Die Anders-Breivik-Show

Es ist mehr als nur ein bisschen schwierig, einen Eintrag zu verfassen, der den medialen Zirkus um Anders Breivik verteufelt; es ist ein wenig so, als würde ich betrunken gegen Alkoholismus protestieren oder nackt Keuschheit predigen.

Es ist vor allem deswegen falsch, weil es dem Schlächter von Utoya den einzigen Lohn verschafft, den es für ihn geben kann und wohl auch den einzigen Lohn, auf den er aus war: Aufmerksamkeit. In seiner hochspezialisierten Wahnvorstellung hat er sein Ziel erreicht: Jedes Mal, wenn er den Arm vor den Kameras hochreißt, jedes Mal, wenn ihn ein Blitzlicht erwischt, mit jedem Satz, den er bei seiner Gerichtsverhandlung ausformulieren darf und mit jeder Überschrift in jeder Zeitung.

Wer allerdings meint, hier würde Gedankengut verbreitet und Menschenhass propagiert und das dem nach Möglichkeit Einhalt zu gebieten wäre, hat wirklich geschlafen. Die Leute, die Breivik zwar umständlich, betont nachdenklich und leise, aber eben doch applaudieren, hat es schon vor ihm gegeben und wird es außerdem immer geben. Mit etwas Glück sind es weniger geworden und werden es mit jedem Auftritt noch weniger.

Weniger gute Chancen rechne ich mir für jene aus, die auf ähnlichen Abwegen sind und denen all das Scheinwerferlicht und die großen Reden Wasser auf eben jene Waagschalen sind, die sich dem selben oder vergleichbarem Irrsinn entgegen neigen.
Es gibt eine vielzitierte Praxis von Medien, leider nur auf lokaler Ebene, Menschen, die dem Wahnsinn verfallen sind, nach Möglichkeit nicht die Bühne zu bereiten; und erwiesenermaßen passieren zum Beispiel in Regionen, in denen Selbstmorde gar nicht erst in die Zeitung kommen, bis zu 75 Prozent weniger Selbstmorde (so am Rande: Wenn ich bei der Tötung  unschuldiger Jugendlicher in einem Feriencamp nicht die Grenze zum Wahnsinn überschritten sehe, würde ich mir mal den Kopf röntgen lassen, nicht, dass diese Diskussion nicht ausdauernd und überall geführt würde).

Ich würde mir, in der Tat etwas illusorisch, ein ganz ähnliches Vorgehen bei Breivik wünschen, nicht nur wegen denen, die hier sehen können, dass es sich – entsprechend verquere Maßstäbe vorausgesetzt – lohnt, alle Menschlichkeit und Rationalität fahren zu lassen; Anders Breivik ist ein Superstar, und er wird noch viele Jahre lang einer sein. Er wird in die Geschichte eingehen und eines Tages ein Name sein, der zugleich Symbol ist.

Und das ist der Hauptgrund, aus dem ich den Prozess gerne ignoriert sähe: Eine schlimmere Strafe als Stille gäbe es für den Mann nicht. Sie könnten ihn foltern, sie könnten ihn schlagen, aufhängen und vierteilen: Dann würde der sich noch als Märtyrer fühlen und am Ziel seiner Träume. Es gäbe nur eine Strafe, nur eine Niederlage für diesen Mann, und das wäre das Vergessen.

Brauchen wir ihn als Mahnmal?
Brauchen wir diesen aufgedunsenen Spinner als Mahnung?!

Wissen wir nicht auch so, dass man nicht Bomben zündet und Menschen umbringt?!

Wohl kaum.

Aber die Vorstellung, wie er da in seiner Zelle sitzt, von der Welt ignoriert, von Journalisten vergessen, keine Fotos, keine Schlagzeilen, keine Besucher, nicht mal zum zehnjährigen Jubiläum, tagein, tagaus nur ein Mann und seine Schuld, und die Stille, und die Scham. Und sie wird kommen, so wie das Triumphgefühl verschwindet. Vielleicht erst nach einem Jahr. Vielleicht erst nach fünf Jahren. Aber eines Tages wird es nur noch Anders Breivik und seine Zelle geben und die Frage, was er eigentlich sonst mit seinem Leben hätte anstellen können. Das wäre dann in der Tat ein Moment, wo ich gerne dabei wäre, weil der Schmerz unermesslicher sein wird als jede Folter und die Sehnsucht nach Freiheit zur Sehnsucht nach dem Tod wird. Niemand wird dadurch wieder lebendig. Niemandem wird dadurch geholfen. Aber er hat es sich verdient.

Deswegen hoffe ich, dass man gut auf ihn aufpasst, wo immer sie ihn einkerkern. Sie sollen dafür sorgen, dass er gesund bleibt und ihn zur Not künstlich ernähren. Ich wünsche ihm ein langes Leben in seiner Zelle und dass ihm der Ausweg über Selbstmord oder irgendeine Krankheit verwehrt bleiben. Mit der durchschnittlichen Lebenserwartung in Norwegen können das noch gut 60 Jahre sein.

Ich wünsche Dir ein langes Leben, aber nicht bei guter Gesundheit. Wo habe ich diesen Satz gleich gehört oder gelesen? Ich werde mal nachschauen und meinen persönlichen Beitrag dazu leisten, Anders Breivik zu vergessen.

Worüber hatte ich gerade geschrieben? Anders wer? Nie gehört.

Ich muss außerdem mal das Wetter angucken.

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