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Deutschland ist vertafelt!
von Heidelinde Penndorf
Man muss sich das einmal vorstellen, über 900 Tafeln versorgen bundesweit 1,5 Millionen bedürftige Menschen mit Lebensmitteln. Das ist beschämend für Deutschland, beschämend für diese Bundesregierung! Ein Viertel der Betroffenen sind Kinder. Aber auch immer mehr Rentnerinnen und Rentner mit Grundsicherung und sogenannte Aufstocker sind auf die Lebensmittelausgabe der Tafeln angewiesen.
Das beweist: Armut ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft geworden ist. Immer weniger betroffenen Menschen können sich vom Lohn ihrer Arbeit sowie von den sozialen Transverleistungen ausreichend ernähren können.
Das Geld was eigentlich für Nahrungsmittel gedacht ist, geht drauf um die Teuerungsrate (Inflation) für Strom, Wasser, Gas usw. auszugleichen!
Die Tafeln sind eine Symbiose mit der Politik eingegangen seien, indem sie sich für einen Ausgleich der Folgen des Sozialabbaus instrumentalisieren ließen. Tafeln machen Armut sichtbar! Tafeln behandeln nur die Symptome von Armut und tragen ungewollt zur Normalisierung von Armut und einer Stärkung der Politik bei, die die Armutsbekämpfung verweigert.
Auf Grund ihrer oft langen oder auch dauerhaften finanziellen Notlage entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis der Betroffenen zur Tafel
Wo es Tafel gibt, gibt es Warteschlangen Betroffener. Man sieht es diesen Menschen an, dass es ihnen schwer fällt sich mit dem Gang zur Tafel öffentlich zu outen. Es entsteht eine „Nähe“ zum „Normalbürger“ die beschämt. Betroffene Menschen, die an der Tafel anstehen, halten oftmals den Blich gesenkt, nehmen keinen Blickkontakt mit anderen Passanten auf. Es könnten ja Nachbarn, Bekannte und Freunde darunter sein, die gar nicht wissen, dass sie auf diese Lebensmittelspenden angewiesen sind.
Durch Blicke von Passanten werden Betroffene beschämt, ducken sich weg, sind plötzlich außen vor. Es ist ein öffentliches Eingeständnis- ausgegrenzt und abgestempelt! Die öffentliche Empörung der Montagsdemos gegen den Sozialabbau von 2004 und 2005 ist kaum noch spürbar, viele Institutionen haben es bemerkenswert professionell geschafft diesen Protest, diesen Unmut in Mitleid für Betroffene zu kanalisieren. Damit ist jeder soziale Widerstand im Keim erstickt. Hartz IV Betroffene, RentnerInnen mit Grundsicherung, Niedriglöhner, Minijobber, und Leiharbeiter befinden sich oft in finanziellen Notlagen, die ihre Teilhabe am sozio-kulturell-politischen Leben stark einschränkt.
Betroffene leiden unter Perspektivlosigkeit, fühlen sich abgestellt, abgedrängt, ausgegrenzt und nicht gebraucht. Sie sind oftmals abgekoppelt von der gesellschaftlichen Entwicklung und fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Nach langem Hartz IV Bezug gibt es ihn kaum noch, den selbstbewussten Mensch. Er hat sich im Laufe der Zeit zu einem unterwürfigen Bittsteller entwickelt. Die Menschenwürde liegt zerschlagen am Boden – bloß nicht auffallen heißt die Devise. Du bist bildungsfern, unfähig, rauchst und trinkst nur – Du bist ein Sozialschmarotzer, deshalb musst Du fremd bestimmt werden. In unbezahlten Praktika, Ein-Euro – Jobs und anderen Maßnahmen wird dem Mensch klar- meine Arbeit ist nichts wert- ich bin nichts wert- Arbeit lohnt sich für mich nicht!
Eine Studie (TK 2012) zufolge nehmen die Krankmeldungen von Arbeitslosen deutlich zu. Vor allem psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Auf die Betroffenen wird psychischer Druck ausgeübt, das hinterlässt Spuren. Untätigkeit über einen langen Zeitraum führt zu einer inneren Leere. Betroffene haben oft das Gefühl versagt zu haben.
In meiner Sozialsprechstunde erlebe ich es oft, dass Betroffene psychisch traumatisiert sind. Während sie mir ihre spezielle Sachlage schildern, passiert es nicht selten, dass sie zu weinen beginnen – total verzweifelt sind und manchmal auch lebensmüde. Es gibt Betroffene die Angst haben, ihre an sie gerichteten Briefe des Jobcenters zu öffnen, lassen sie tagelang ungeöffnet liegen und versäumen dadurch Fristen.
Andere wiederum sind so zermürbt, dass sie ihre alltäglichen Angelegenheiten nicht mehr selbst geregelt bekommen und Hilfe brauchen.
Hartz-IV muss weg! Gar keine Frage. Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre sicherlich eine vorstellbare Lösung und auch machbar!
Spannen wir endlich einen Schutzschirm für Menschen! Wir brauchen einen flächendeckenden existensichernden Mindestlohn von mindestens 10,-Euro. Leiharbeit muss auf ein Mindestmaß begrenz werden. Es muss Schluss sein mit Arbeit im Niedriglohnbereich. Wir müssen über versicherungspflichtige Arbeitsplätze im Non Profit- Sektor genauso reden, wie über eine Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich und einer Grundsicherung von der man auskömmlich leben kann. Und wir brauchen eine Umverteilung von oben nach unten. Das sind nur einige Baustellen, die wir anfassen sollten, um den Sozialabbau zu stoppen.
quelle Heidelinde Penndorf
http://de.wikipedia.org/wiki/Heidelinde_Penndorf
http://penndorf-rezensionen.com/
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Informationen zum Thema
ARMGESPEIST – 20 Jahre Tafeln sind genug
http://aktionsbuendnis20.de/ueber-uns.html
blogbeiträge http://mantovan9.wordpress.com/?s=die+tafeln
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