Die Einsamkeit des Ural ist der Schauplatz für Devil’s Pass von Renny Harlin
Es gab eine Zeit, da war Francis Ford Coppola eine Instanz im Kino. Der Regisseur der Pate-Trilogie und Apocalypse Now mit den fünf Oscars in der heimischen Vitrine, ist dieser Tage jedoch nur noch sehr spärlich aktiv. Sollte man meinen. Vielleicht aber ist es auch einfach nur dem Umstand geschuldet, das seine neueren Filme die deutschen Kinoleinwände gar nicht mehr erblicken, man muss schon froh sein wenn man die jeweilige DVD findet: Tetro mit Vincent Gallo in 2009, Twixt mit Val Kilmer, Bruce Dern (aktuell in Nebraska zu sehen) und Elle Fanning in 2011. Erstgenannter Film ist bis heute nur als Import zu erhalten, Twixt hat es immerhin auf den hiesigen Heimmedienmarkt geschafft.
Ähnlich ergeht es dem finnischen Regisseur Renny Harlin, vielleicht nicht ganz so groß raus gekommen wie Coppola, kann er aber immerhin mit Stirb Langsam 2, Cliffhanger und Tödliche Weihnachten ein ordentliches Repertoire an 90er Jahre Actionfilmen vorweisen. Spätere Werke umfassen Ausflüge ins Horrorgenre (Exorzist: Der Anfang, Der Pakt – The Covenant) und ins Fernsehen (Burn Notice, Covert Affairs). Doch eine Rückkehr ins Kinowunderland bleibt ihm verwehrt, auch wenn sein neuer Film Devil’s Pass es vielleicht Wert gewesen wäre. Aber auch Harlin erliegt der Übersättigung und wird auf die DVD, Blu-ray und den VoD reduziert.
Es ist inzwischen schwer geworden, dem Stilmittel Found Footage noch etwas abzugewinnen. Paranormal Activity ruht sich auf seinem Markennamen aus, [Rec]³ hat den Schritt gewagt aus dem Footage-Franchise in die Normal-Spielfilmperspektive zu wechseln. Es gab Abkehrversuche vom Footage-Horror, die nie so ganz glücken wollten – Apollo 18 möchte Sci-Fi sein, bleibt dem Grusel dabei aber treu. Chronicle ist die Superheldenvariante mit einem durchdrehenden Teenager und damit auch gleich wieder ein in den Horror rutschendes Erlebnis. Harlin besinnt sich auf das Wesentliche, versucht gar nicht erst ein Genre neu zu erfinden, aber immerhin nimmt er die Fülle an Nachahmungstätern offenbar zum Anlass, seinen eigenen Anteil mit etwas mehr Spannung und erzählerischen Feingefühl zu inszenieren. Dass dabei dann mal wieder ein Zeitreise-Paradoxon zu Tage gefördert wird, muss man einfach ausblenden.
Es geht um fünf Studierende der Jetzt-Zeit, die einem tragischen Unfall am Djatlow-Pass im nördlichen Ural auf der Spur sind. Das Unglück gab es wirklich, die Hintergründe, die hier aufgedeckt werden, vermutlich eher nicht. Im Jahre 1959 wurden hier neun tote Bergsteiger gefunden, die Ursache ihres Todes bleibt unbekannt. In den Akten der Behörde soll vermerkt sein, dass die Opfer an den Folgen einer „höheren Gewalt“ starben. Dies kann nun in unserer Realwelt-Vorstellung als Schneelawine ausgelegt werden, Renny Harlin wählt einen etwas fantastischeren Weg. Die fünf Studis, die aus diesem Stoff eine Dokumentation machen wollen, werden auch verschwinden, das nimmt der Film vorweg. Ein traditioneller Prolog, der uns mit Spannung fesseln soll um immer wieder zu hinterfragen, wie die Protagonisten in eine letztendlich ausweglose Situation geraten konnten.
Hier darf man mit den Figuren heiter Spekulationen äußern. Um die Spuren möglichst arg zu verwischen, packt Drehbuchdebütant Vikram Weet alle stereotypen Mysterien aus: Aliens, der Yeti oder staatliche – vor allem aber verbotene – Experimente. Es folgen merkwürdig unmenschliche Fußspuren und gruselige Geräusche. Vor der fast einsamen Kulisse des Ural wirkt das bedrohlich, aber natürlich steht von vornherein fest, dass Harlin auf kein Alien oder Yeti Bezug nehmen möchte, es wäre doch ein wenig zu banal geworden. Es ist eine gelungene Mischung aus dem sich gegenseitig verrückt machen und klassischen Elementen wie flackerndes Licht und der eingeschränkte Blick durch ein Nachtsichtgerät. In einer großartigen Szene, die eigentlich gar nichts mit alledem zu tun hat, werden die Studierenden mitten in der Nacht von einer Schneelawine überrollt, eine pure Naturgewalt, die unkontrollierbar daherkommt und von einer scheinbar orientierungslosen Kamera kommentarlos gefilmt wird.
Kamera ist ein gutes Stichwort bei jedem Found Footage Film. Natürlich stellt man sich zweifelnd die Frage, wie lange man selbst in solcherlei Paniksituationen die Handkamera am Laufen halten würde. In Devil’s Pass schaltet nicht einmal das auftretende Militär das Aufnahmegerät aus. Es läuft und läuft und läuft. Während man dem Team von Studierenden noch zutraut dem eigenen Maßstab gerecht werden zu wollen, alles zu filmen was als Material für ihre Dokumentation in Frage kommt, reißt die Inkompetenz oder Gleichgültigkeit der Soldaten doch ein Loch in die Struktur.
Im Grunde besteht der Film in seiner ersten Stunde aus keinerlei neuem Material, Renny Harlin zieht das Horror Found Footage knallhart durch. An mancherlei Stelle erinnert das Ganze dann an Chernobyl, ebenfalls mit einem Dokuteam als „Film im Film“ angelegt, nur nicht in der Einsamkeit des Urals spielend, sondern eben in der Sperrzone der verlassenen Kleinstadt Pripyat in der Ukraine. Die letzte halbe Stunde dreht sich der Film dann in seine fantastische Richtung. So ausgewachsen phantasierend wie hier hat man es in einem Found Footage Film wohl noch nicht erlebt. Das ist gut, das soll gesagt sein. Der Film traut sich aus der Comfort Zone hinaus und präsentiert mal eine etwas andere Auflösung.
Man könnte jetzt sagen, dass es klar ist, warum der Film nicht in den Kinos lief. Der Verleih hat es Devil’s Pass nebst Paranormal Activity und anderen Genrevertretern vielleicht nicht zugetraut ein lukratives Publikum anzulocken. Dann aber muss man auch sehen, dass es da weitaus schlimmere Erzeugnisse gibt, die den Weg auf die große Leinwand finden und ganze Kinosäle verstopfen. Dagegen ist Devil’s Pass schon eine Wohltat. Für einen gruseligen Abend im abgedunkelten Zimmer taugt der Film eine ganze Menge.
“Devil’s Pass”
Originaltitel: The Dyatlov Pass Incident
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA / UK / Russland, 2013
Länge: ca. 100 Minuten
Regie: Renny Harlin
Darsteller: Gemma Atkinson, Luke Albright, Matt Stokoe, Holly Goss, Ryan Hawley, Nikolay Butenin
Heimvideostart: 28. Januar 2014
Im Netz: ascot-elite.de