YEAR OF THE GUN / VERLIEBT IN DIE GEFAHR (1991)
Anders als Giuseppe Ferraras IL CASO MORO bietet Regisseur John Frankenheimer nicht den verteilten, demokratischen oder pluralistischen Blick auf den Fall der Moro-Entführung, sondern einen verengten, eine von außen, der entsprechend auch mehr auf das Italien oder mehr noch das Rom selbst fällt. Es ist vor allem der Blick des Genre-Kinos, das sich nimmt und macht, was es braucht.
Rogert Ebert lobte in seiner Kritik von 1991 Frankenheimers Können gegenüber dem Material, das die Story des Films bietet. Rom verkomme nicht zur bloßen Kulisse, sondern käme, als graubraune, schmuddelige Herbstlichkeit zu eigenem Recht. Ein Ort, so Ebert, in dem Frankenheimer seine Hauptfigur platziere und eingrabe – David, für den Andrew McCarthys mit seine offenen Gesicht und seiner Sauberkeit die richtige Wahl sei; ein Hitchcock-Charakter, ein Ausländer in der Fremde, hineingestoßen in die Unübersichtlichkeit, aus der heraus sein Leben bedroht wird.
Nun drängt wohl zwangläufig der Blick von außen die Stadt, ihre Architektur, ihre Atmosphäre in den Mittelpunkt als es bei heimischen Produktionen der Fall ist, zumindest, wenn es diesen eben nicht um erzählerischen Tourismus geht. Bei Ferrara mit in seinem Reportage-Stil kann Rom sozusagen unsichtbar werden. In YEAR OF THE GUN mag die Stadt selbst als „Akteur“ hoch präsent sein. Gerade als solcher ist sie vielleicht kein schöner, sonniger Schauplatz, Frankenheimer nutzt sie dennoch in ähnlich touristischer Weise, bloß dass er keine Sommerromanze mit und in ihre inszeniert. Ein ums andere Mal verunheimlicht er sie und macht sie zum Gegenspieler – eine drohende labyrinthische Kulisse für ein Land in dem nahezu Bürgerkrieg herrscht und Terroristen wie Phantome, fast wie dämonische Killer aus einem Giallo-Horrorfilm Dario Argentos ihr undurchsichtiges Spiel treiben.
Der Film will das schon gleich zu Beginn klarhaben. Die Texttafel informiert etwas maßlos:
„Italy is in chaos. A group of terrorists calling themselves the Red Brigade has brought a shocked society to a state bordering on revolution.“ Chaos, Schock – ein moribundes Rom in Endzeitstimmung. Dort kommt abends der Autor David Rayburn an, am Flughafen, wo Uniformierte mit Schnellfeuerwaffen warten. Auch vor dem Gebäude: Soldaten, Kontrollen, polizeiliches Blaulicht und Sirenen. Ein Schnitt und schon sind wir auf einer nächtlichen Demonstration, auf der rote Fahnen geschwungen werden, der Faschismus angeprangert und die Freiheit der einsitzenden Kommunsten gefordert wird. Die Polizei mit Helmen und Schilden wie auch in konventioneller Uniform warten schon auf ihren Einsatz. Die Keilerei geht los, ein Molotov-Cocktail wird in einen Streifenwagen geworfen… Schräge Perspektiven, eine agile Kamera. Dazwischen, dümmlich zufrieden: David im Taxi.
Ebert irrt ein wenig, aber auf bezeichnende Weise. Dieser David kennt sich gut aus in Rom, und ist auch selbst kein unbedarfter, unpolitischer Amerikaner. Daheim hat ist er als Ex-Studentenführer in den wilden 1960ern unter Terrorismusverdacht geraten, hier nun arbeitete er als Reporter. Heimlich schreibt er an einem Buch für die Roten Brigaden, ein wilder Reißer im Enthüllungsstil, und er unterhält ein Verhältnis mit einer (noch) verheirateten Frau (Lia, gespielt von Valeria Golino) deren getrennt lebender, reicher, gemeiner Ehemann das gar nicht gerne sieht.
Auftritt Sharon Stone als Fotojournalistin Alison Stone, blond, schön, mutig und ein Jahr vor ihrem Riesenerfolg BASIC INSTINCT (1991) noch nicht völlig die kontrollierende femme fatal, eher abgefeimt und doch ganz tief drin eine Zarte in ihrer rauen Profession – auch so eine Standardfigur. Sie ist durch Zufall dabei, wie die Brigaden eine Bank ausrauben, knippst drauf los, nicht auf ihre Sicherheit achtend. Die Brigadisten erschießen dabei ein Pferd.
Alison und David scharwenzeln später um einander herum, sie will die Fotos zu seinem Buch liefern; er bestreitet, dass er überhaupt ein Buch schreibt. Ein bisschen Gangster-Screwball-Atmosphäre zwischen Einander-ins-Bett-Zerren und Sich-gegenseitig-in-die-Pfanne-hauen.
Die Roten Brigaden treten wieder auf, als wild in die Luft schießende fiese Kerle auf der Party eines Verlegers, berauben die Herrschaften um Schmuck und Brieftaschen, werden auch handgreiflich. Neben dämonischen Verschwörern sind die italienischen Linksterroristen auch unfreundliche rüpelhafte Strauchdiebe und Banditen, solche, die den Gastgeber an der Nase packen und in den Pool werfen.
*** Vorsicht, Spoiler!! ****
Auch über Davids Freund, den Uni-Dozenten Italo (John Pankow) erleben wir sie in dieser Zweifaltigkeit der mysteriösen Konspiration und der staatsgefährlichen Rüpelhaftigkeit: Im Verlauf des Films stellt sich heraus, dass er nicht nur ihr sarkastischer Beobachter und Kommentator gegenüber David ist, sondern, zumindest ein bisschen mit ihnen paktiert. So brauchen sie mal eben unangekündigt seine gutbürgerliche Wohnung, unfreundliche kommandieren sie ihn herum; die humorlose Terroristin ohne Manieren setzt sich gar mit herausforderndem Starren vor seinen Augen aufs Klo. Aber kein Grund zur Herablassung: Dass die deutschen Genossen nicht besser waren wissen wir spätestens seit DIE BLEIERNE ZEIT.
Zuletzt aber ist auch Lia eine der Verschwörerinnen, ein hilfloses Mitglied der Sekte, der ihr gegen ihren Mann helfen soll. Und David und Alison kommen in ernste Schwierigkeiten: In seinem – ihm gestohlenen – Buch hat David etwas von der Entführung Aldo Moros (Aldo Mengolini) zusammenfabuliert. Dummerweise ist genau das geplant – und wird durchgeführt.
Mit schnellen Schnitten, dramatischen Einstellungen, viel Blut und finster entschlossenen Mienen der als Piloten verkleideten Kidnapper (und der selbst kalt killenden, grimmig blickend und kommandierenden „Stewardess“) inszeniert Frankenheimer den Überfall auf Moro und seine Verschleppung nach. Die klappt, und in einer Berghütte über der Stadt freut sich steif der bebrillte Anführer. Dann werden David und Alison die Augen verbunden, ins Auto geladen. An einem Hang stellt man sie auf, wie ein Erschießungskommando. Doch statt ihnen wird Davids geliebte Lia exekutiert.
In diesem Moment macht der Film Sinn und wächst mit gerade mit seinen Standartfiguren Alison und David über sich hinaus. Es kippt das Gangster- und Geheimniskrämer-Spiel in der Ewigen Stadt um und lässt etwas von der genre-brechenden Wirklichkeit des Terrorismus aufblitzen (Bill Contis Mönchschorälen in dieser Szene zum Trotz): Vor den fassungslosen, entsetzten Blicken der US-Staatsbürger setzt sich der Brigaden-Chef seine Sturmhaube auf und weißt Alison an, Fotos zu machen. Die Welt solle erfahren, wie die Roten Brigaden mit Verrätern umgehen. So kollabieren die Erzählregeln von Gangsterkrimi und Verschwörerei und es kommt die ganz und gar unbequeme kommunikologische Verfasstheit des Terrorismus zum Vorschein, die THE YEAR OF THE GUN bei all seinen Terroristen und dem permanenten Ausnahmezustand bis zu dem Punkt mustergültig und für seine Zwecke auszublenden wusste.
Doch sogleich bricht sich Hollywood wieder Bahn, jedenfalls ein bisschen, wenn David sich auf den Anführer stürzen will, mit wutverzerrtem Blick und in Zeitlupe. Es wird nichts draus, aber immerhin.
*** Spoiler-Ende ****
Letztlich aber geht es Frankenheimer mit der Adaption des Romans von Michael Mewshaw gar nicht darum, Politkino zu machen. Er begnügt sich, Genrespannung mit etwas Politexotik anzureichern, mit Italien, mit Linksterroristen, fremd und schön, unheimlich, unerklärt und brutal, faszinierend, unverständlich und heillos überbordend. Kurioserweise ist das Bild von Rom und den Roten Brigaden so voller Geheimniskrämerei, Unheimlichkeit, Verrat und Ränken, so verwickelt und verwinkelt, dass echte Komplexität, politische Ranküne, unheilvolle Verstrickungen, Vermischungen und Manipulationen zwischen und (ausgehend) von Geheimdiensten, Politikern und Staatsstellen im Falle Moro dort nicht hineinfinden. Solche grenzauflösenden Machtspiele, die viel eher grau in grau sind und gerade deshalb der unheilvollen Gassen und Nebelfetzen nicht brauchen, sondern sich prächtig im alltäglichen Sonnenschein verstecken können.
Wenn es eine „anti-terroristische“ Gegenszene zur gerade beschriebenen „Erleuchtung“ gibt, dann die, in der David von seinem Verleger auf die fatale Idee für sein Buch gebracht und gleichzeitig über die Unkenntnis des Landes verhöhnt wird. Denn der Zeitungschef, so brüstet er sich, wüsste schon, wen er entführen würde, wäre er die Roten Brigaden: Moro natürlich, der die Kommunisten in einen Kompromiss getrickst und intime Kenntnisse aus dem Bereich der Politik habe und wisse, wo die Leichen im Keller lägen. Da lächelt der zuvor im Pool baden gegangene Chef selbstzufrieden, und David greift gedankenschwer staunend zur Zeitung.
So einfach geht es natürlich auch.
Bernd Zywietz
(In Teil 3: BUONGIORNO, NOTTE (2003) von Marco Bellocchio)
Zu Teil 1 von Die Aldo-Moro-Entführung im Film geht es HIER