Die Afghanistan-Connection


“Sie waren zusammen im Afghanistan-Einsatz. Jetzt sitzen sie auf entscheidenden Posten im Ministerium. Sie prägen das Bild, das sich die Ministerin macht. Sie bestimmen Ausrichtung, Struktur und Selbstverständnis der Truppe. Welche Folgen hat das für Deutschlands Sicherheit?

Am Anfang standen eine Beobachtung, eine Frage und ein Verdacht. Die Beobachtung: Das militär- und sicherheitspolitische Denken hierzulande ist stark Afghanistan-fokussiert. Die Frage: Woran liegt das? Der Verdacht, geäußert von einem hohen Offizier der Bundeswehr: Im Ministerium herrsche eine „Afghanistan-Connection“ aus Soldaten, die sich aus dem Einsatz am Hindukusch kennen, mit immensem Einfluss auf Strategien, Ausrüstung, Ausbildung – und direktem Zugang zur Ministerin. Kann das sein? In einer Kooperation begann der Tagesspiegel mit dem ARD-Magazin „Fakt“ zu recherchieren. Fast ein ganzes Jahr wurden Strukturen der Bundeswehrführung studiert, Organigramme des Ministeriums, Biografien hoher Militärs, Stapel ministerieller Verordnungen, kleine Anfragen der Fraktionen und die Antworten der Bundesregierung, Dutzende vertraulicher Papiere und vieles, vieles mehr. Das Ergebnis: Es gibt sie wirklich, die Afghanistan-Connection.

Was ist die Afghanistan-Connection?
Eine Verbindung von Bundeswehrsoldaten, die im Afghanistan-Einsatz waren und jetzt auf entscheidenden Posten im Verteidigungsministerium und anderswo sitzen. Eine Verbindung, von der ein hoher Offizier in verantwortungsvoller Position im Ministerium, der anonym bleiben möchte, sagt: „Die Bezeichnung Afghanistan-Connection ist die bestmögliche Bezeichnung, die man da finden kann. Es ist eine enge Bruderschaft aus 25 bis 30 Offizieren.“ Die Männer würden sich gegenseitig unterstützen und fördern. Das Erlebnis des Krieges habe sie extrem geprägt. Jetzt prägen sie das Bild, das sich die Ministerin macht: vom Haus, von der Bundeswehr und von deren Rolle in der Welt.

Wer gehört dazu?
Der Organisationsplan des Ministeriums unter der Führung von Ursula von der Leyen (CDU) liest sich in Teilen wie das Who’s who des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Eben noch am Hindukusch, jetzt am Ohr der Ministerin. Im Zentrum steht Volker Wieker. Er war der erste deutsche Vier-Sterne-General im Afghanistan-Einsatz. Wieker ist Generalinspekteur, der oberste Soldat der Bundeswehr und als solcher der maßgebliche Berater der Ministerin. Ein enger Vertrauter Wiekers ist Generalmajor Markus Kneip, Leiter der Abteilung Strategie und Einsatz. Kneip begleitet von der Leyen fast immer und überallhin. Er steht auf allen Auslandsreisen und Truppenbesuchen an ihrer Seite. Er bereitet sie vor, erläutert, erklärt, hilft bei der Auswertung. Oberstleutnant Heico Hübner ist Adjutant der Ministerin und Erster, schon weil räumlich nächster Ansprechpartner. Sie stehen für eine Entwicklung, die zeigt, wie aus Vertrauensverhältnissen, wie sie unter den Extrembedingungen des Einsatzes begründet werden, Netzwerke entstehen. Belastbare Bande. So belastbar, dass sie sich in der Personalentwicklung bei der Truppe niederschlagen. Bis ins Ministerium hinein. Und übers Ministerium hinaus, etwa im Einsatzführungskommando, im Planungsamt, beim Kommando Spezialkräfte. Diese Offiziere, sagt der Ministeriumsmitarbeiter, bilden jetzt „eine Art Seilschaft auch im Friedensdienst in Deutschland“.

Welchen Einfluss hat die Connection?

Der lässt sich nur schwer vermessen, in Zahlen und Daten ausdrücken – aber er ist kaum zu überschätzen. Ursula von der Leyen kam als Sach- und Fachfremde ins Amt des Verteidigungsministers. Vom Militär hatte sie wenig Ahnung. Umso dringlicher ist sie auf Beratung angewiesen, was Fragen zur Ausrichtung, Ausrüstung und Ausbildung der Truppe angeht, zu Nato- und UN-Einsätzen, zur Einschätzung der Krisen und Konflikte weltweit. „Die ersten sechs Monate sind entscheidend“, sagt der frühere Generalinspekteur Harald Kujat. „Nach meiner Erfahrung ist die Beratung eines Ministers am intensivsten und auch am wichtigsten in den ersten sechs Monaten.“

Hat das Wirken der Connection politische Folgen?
Raketenangriffe auf das Feldlager, zivile Tote bei Bundeswehroffensiven, nicht geahndete Verstöße gegen Einsatzregeln, die Bombardierung zweier Tanklaster auf Befehl des deutschen Oberst Georg Klein mit mehr als 140 Toten, seit langem bekannte, aber verschwiegene Materialmängel – die Liste von Affären und Verfehlungen ist lang. Und ebenso zahlreich sind die Klagen über die Informationspolitik des Ministeriums, wenn es schwierig wird: abwiegeln und abschotten. „Mangelnden Aufklärungswillen“ attestierte zum Beispiel der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), dem Ministerium aus wiederholt gegebenem Anlass.

Der Geist jener Haltung, die dahintersteckt, offenbarte sich jüngst in einem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Markus Grübel, der die Nicht-mehr-Veröffentlichung des sogenannten Bundeswehrplans und einer Finanzbedarfsanalyse begründete. Kernaussage: 2015 werde man überlegen, wie die Abgeordneten ab 2016 wieder informiert werden könnten. Die verstehen das Schreiben vom 8. August 2014 als Kampfansage: Vor 2016 keine Informationen mehr darüber, was die Truppe braucht und was das kosten soll? Die Verteidigungspolitiker fühlen sich an ihrem Kerngeschäft, der Kontrolle der Regierung, gehindert.

Wer nicht kontrolliert werden will, hat offenbar etwas zu verbergen
SPD-Politiker Klingbeil erinnert das Ministerium an dessen Auskunftspflicht: „Wir sind die politisch Verantwortlichen.“ Der Bundestag, die Abgeordneten sind es, die die Armee in den Einsatz schicken: „Deswegen gehören die Informationen ins Parlament.“ Nouripour spricht von einem Skandal. Wer Informationen für sich behalte, wolle offenbar nicht kontrolliert werden. Wer nicht kontrolliert werden wolle, bei dem liege möglicherweise einiges im Argen. Diese Haltung sei völlig indiskutabel, sagt der Grünen-Politiker. Sie zeige aber, „wie es um von der Leyens Demokratieverständnis bestellt ist“.

Und um das ihrer Berater.

Die “Afghanistan-Connection” ist eine Recherche-Kooperation des Tagesspiegels mit dem ARD-Magazin “Fakt”. Der “Fakt”-Beitrag zum Thema wird am 7. Oktober um 21.45 in der ARD ausgestrahlt. Alles zum Thema, Hintergründe, Porträts, Grafiken finden Sie auf der Seite http://www.afghanistan-connection.de

Quelle und gesamter Text: http://www.tagesspiegel.de/politik/kooperation-tagesspiegel-ard-magazin-fakt-die-afghanistan-connection/10800166.html


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