Deutsche Geschichte(n)
Der alte Mann erzählt mit sonorer Stimme, wie ein Haken in seinem Kopf steckt und er drei Wochen damit auf Holzbrettern zubringen muss, bei künstlicher Ernährung. Der Zuhörer hängt an seinen Lippen, Vergangenes wird lebendig, das Kopfkino läuft. Der alte Mann heißt Bert Trautmann und war einmal einer der besten Torhüter der Welt. 1956 wurde er bei Manchester City zur Legende, weil er mit gebrochenem Genick spielte. Danach kam der Haken.
Seine Erzählung ist im «Gedächtnis der Nation» gespeichert, einem multimedialen Projekt, das Geschichte für die Nachwelt lebendig macht. Der zeithistorische Leiter des ZDF, Guido Knopp, und Stern-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges sind die Initiatoren dieses Zeitzeugenarchivs. Fünf Jahre brauchte es, um die Finanzierung auf die Beine zu stellen. In Kooperation von ZDF und Stern ist dies gelungen. Weitere namhafte Unternehmen unterstützen das Projekt. Geschäftsführer Jörg von Bilavsky bestätigt die finanzielle Absicherung «für die ersten Jahre». Um das Archiv zu erweitern, «sind wir für jede Spende und zusätzliche Förderer dankbar». Das «Gedächtnis der Nation» ist ein gemeinnütziger Verein.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann betonte auf der Eröffnungspressekonferenz die Wichtigkeit der multimedialen Plattform: «Eine Nation, die ihr Gedächtnis verliert, ist verloren.» Den Stellenwert unterstreicht die Schirmherrschaft von Bundespräsident Christian Wulff.
Jeder kann teilnehmen
Seit dem 6. Oktober 2011 können Interessierte knapp 1800 Zeitzeugenvideos auf der Webseite einsehen. Das Archiv ist strukturiert nach Ereignissen, Themen oder Jahrhundertzeugen. Persönlichkeiten der Geschichte wie Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) oder Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) kommen zu Wort, aber auch «Otto Normalverbraucher». Jörg von Bilavsky hebt die «vielen verschiedenen Perspektiven der Geschichten» hervor und erkärt: «Es gibt keine Trennung zwischen Alltagsgeschichten und den historisch relevanten.»
Jeder Bürger, der Interessantes erzählen will, kann dies zum «Gedächtnis der Nation» beisteuern. Entweder auf einem speziellen Kanal von YouTube oder durch die Aufzeichnung in einem mobilen Studio. Das ist im Jahrhundertbus untergebracht, der kreuz und quer die Republik durchfährt – immer auf der Suche nach interessanten Zeitzeugen-Geschichten. Der Geschäftsführer betont die Wichtigkeit des Videoformats. Anders als in schriftlichen Dokumenten wird «Geschichte so zur lebendigen Erinnerung».
Immer bei der Wahrheit bleiben
Von Bilavsky versichert, die Geschichten «auf ihre Fakten hin sorgfältig zu prüfen». Den Redakteuren steht außerdem ein Wissenschaftlicher Beirat zur Seite. Hochrangige Wissenschaftler wie Joachim Gauck sind dort vertreten.
Gerade die junge Generation soll von dem Angebot profitieren. Ein spezielles Angebot auf der Webseite erleichtert Lehrern den Zugang zum Zeitzeugenarchiv. Von Bilavsky bestätigt die «positive Resonanz von Lehrern» auf das Projekt, denn «der jungen Generation erschließt sich so die Geschichte unmittelbarer».
In den USA existiert bereits seit 1994 ein ähnliches Projekt. Die Shoah-Foundation (Survivors of the Shoah Visual History Foundation) von Filmregisseur Steven Spielberg hat es sich zur Aufgabe gemacht, Videos von Zeitzeugen des Holocaust aufzuzeichnen. 50.000 sind es bereits. Kooperationen zwischen der Spielberg-Stiftung und dem «Gedächtnis der Nation» bestehen noch nicht, sind aber angedacht, sagt von Bilavsky. Auch mit dem Deutschen Historischen Museum und verwandten Zeitzeugenprojekten werde man in Zukunft kooperieren.
In diesen Städten macht der Jahrhundertbus Halt.
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«Gedächtnis der Nation» – Deutsche Geschichte(n)
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