Eigentlich sollte es bei einer Liste, die sich mit unerwarteten Filmenden beschäftigt, nicht überraschen, das es den ein oder anderen Spoiler gibt. Dennoch sei hier formal darauf hingewiesen, dass all jene, die einen der Filme auf dieser Liste noch nicht kennen, sich das Weiterlesen gut überlegen sollten und es - wenn - dann nur auf eigene Gefahr machen. Wobei der Einwand, dass diejenigen sich dann ohnehin schleunigst den noch nicht gesehenen Film (oder gar Filme?) besorgen und gefälligst anschauen sollten, durchaus auch seine Berechtigung hat.
Eine kleine Erklärung zu unserer Definition von Surprise Ending: Dies ist ein sogenannter (kurz: ein Wechsel in der erwartbaren Richtung der Handlung), der am Ende oder bei der Auflösung der Handlung erfolgt und die Zuseher dazu veranlasst, die Erzählung oder die Charaktere neu zu bewerten. Alles klar?
Fight Club (1999, Regie: David Fincher)Mittlerweile vielleicht als die Mutter aller Surprise Endings zu bezeichnen, vermag es David Finchers großartiger Thriller auch heute noch, den Film (gerade) bei der zweiten Sichtung einen grundsätzlich neuen Unterton und eine neue Sichtweise zu verleihen. Das sich der plötzliche Moment der Klarheit, wer oder was genau Tyler Durden (Brad Pitt in einer seiner Glanzrollen) ist, auch im Rückblick auf das Verständnis der Handlung auswirkt, ist logisch, werden doch einfach mal zwei Charaktere zu einem zusammengeführt. Kleine Details, Seitenhiebe, Kommentare des namenlosen Protagonisten - alles fügt sich zur logischen Konklusion zusammen, der auch heute noch einen der größten Reize von Fight Club darstellt. Noch selten wurden so gekonnt Sympathien für ein Hirngespinst geweckt.
The Others (2001, Regie: Alejandro Amenábar)"Alejandro wer?" Alejandro Amenábar nennt sich der talentierte chilenische Regisseur des wunderbar düsteren und ebenso enigmatischen Films The Others, in der Nicole Kidman zeigen kann, warum ihr Name nicht schon längst in Vergessenheit geraten ist. Als übervorsichtige, paranoide und innerlich geradezu als zerrissen zu bezeichnende Mutter zweier Kinder mit Lichtallergien brilliert die bekannteste aller Ex-Frauen von Tom Cruise und vermittelt gekonnt Einblick in ihren durchexerzierten Alltag. Gebeutelt von der Sehnsucht nach ihrem im zweiten Weltkrieg kämpfenden Ehemann und von merkwürdigen Ereignissen in der großen Villa, stellt der Twist der Geschichte zugleich auch den Beginn der Katharsis der Protagonistin dar, denn Kidman und Kinder sind nicht Opfer übernatürlichen Vorkommnisse, sondern quasi Täter, da sie verstorben und demnach Geister (!) sind.
The Sixth Sense (1999, Regie: M. Night Shyamalan)The Sixth Sense hat Ende der 90er Jahre das Suprise Ending wieder salonfähig gemacht und gleichzeitig die Karriere seines Schöpfers M. Night Shyamalan dazu verdammt, sich auf Ewig mit einem überraschenden Ende abzumühen - und die Handlung all seiner künftigen Filme darauf zu reduzieren. Selbst nach über zehn Jahren auf dem Buckel, gilt es noch immer als Kapitalverbrechen, einem Uneingeweihten das Finale zu verraten, so perfekt und subtil ist es in die Handlung verwoben.
The Prestige (2006, Regie: Christopher Nolan)Innerhalb der pressplay-Filmredaktion als heimlicher Star des Oeuvres von Regisseur Christopher Nolan gesehen, konnte The Prestige auch Zuseher und Kritiker weltweit überzeugen: Eine tolle Besetzung mit Größen wie Hugh Jackman, Christian Bale und einem grandiosen Gastauftritt von David Bowie; eine überaus wahnwitzige Story und eine Einbettung derselben in eine fantastisch-steampunkige Welt - was will man mehr? Tatsache ist, das Nolan zusätzlich den Twist in der Geschichte von The Prestige (basierend übrigens auf dem gleichnamigen Roman des britischen Schriftstellers Christopher Priest) so gekonnt verwoben hat, das auch nach mehrmaligem Sichten keine Ermüdungserscheinungen wie etwa beim gehypten Inception entstehen. Und was ist schon besser als ein Christian Bale? Logisch: Zwei Bales!
No Way Out (1987, Regie: Roger Donaldson)Um den Mord an der Geliebten eines windigen Politikers (Gene Hackman) zu vertuschen, wird Kevin Costner auf die Jagd nach einem (zunächst nur als fiktiv gedachten) Maulwurf der sowjetischen Regierung geschickt, um ihm nicht nur den Mord in die Schuhe schieben zu können, sondern den Verräter auch gleichzeitig zu entlarven (als sich herausstellt, dass es tatsächlich einen Maulwurf gibt). Kevin Costner, nach Die Unbestechlichen gerade auf die Heldenrolle abonniert, vollzieht hier einen überraschenden Rollenwechsel, als er zuerst seinem besten Freund Will Patton die Schuld in die Schuhe schiebt und sich am Ende gar selbst als der sowjetische Geheimagent entpuppt. Grandios wie sich Costner zuerst in die Herzen der Zuschauer spielt, nur um am Schluss dieses Bild wie eine Seifenblase platzen zu lassen.
Die üblichen Verdächtigen (1995, Regie: Bryan Singer)Eigentlich hätte man schon misstrauisch werden können, als Roger "Verbal" Kint (Kevin Spacey) verkündet, dass der größte Trick des Teufels der ist, der Welt glauben zu machen, dass es ihn nicht gäbe. Oder als er dem Cop Dave Kujan (Chazz Palminteri) versicht, dass der Über-Gangster Keyser Soze niemals so leichtsinnig wäre sich so Nahe an die Cops zu trauen, dass sie ihn erwischen könnten, er wäre viel zu vorsichtig. Immer wieder mockiert er sich über Kujan, der ihn verhört und des Zuschauers Stellvertreterposten im Film einnimmt. Umso ärgerlicher die Überraschung, dass er doch tatsächlich die ganze Zeit in Form des scheinbar verkrüppelten Kleinganoven Kint vor uns gesessen ist und uns ein Lügenmärchen nach dem anderen aufgetischt hat. Egal wie man nun dazu stehen mag, die Lüge (und sind das nicht die meisten Geschichten?) war derart gekonnt konstruiert und ineinander verwoben, dass es ein Genuss war sich so frech belügen zu lassen.
Shutter Island (2010, Regie: Martin Scorsese)Jetzt kann man über die Qualität von Martin Scorseses Shutter Island streiten oder nicht, eines offenbart sich spätestens nach einer erneuten Sichtung des Thrillers: Wenn jemand den Zuseher in die Irre führen kann und zugleich so viele Hinweise zur Aufklärung streuen kann, dann offenbar der gebürtige New Yorker Regie-Altmeister. Mithilfe seines liebgewonnenen Favoriten Leonardo DiCaprio (und vielen grandiosen Schauspielern in Nebenrollen) legt Scorsese Fähren und überlässt es den Protagonisten und Zuseher gleichermaßen, auf das Geheimnis rund um die Ereignisse der titelgebenden Insel und deren "Bewohner" zu kommen. Die Auflösung sei in ihrer dramaturgischen Abfertigung nun als passend oder doch eher unglaubwürdig zu erachten - die Wirkung verfehlt sie zumindest nicht.
Der Maschinist (2004, Regie: Brad Anderson)Auf den ersten Blick mag Christian Bales radikal abgemagerter Körper, um den seit über einem Jahr nicht mehr schlafenden Trevor Reznik darzustellen, das wohl schockierendste an Der Maschinist sein. Doch wenn das Ende zuschlägt und das ganze Ausmaß der Tragödie offenbart wird, die für seine Schlaflosigkeit verantwortlich ist, versteht man warum dieser Mann solch ein Wrack ist. Der Unfall vor einem Jahr hat auch letztlich nicht nur dazu geführt, dass Trevor nicht mehr schlafen kann, sondern sich auch allerlei Personen und Situationen zusammenspinnt, bis hin zu einer feinen Verschwörung innerhalb seiner Fabrik. Das erstaunlichste Kunststück an Der Maschinist ist die feine Balance zwischen seinen düsteren, der verstörten Gedankenwelt seines Protagonisten enthobenen Momenten, und seinen durchaus realen, gerade deswegen so erschütternden Hintergründen, für Rezniks Krankheit. Was sich vor dem Zuschauer abspielt ist eine Gratwanderung zwischen Realität und Wahnvorstellung, deren Trennung erst durch das überraschende Finale erkenntlich gemacht und vom Zuschauer erkannt werden kann, eine Achterbahnfahrt durch die Psyche seines Protagonisten.
Lucky Number Slevin (2006: Regie: Paul McGuigan)Als "Kansas City Shuffle" wird hier ein Ablenkungsmanöver bezeichnet, wie der von Bruce Willis gespielte Mr. Goodkat (= der beste Name für einen Auftragskiller aller Zeiten!) erklärt. Dabei sieht die ganze Welt nach rechts, während man selbst links herum geht. Will heißen man benutzt den unschuldigen Slevin Kelevra (Josh Hartnett) als Lockvogel, damit man an zwei der größten Mafiabosse rankommt und sie töten kann. Erst im Finale entfaltet sich jedoch die vollkommene und tatsächliche Bedeutung des Kansas City Shuffle und die Tatsache, dass der brave Kelevra gar nicht so unschuldig ist, wie die ganze Zeit vermutet. Selten hat ein Film derart verspielt und charmant den Zuschauer nach rechts blicken lassen, während sich Lucky Number Slevin klammheimlich von links anschleicht und sein überraschendes, aber auch herzliches Ende offenbart. Mr. Goodkat hat seinen Namen alle Ehre gemacht.
Oldboy (2003, Park Chan-Wook)Eine Auflösung in der Dimension einer griechischen Tragödie. Nichts weniger als das bietet der, auf den ersten Blick als harter Actionfilm deklarierte Oldboy, als sich im Finale die ganze dramatische Auswirkung des Handelns der Hauptfigur offenbart. Nicht nur, dass es einen guten Grund gab Oh Dae-su (Min-sik Choi) fünfzehn Jahre lang einzusperren, auch der schreckliche Inzest, den er unwissentlich begeht, war Teil eines perfiden Plans den Mann endgültig zu brechen. Mission gelungen! Ein hartes Stück zum Verdauen. Bei jeder erneuten Sichtung möchte man Oh Dae-su am liebsten vor seinen bevorstehenden Fehlern, die er - verblendet vom Rachewahn - begehen wird, warnen.
Passend, aber....leider nicht auf der Liste unterzubringen waren diverse Klassiker, allen voran natürlich Planet of the Apes, dessen Surprise Ending zwar filmgeschichtlich relevant, aber doch etwas durchgekaut im Vergleich zu unseren gelisteten Filmen erscheint. Lange überlegt haben wir auch bei The Skin I Live In und , die beide ebenfalls großartige Wendungen bieten, angesichts der Konkurrenz jedoch nur hier unterzubringen waren. , The Village und The Book of Eli sollen zusätzlich noch erwähnt werden, der Vollständigkeit willen.
Über den Autor
Marco Rauch Aufgabenbereich selbst definiert als: Kinoplatzbesetzer. Findet den Ausspruch „So long and take it easy, because if you start taking things seriously, it is the end of you" (Kerouac) sehr ernst zu nehmend.