einer Frau und einem Mann mittleren Alters.
Die Frage ist doch: Wer genau hat es jetzt „geschafft“, dass Menschen in Deutschland nicht erst seit den letzten Tagen teilweise zögern, Zug zu fahren oder öffentliche Plätze aufzusuchen? Sind es die real existierenden Terroristen oder doch nur ihre Medien, also die Vermittler ihrer verdeckten Drohungen, die Geheimdienste, das Innenministerium oder nicht zuletzt die Medien, die hauptverantwortlich sind für die Verbreitung der Aussagen hochranginger „Volksrepräsentanten“ ?
Was bedeutet es für den Alltag einer Gesellschaft, wenn die Bundespolizei empfiehlt, die Bürger sollen an allen öffentlichen Plätzen die Augen offen halten und merkwürdige Geschehnisse oder Menschen, die sich auffällig verhalten, sofort der Polizei melden?
Der erste unmittelbare und mikrosoziologisch am bedeutendste Effekt dieser Berichterstattung ist die Erzeugung eines Phänomens, welches die Natur nicht erst seit der Entwicklung des modernen homo sapiens kennt: Angst. Jeder Mensch kennt sie, jeder hat sie. Dass Angst nicht immer lähmend, sondern vor allem auch produktiv sein kann, lässt sich vor allem anthropologisch erklären. Denn ohne Angst würde auch keine gesunde Vorsicht vor unbekannten Situationen existieren. Wichtig ist hierbei auch die Unterscheidung von Angst und Furcht, für die Philosoph Søren Kierkegaard plädierte. Furcht ist demnach die Angst vor einem bestimmten, greifbaren Objekt, etwa der Gegner im Krieg oder auf dem Fußballplatz. Angst, hingegen, ist nicht gerichtet, sie ist diffus und lauert unbewusst wie ein Schatten hinter dem Rücken seiner Opfer. Ein direkter Verursacher lässt sich nicht ausmachen. Und auch wenn die Angst vor Terroristen eigentlich eine zielgerichtete ist, so handelt es sich doch kaum um Furcht, denn die Möglichkeiten des Terrors sind unbegrenzt, wie die Geschichte uns lehrt.
Und so scheitern alle Versuche, Terror in seinen undeutlich umrissenen Dimensionen zu kontrollieren. Der Terrorexperte Peter Neumann am Internationalen Zentrum zur Erforschung von Radikalisierung am Kings College in London konstatierte zuletzt in der FR, dass sich bei Terroristen eigentlich keine universellen Profile feststellen lassen. Lediglich vier Faktoren ließen sich als Gemeinsamkeiten feststellen: Unmut, Ideologie, Mobilisierung und traumatische Erlebnisse. Paradoxerweise hat letzteres den geringsten Einfluss. Ohne die Forschung zu diskreditieren, sollte man feststellen, dass die Aussagekraft dieser Ergebnisse dem Wert von nachmittäglichen TV-Umfragen in irgendwelchen Fußgängerzonen gleicht. Die Angst bleibt, kann nicht in Furcht und einer damit fest konturierten Gestalt zugeordnet werden.
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Nach dem renommierten Soziologen Niklas Luhmann besteht ein Problem der Angst auf gesellschaftlicher Ebene vor allem darin, dass sie „nicht reguliert und wissenschaftlich nicht widerlegt werden“ kann. Die nicht selten fadenscheinige Moralität der Angstmacher unter Politikern ist einerseits gefährlich, kann hingegen aber auch kaum kritisiert werden, denn „Angstkommunikation ist immer authentische Kommunikation, da man sich selbst bescheinigen kann, Angst zu haben, ohne, daß (sic!) andere dies widerlegen können“ (Luhmann).
Wenn nun eine erhöhte Alarmbereitschaft verhängt wird, so wird die Instrumentalisierung der Angst schnell gefährlich. Das Problem ist die Unangreifbarkeit der Argumente, denn Angstkommunikation gewinnt, wie Luhmann in seinem Aufsatz „Ökologische Kommunikation“ weiter schreibt, eine moralische Existenz und berechtigt dazu, „Anteilnahme an Befürchtungen zu erwarten und Maßnahmen zur Abwendung der Gefahren zu fordern“ (ebd). Genau das entspricht der aktuellen Lage: An allen Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen trifft man immer mehr Maschinenpistolenträger an, Kontrollen von „verdächtigen“ Personen durch Polizisten verstärken sich und Bürger zwingen sich zu übersteigerter Überaufmerksamkeit. Das stressauslösende herrenlose Gepäckstück wird zur Metapher unserer Gegenwart.
Warum ist die Angst aber gefährlich, wenn es sich doch um einen natürlichen Aufmerksamkeitsmodus handelt?
Das ist sie vor allem, wenn sie instrumentalisiert wird. Denn die durch sie gerechtfertigten Maßnahmen bewirken einen Einschnitt in den Alltag, die Folgen für jeden haben und in letzter Konsequenz zum Beispiel zu einer gesteigerten Intoleranz gegenüber Fremden, also Migranten führen kann.
Auch Fehlmeldungen reproduzieren unsere Wahrnehmungssteuerung und geben einem das Gefühl, die Vorfälle von Bombenfunden würden sich häufen. Bei der im namibischen Windhoek entdeckten Bombe handelte es sich nur um eine Attrappe. Und trotzdem ist die Berichterstattung zuvor nur eines von vielen Elementen¸ die zu dem verzerrten Gesamteindruck führten. Auch wenn alles mittlerweile dementiert wurde, so lassen sich die eingeprägten Bilder im kollektiven Bewusstsein kaum mehr revidieren. Denn: Die Bedrohung ist ohnehin real und dementierte Fehlmeldungen können daran auch nichts mehr ändern.
Medien reproduzieren in diesen Tage vermehrt Terrorszenarien, mögliche Täter werden profiliert, ständige Verdächtigungen infizieren den Alltag und der Begriff des Risikos erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Risiko!? Dass der Mensch dazu tendiert, Risiko und Wirklichkeit völlig gegensätzlich zu interpretieren, haben Psychologen bereits unter dem Begriff „Subjektives Risikoempfinden“ zusammengefasst. Ein Beispiel: Seit dem terroristischen Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 starben 247 Menschen durch Terrorgewalt in Europa. Die Zahl der Menschen, die in einem Krankenhaus aufgrund der Verabreichung eines falschen Medikaments starben: 50.000. Menschen überschätzen demnach Risiken oft überdurchschnittlich, wenn Ereignisse selten eintreten. Die Konsequenz daraus ist ein angstgesteuertes Ausweichverhalten. In den USA stiegen seit Ende 2001 eine Menge Menschen vom Flugzeug auf das Auto um, was zu einem signifikanten Anstieg der Verkehrstoten führte.
Dass dieses Verhalten schlimmer als ist, als die eigentliche Risikobedrohung, wusste auch Luhmann, und ergänzte, dass aus der unterbewussten Infizierung mit Angst innerhalb der Gesellschaft eine immer stärkere Identifikation mit der eigenen Gemeinschaft resultiert. Die Maßnahmen auf der politischen Ebene können außerdem genauso angststeigernd wirken wie die Bedrohung selbst: Wer hat nicht Respekt vor den massiven Maschinengewehren, die einen am Frankfurter Hauptbahnhof „beschützen“? Man kann Luhmann nur danken, wenn er mir zuvorkommt und bereits 1986 schreibt, dass es gegenwärtig doch vor allem an Angst vor der Angst anderer mangele. Dass Lösungen ungefähr genauso schwer sind wie ein Profil über potentielle Terroristen zu erstellen, sollte deutlich geworden sein. Und so überlasse ich das Schlusswort wieder einem Soziologen:
Prof. Herfried Münkler, Soziologe an der Humboldt-Universität in Berlin fordert in einem Filmbeitrag eine „heroische Gelassenheit“, die sicherlich nicht einfach zu bewerkstelligen ist in einem Zeitalter ubiquitärer Terrorbilder und ständiger, auch politisch generierter Übertreibungen: „Wir müssen eine heroische Gelassenheit entwickeln. Denn es wird auch bei uns früher oder später einen Anschlag geben. Dabei erwächst die Macht der Terroristen aus unserer eigenen Angst. Wenn wir aber die Anschläge als Unfälle ansehen würden dann stellt sich heraus, dass die Terroristen uns gar nichts anhaben können.“
Text: Phire