die affäre schiwago

Author-and-journalist-Peter-Finn-Die-Af„Als die CIA einmal den Literaturpreis erhielt“ textete die Welt am Sonntag im Feuilleton und beweist einmal mehr, dass man es im modernen Journalismus mit genauen Fakten oft nicht mehr ganz so genau nimmt, wenns um die „richtige“ Ideologie geht – so gesehen passt es prima zum Thema: es klingt zwar spannend, doch am Ende war es immer noch der Autor selbst, der ausgezeichnet wurde, auch wenn er die Ehrung ein paar Jahre zuvor ablehnen musste. Aus politischen Gründen.

Die Rede ist von Boris Pasternak und seinem Roman „Doktor Schiwago“, einem der erfolgreichsten Romane aller Zeiten – auch die Verfilmung des Buches ist ein Klassiker. Dass ein Buch einen derartigen Liteaturskandal auslösen kann, ist auch in ideologisch und politisch angespannten Zeiten schwer nachvollziehbar – wenn man die Hintergründe nicht kennt. „Die Affäre Schiwago“ von Peter Finn und Petra Couvée – erschienen im Theiss Verlag – zeichnet jetzt die Geschehnisse in einem detailgenauen, „literarischen Thriller“ nach.

Jahrelang recherchierten die Autoren in Bibliotheken und Archiven, bekamen Zugang zu streng geheimen Dokumenten, befragten Hinterbliebene und Zeitzeugen, wälzten Biographien und Memoiren und verfolgten so die Spur eines Dichters, der ungewollt und oft genug völlig naiv zur weltbekannten Staatsaffäre wurde.

Als Boris Pasternak 1956 dem italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli sein Manuskript anvertraut, war ihm die Brisanz seines Unternehmens durchaus bewusst. „Hiermit sind sie zu meiner Hinrichtung eingeladen“, sagt Pasternak bei der Übergabe der in Zeitungspapier eingeschlagenen Blätter an Literaturagent Sergio D’Angelini, welcher den Roman im Garten von Pasternaks Datsche abholt und nach Italien bringt. Vermutlich Galgenhumor – dass es derart herb für ihn kommt, hat sich vermutlich nicht einmal Pasternak ausmalen können.

Auschluss aus dem Schriftstellerverband, permanente Überwachung durch das Sowjetregime, übelste Hetzkampagnen und öffentliche Ächtung in allen medialen Kanälen, Verrat und Intrigen im engsten Familienkreis – und das alles wegen eines Romans, dessen Hauptfigur „in einer verlorenen Vergangenheit, dem kulturellen Milieu der Moskauer Intelligenzija“ wurzelt und der resigniert Resumee zieht: die russische Revolution hat die russische Seele kalt gestellt.

Das Verbot lässt sich etwa damit vergleichen, als ob die deutsche Ausgabe von Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ unter allen Umständen hätte verhindert werden müssen. Nur die Dimension ist in Pasternaks Fall deutlich größer – und viel aberwitziger!

Während die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg unverzüglich eine Gesinnungs-Transformation verordnet bekamen, inszenieren die beiden alliierten Siegermächte ihren jeweiligen Nimbus als einzig wahres Staats- und Wirtschaftsmodell immer perfider – es herrscht Kalter Krieg zwischen den kapitalistischen Vereinigten Staaten und dem kommunistischen Ostblock.

Zuvor wütete Stalin in Diktatorenmanier, lässt Millionen Menschen umbringen und in Lagern internieren – vor allem Juden, Schriftsteller, Wissenschaftler und weitere Angehörige der Intelligenzija trifft die „Säuberungsaktion“ besonders hart. Dass Boris Pasternak überlebte – Zufall, ambivalente Hassliebe zwischen Dichter und Diktator oder das internationales Renommee? Vermutlich schützte ihn die Kombination dieser Phänomene.

Bis auf ein Telefonat gab es keine persönlichen Gespräche zwischen den beiden und obwohl Stalin „seine“ Schriftsteller als „Ingenieure der Seele“ bezeichnete, verfolgt er sie paranoid und akribisch und nur der Hauch einer Regimekritik führt zu Repressalien bis zum Berufsverbot.

Stalins Machtapparat und seine Gedankenpolizei wirken so effizient, dass Pasternak und sein Roman noch lange nach Stalins Tod regelrecht dämonisiert werden, überhaupt konnte sich damals kein russischer Autor vorstellen, das eigene Werk im Ausland zu veröffentlichen, ohne eine Verhaftung zu riskieren.

Dass es Pasternak nach zermürbenden inneren und äußeren Kämpfen schließlich doch gelang, dabei spielte die CIA sicher keine Nebenrolle – und dieser Part gibt tiefe Einblicke in das Wirken von Geheimdiensten. Einziger Unterschied zu heute: die technischen Mittel waren weitaus weniger ausgereift und die meisten Akteure waren tatsächlich noch von idealistischen, moralischen Absichten getrieben, während sich Staatsschutz heute vor allem den Vorwürfen der Korruption, paranoider Datensammelwut und ideologischer Verselbständigung gegenüber sieht.

Ums abzukürzen: das Buch beschreibt, wie die CIA als „Schattenverleger“ im Fall Doktor Schiwago die Strippen zieht und schließlich die „Buch-PR“ konzertiert: sowjetische Besucher der Brüsseler Weltausstellung erhalten 1958 im Pavillon des Vatikan Mini-Ausgaben von Schiwago. Ostblock-Reisende, Matrosen, öffentliche Personen sowie Besucher eines Wiener Jugendfestivals schmuggeln das Buch in die Sowjetunion.

Und während die Geheimdienstler anfangs noch um „offizielle“ Verleger buhlten, druckte die CIA später eigene Ausgaben von Doktor Schiwago.

Der Roman erscheint in immer mehr Ländern und geht schließlich um die Welt – ganz so wie sein Urheber es wollte. Das Buch erzählt gleichzeitig, wie die CIA also mit Hilfe gedruckter Buchstaben und zig Millionen Dollar Krieg gegen den Kreml führte. „Wir haben ein großes Loch in den Eisernen Vorhang gerissen“, zeigt man sich in der Kommandozentrale zufrieden.

Das Buch erzählt auch, wie hinter dem Eisenen Vorhang Pasternaks Geliebte verhört und verurteilt wird, welchen Feldzug der russische Schriftstellerverband gegen den Kollegen Pasternak führte, aber auch, wie eine Solidaritätsbewegung um den Dichter entstand und wie er schließlich doch noch den Literaturnobelpreis bekam, den allerdings sein Sohn stellvertretend entgegen nahm.

Ein Buch, das spannend wie ein Krimi ist und vor allem für jüngere Leser so aberwitzig wie ein Science Fiction-Roman anmutet – obwohl er in der Vergangenheit spielt. Ein Buch, das am Beispiel Boris Pasternak eindringlich den Wert geistiger Freiheit verdeutlicht und das gerade jetzt, wo sich die Blockbildung zwischen Russland und den USA vordergründig zuspitzt, wichtig und aktuell ist.

Peter Finn, Petra Couvée „Die Affäre Schiwago. Der Kreml, die CIA und der Kampf um ein verbotenes Buch“, 384 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 29 Euro 90, Theiss Verlag



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