Die andere Meinung zu “Fifty Shades of Grey”…

Erstellt am 18. Februar 2015 von Denis Sasse @filmtogo

...ein Titel, dem man derzeit schwer entkommen kann und der die lustvolle Unterwerfung salonfähig macht und zur Abendunterhaltung erhebt. Was ist es nur, was diesen Stoff so besonders macht? Was unterscheidet die Geschichte um den Multimillionär Christian Grey und seinen geheimen, sadomasochistischen Vorlieben von anderen Werken. Unzählige, die nichts anderes zum Thema haben, als unentschlossene Frauen, die sich bereitwillig in die starken Arme eines mächtigen Mannes stürzen. Die Konstellation ist stets die gleiche: unscheinbare, unschuldige Frau trifft auf gutaussehenden und mächtigen Typen (sei es durch den weißen Arztkittel, ein schier unbegrenztes Vermögen oder körperliche Stärke) und lässt sich von ihm verführen.

Und dieser Hauch der erotischen Groschenromane weht auch im jugendlichen Fantasy-Genre: unscheinbares, unschuldiges Mädchen trifft auf mächtigen, weil unsterblichen Vampir-Typen - sie verlieben sich, aber ach, er kann ihre Zuneigung nicht ertragen, ist es nicht wert geliebt zu werden und jede ihrer Berührungen schmerzt ihn. Und dennoch: sie liebt ihn, weil er so geheimnisvoll und unnahbar ist, und weil es da anscheinend irgendein Geheimnis in seiner Vergangenheit gibt, von dem sie sich einbildet, dass es ergründet werden müsse. Doch Fifty Shades of Grey fängt da an, wo Twilight seinerzeit aufgehört hat. Aus der Fanfiction, die die Geschichte um Bella und Edward auf nicht mehr ganz so zurückhaltend-christliche Weise weitergeführt hat, ist ein weltweites Phänomen geworden.

Die Protagonisten sind ein paar Jahre älter, sie ist Literaturwissenschaftsstudentin und Jungfrau, er ist Multimillionär und steht eher auf handfestere Sachen. Was sie noch immer gemeinsam haben, ist das mädchenhafte Herumkauen auf der Unterlippe und das anziehend Maskuline, das Unnahbare, weil aus-der-Welt-Gefallene - beide, Vampir und Multimillionär sind einsame, isolierte Individuen, die unverstanden sind, oder sich zumindest so fühlen, und keinen Platz in den alltäglichen Orten der normalen Menschen finden. Deswegen wohnen sie in riesigen, perfekten Häusern, betreiben ungewöhnliche und nur ihnen zugängliche Freizeitaktivitäten und nehmen kaum am gesellschaftlichen Leben Teil. Sie brauchen es nicht. Was sie aber brauchen ist eine Frau. Sonst wäre ihr allein-Sein nur halb so reizvoll und kaum eine Verfilmung wert.

Also findet Mister Grey in der jungen Studentin Misses Steele ein geeignetes Objekt der Begierde, das er in die Welt der ledernen, fesselnden und schmerzhaften Gelüste einbeziehen möchte. Zunächst zögerlich findet sie schon bald Gefallen daran. Natürlich erst nachdem er den ungünstigen "Zustand" ihrer Jungfräulichkeit beseitigt hat. Doch nach und nach merkt sie, dass da eine Grenze ist, die sie nicht überschreiten kann. Sie sind keine gleichberechtigten Partner in diesem Spiel, denn Mister Grey hält einige Details aus seiner Vergangenheit, seine Gefühle und seine Gedanken vor ihr geheim. Aber dass er sie will und braucht, soviel steht fest. Nur das reicht ihr nicht, also kommt es zu jener schicksalhaften Schlussszene, in der sie seine schlimmste Bestrafung kennenlernen will, denn angeblich kann sie es nur so verstehen. Was sie auf diese Art verstehen kann und warum, erschließt sich nicht recht. Nach sechs beherzten Gürtel-Hieben, die beiden diesmal nicht die wollüstige Ekstase, dafür einiges an Unverständnis beschert, verlässt sie seine Wohnung. Und dann - ist der Film auch schon zu Ende. Die Fortsetzung soll ja durch einen ordentlichen Cliffhanger mindestens genauso erfolgreich an den Kinokassen werden.

Erinnert man sich an Filme wie Feuchtgebiete oder Nymphomaniac zurück, stellt man fest, dass es auch hier viel Sex zu sehen gab, aber weniger Erotik. Hier sind es allein die Frauen, die sich ihren Gelüsten hingeben, mithilfe einiger Gegenstände, mithilfe anderer, vielzähliger Männer. Auch hier findet sich eine gewisse emotionale Schädigung bei den Protagonisten, auch sie sind einsam in der Welt, aber immerhin sind sie selbstbestimmt in ihrer Selbstzerstörung. Und waren diese beiden Filme annährend so erfolgreich wie Fifty Shades of Grey? Kaum, weil Ihnen der sexy Typ gefehlt hat, der die ach so tief verborgenen Wünsche der Frau aufdeckt, sie befriedigt, ihr ein Mysterium zum herumraten ebenso bietet, wie ein Objekt des Begehrens und des Abstoßes.

Es geht in Fifty Shades of Grey nicht um den bloßen körperlichen Sex, sondern um die Begehrlichkeiten, die sich da herum entwickeln. Und genau diese Faszination bedienten auch die Twilight-Geschichten seinerzeit, deshalb funktioniert beides auf dieselbe Art und Weise und die AnhängerInnen unterscheiden sich höchstens durch ein paar Lebensjahre.

Und was ist aus dem zwanghaft enthaltsamen, sich bis zuletzt aufsparenden Pärchen geworden, das einander auf unzähligen Seiten gegenseitige Liebe und Treue schwören lässt, bis sie endlich ihre Hochzeitsnacht miteinander verbringen dürfen? Ein Vertragsgeschäft: "Ich schlafe mit niemandem. Ich ficke. Hart." Eins muss man Mister Grey lassen, er ist entwaffnend ehrlich. Und darin liegt vielleicht seine größte Stärke. Denn wenn alle zwischenmenschlichen Gelüste als Worte artikuliert werden, bleibt kein Raum mehr für Spekulationen, aber dafür umso mehr für Fantasien. Ähnlich hält es auch der Film. Man kann zwar fast alles sehen: Die Körper, die Geräte, den Raum. Mister Grey inmitten von Hochglanz, dunklen Farben, riesigen Räumen und kühlen Möbeln. Mittendrin Misses Steeles Körper, der sich lustvoll verdreht, Peitschen, Federn und Fesseln, aber mehr als Bauchnabel, Brüste und Po gibt's dabei nicht zu sehen - genug Raum also für die angestaubte Fantasie der Frauen, denen erotische Groschenromane zu wenig und echte Pornos zu viel sind. Alles ist hier schön ausgeleuchtet, alles sieht gut aus, alles ist hochwertig, alles wirkt echt.

Und da schnappt die Falle zu. Denn genauso lebensecht wie die Auswahl der Namen - Mister Grey, Misses Steele und ein Frauenarzt namens Mister Green - sind auch die Charaktere der beiden. Es gibt sie nicht, die stählernen, unnahbaren, reichen, charmanten, gutaussehenden, besitz-und machtergreifenden Typen, denen alles egal ist, außer der Befriedigung ihrer Lust und das Zufriedenstellen ihrer Geliebten. Aber es gibt sie, die unsicheren Frauen, die hoffen, durch ihre Unbeholfenheit sexy zu wirken; die sich ein Abenteuer ersehnen, und hoffen, dass es irgendwann Wirklichkeit wird; die gerne gesagt bekommen möchten wo es lang geht, um nichts falsch machen zu können; die Reichtum, Macht und Muskeln anziehend finden - und die genau wissen, dass ihnen all das nicht passieren wird.

Davon gibt es genug, und deswegen gibt es so viele Besucherinnen für diesen Film, weil sie alle diesen einen Mann sehen wollen, der das möglich machen könnte, während einer Handvoll fantasievollen Minuten.

Fifty Shades of Grey läuft seit dem 12. Februar 2015 in den Kinos.

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