Empört, enttäuscht, entsetzt. Selten habe deutsche Politiker, Prominente und Philosophen partei- und religionsübergreifend so einhelllig auf eine "Spiegel"-Gschichte reagiert wie im Fall der von Wikileaks veröffentlichten internen Korrespondenz des US-Außenministeriums. Der Grund liegt auf der Hand: Deutschland, Export-Vizeweltmeister und wichtigster Verbündeter der USA im Kampf gegen Terror und Klimawandel, sieht sich in der Veröffentlichung schwer unterrepräsentiert. Gerademal 2747 Dokumente von rund 250.000 beschäftigen sich mit deutschen Welt- und Spitzenpolitikern wie Dirk Niebel, Angela Merkel und Sigmar Gabriel, wobei letzterer gar nicht vorkommt. Unter dem Stichwort Deutschland listet Wikileaks gar nur ganze 30 Dokumente auf - kaum genug, dass Anne Will ihre Sonntagabendshow über die volle Länge bringen konnte. Damit ist Deutschland gerademal in einem Prozent aller Unterlagen erwähnt, obwohl Deutschlands Gewicht in der Welt, zumindest von Berlin aus gesehen, wenigstens eine Berücksichtigung in rund 10 bis 20 Prozent aller Dokumente gerechtfertigt hätte.
Noch schlimmer für die Berliner Republik, die in allen Schlachten der Gegenwart treu an der Seite der Verbündeten steht: Frankreich, der ewige Konkurrent auf der Weltbühne, wird mit 4400 Dokumenten bedacht, selbst Spanien und Italien waren den diplomatischen Geheimagenten der Amerikaner offenbar wichtiger als die Deutschen. Geradezu zum Imagedebakel für die deutsche Weltpolitik aber wird die Wikileaks-Veröffentlichung durch die Tatsache, dass allein die spanische Insel Mallorca in 3698 Dokumenten eingehend analysiert wird und auch die weltpolitischen Leichtgewichte Korsika und Nicobar Islands den Amerikaner offenbar bedeutsamer sind als die Vorgänge beim treuesten Gefolgsvolk: Über die Nicobars fertigten die Diplomaten mehr als 5000 Schriftstücke an, über die französische Insel Korsika mehr als 4000. Frankreich kommt damit dreimal häufiger vor als Deutschland.
Ein feindlicher Akt, der kaum von dem Umstand geheilt werden kann, dass auch die USA sich selbst nur sehr ungenügend bespitzelten. Mit knapp über 2300 Dokumenten kommt die Führungsmacht des Westen noch ein wenig schlechter weg als Deutschland - der Affront aber wird dadurch nicht kleiner. Da Wikileaks auf eine Suchfunktion verzichtet, heißt es im poltischen magdeburg, konnte die Ministerialbürokratie bisher nicht einmal herausfinden, ob wenigstens über einige führende deutsche Landespolitiker des westlichsten der östlichen Bundesländer kompromittierende Dokumente Berücksichtigung fanden. Stelle sich ehraus, dass etwa Ministerpräsident Wolfgang Böhmer nicht korrekt als die Strickjacke unter den Landesvätern charakterisiert worden sei, werde Sachsen-Anhalt die Beziehungen zur USA vorerst auf Eis legen. Zusätzliche Kosten entständen den Bürgern dadurch nicht, da durch den plötzlichen Wintereinbruch pünktlich zum Auftakt der Weltklimakatstrophensitzung in Mexico Kühlkapazitäten freigeworden seien.