Rosen sind schön. „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose" hat die französische Philosophin Gertrude Stein mal gesagt und damit definitiv geklärt, was eine Rose ist. Manche Frauen sind wie Rosen - entweder sehen sie sich als solche oder sie wollen sich als solche sehen.
Rosen waren eigentlich nie mein Ding, ich bin eher für die kleinen Sachen. Vergissmeinnicht zum Beispiel. Oder Ameisen.
Wie auch immer: Rosen und Ameisen stehen für besondere Momente.
Vor einigen Jahren hatte die Malgruppe der Brustkrebs-Patientinnen eine kleine Ausstellung im Foyer der Uni-Frauenklinik Köln organisiert. Das Thema war, ihren inneren Gefühlszustand, den die Diagnose ausgelöst hatte, bildlich darzustellen.
Ein Bild beeindruckte mich besonders: Die Patientin hatte eine Rose in einem Wasserglas gemalt. An der Wasseroberfläche brach der Stängel optisch in zwei Teile, der obere Teil wirkte leicht ver-rückt vom unteren Teil.
„In diesem winzigen Bruch liegt eine ganze Welt," dachte ich damals. „Die Welt um einen herum dreht sich weiter, und man ist auch immer noch die Person, die alle kennen. Aber für einen selbst ist nichts mehr, wie es war. Das alte Leben ist unwiederbringlich vorbei, man zehrt von der Erinnerung an die Ganzheit, doch man wird nie wieder ganz, nie wieder heil."
So einfach, so zart im Ausdruck. So bewegend der Eindruck.
15 Jahre später wurde ich selbst mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert. Jahrelang hatte ich Angst vor Brustkrebs gehabt, jahrelang hatte ich mir den Moment ausgemalt, in dem der Arzt mir sagen würde... - dummerweise, denn Vorstellungen und Ängste neigen extrem dazu, wahr zu werden.
Doch statt dass in dem Moment meine Welt in Trümmer ging, blieben die Wände stehen, der Boden blieb fest, die Decke stürzte nicht ein. Vielmehr war ich ungeheuer erleichtert: Er ist endlich entdeckt! Ich muss keine Angst mehr haben!
Während die Ärzte mich mit nachdenklich-traurigem Blicken gehen ließen, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Es ist jetzt nicht so, dass ich gejubelt hätte. Ich fühlte mich benommen, als hätte ich unter einer Glocke gesessen, gegen die jemand mit dem Klöppel geschlagen hatte.
Aber ich war nicht deprimiert oder voller Angst vor dem, was auf mich zukam. Ok, es würde nicht angenehm werden, aber das ist der Preis. Ich hatte mir mit meinen Gedanken etwas ins Leben gezogen, das nicht zu mir passte, jetzt musste ich zusehen, wie ich dieses Etwas wieder loswerden konnte.
Ich erinnerte mich an das Bild von der zerbrochenen Rose und erkannte den Fehler: Die Rose im Glas ist immer noch heil. Um das zu erkennen, muss der Betrachter nur seinen Standpunkt verändern. Wäre die Malerin ein wenig nach links gerückt, hätte sie gesehen, dass der Stängel ganz unversehrt, un-ver-rückt durchging.
Der Bruch war nur eine optische Täuschung. Ob man die Diagnose als Bruch zu seinem alten Leben empfindet, kommt auf die individuelle Sichtweise an.
Wochen später nahm meine Behandlung ihren Lauf. In einer kleinen OP wurde unterhalb meines rechten Schlüsselbeins ein Port eingesetzt, der die acht Chemo-Infusionen erleichtern sollte. Weitere Untersuchungen grenzten das Ausmaß der Erkrankung ein.
Ich wartete den ganzen Sommer durch auf das psychische „Loch", in das ich gemäß meiner früheren Vorstellungen eigentlich hätte fallen sollen, aber nichts geschah und ich gab irgndwann das Warten auf. Das Leben ging weiter, ich trabte weiter, allerdings ohne so viel Staub aufzuwirbeln wie sonst.
Im Lauf der Zeit schickte mir mein Unterbewusstsein ein anderes Bild an die Oberfläche, mit dem ich heute den Zustand „Betroffener" zu verdeutlichen versuche:
Wir Menschen sind im Verhältnis zum Universum alle Ameisen. Ameisen sind winzig, mal gerade 0,8 mm groß. Wenn es zu so einer Diagnose kommt, ist es, als ob ein Mammutbaum umfällt. Die Welt drumherum ist geschockt über den erdbebenähnlichen Vorgang, und wenn sich die Blätter beruhigt haben, wird klar: Die Gesunden sind alle vor dem gefallenen Stamm, die Kranken alle dahinter.
Der Stamm ist hoch, keine Ameise kann drübergucken. Die Gesunden wissen folglich nicht, was für ein hektisches Gewusel hinter dem Baumstamm gerade passiert. Sie können nicht wissen, was der Kranke braucht. Das gilt auch für Gesunde mit medizinischer Vorbildung.
Die Kranken hinterm Stamm haben fürs erste keine Verbindung zu der Welt, die auch vor dem Baumstamm wuselt. Sie können sich nicht verständlich machen, müssen sich erst selbst mal sortieren. Dann haben sie genau zwei Möglichkeiten: Entweder sie verwinden den Schreck nicht und sterben auf Kurz oder lang. Oder sie versuchen, auf den Baumstamm drauf zu kommen, um wieder zu den Gesunden zu klettern. Nichts ist unmöglich!
Was können die Gesunden tun, die auf der anderen Seite sind, nicht wissen, wie sie helfen können und vor Sorge und Angst um ihre Lieben fast vergehen?
Liebe Gesunden, wenn ihr ein paar Vorschläge von mir annehmen wollt:
- Macht euch bewusst: Wir sind ALLE immer noch Ameisen.
- Eine Ameise wiegt 10 Gramm und kann das 50fache ihres Körpergewichtes tragen.
- Also bleibt, wo ihr seid und habt Vertrauen in uns, in unsere Stärke und darin, dass wir zurückkommen wollen.
Irgendwann taucht auf dem Baumstamm ein Kopf auf, der euch sucht und der den glücklichsten Moment erlebt, wenn er eure Augen findet und darin liest: „Ich habe auf dich gewartet."
Ich hab den Weg auf den Baumstamm geschafft, ohne Umwege und ohne wieder runterzufallen.
Wenn ich in Zukunft in Beiträgen in der Rubrik „Leben nach dem Krebs" über meine persönlichen Erfahrungen schreibe, dann nicht, weil ich an der Vergangenheit klebe und nicht loslassen kann.
Ich erwähne sie, weil sie vielleicht einer anderen Ameise die Tritte zeigen, um auf den Baumstamm raufzukommen, und glaubt mir, ich bin sehr zukunftsorientiert!
Darum, meine Lieben hinter dem Baumstamm, wenn ihr ein paar Vorschläge von mir annehmen wollt:
- Macht euch bewusst: Wir sind ALLE immer noch Ameisen.
- Eine Ameise wiegt 10 Gramm und kann das 50fache ihres Körpergewichtes tragen.
- Also steht auf, habt Vertrauen in Euch, in Eure Stärke und darin, dass ihr zurückgehen wollt.
Vielleicht hilft das Wissen, dass es jemanden gibt, der wartet.
Erzähl mir - welches Bild hast Du von Deinem Gefühl im Moment der Diagnose oder während der Krankheit? Möchtest Du die positive Botschaft Deines Bildes an meine Leser und Leserinnen weitergeben? Ich freue mich über deine Antwort auf diesen Beitrag.
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