Designkritik diskutiert im betahaus | betasalon #5: MÜLL

betasalon_muell-3Das Problem mit dem Müll ist in Wirklichkeit ein Problem mit dem Konsum. Denn laut aktueller Studien haben arme Menschen in der Regel eine positivere Ökobilanz als die, die sich als besonders umweltbewusst empfinden, im Bioladen kaufen und sich für ökologisches Design interessieren. (Sinusstudie Umweltbewusstsein 2010). Im Durchschnitt erzeugt 450 kg Müll jeder Deutsche im Jahr, der europäische Wert liegt bei 513 kg, wobei nicht alle Länder so eine hohe Recyclingrate wie die BRD aufweisen können (48%). (Quelle: Umweltbundesamt) Was können wir tun, um dem Dilemma von Ökonomie und Ökologie in Zukunft zu begegnen? Designkritik.dk diskutierte im betahaus | Berlin mit dem Kulturlabor Trial & Error, mit Designerin Susanne Hausstein und Sabine Thümler von der Berliner Stadtreinigung.

Wer sind die Beteiligten am System Müll? Wer verdient gar an den Rohstoffen, die ja immer wertvoller werden sollen? Wer plant, wie wir Müll trennen sollen? Und trägt gemeinsames Basteln mit Abfall zur Lösung des Problems bei?

Konsum hinterfragen
Nicht die Entsorger müssen etwas tun, sondern wir müssen unser Konsumverhalten ändern” sagt Judith Meijers vom Kulturlabor Trial & Error, die sich über Upcycling-Projekte kritisch mit Aspekten des Konsums und des Besitzes auseinandersetzen. Denn die Workshops des international besetzten Kollektivs in denen Dinge wie Schmuck aus Teebeuteln und Taschen aus T-Shirts entstehen, transportieren doch viel mehr Wissen über Konsum, Material, Besitz als es die Bastel-Agenda ahnen lässt. Denn wer lernt, wie man repariert, wie man schöne Dinge selbst herstellen kann, setzt sich mit den Mechanismen der Begehrlichkeit auseinander, die der Konsumkultur zugrunde liegen. Konsum ist Identität – wie man sich kreativ über das Konsumdiktat hinwegsetzt, zeigen Trial & Error. Doch nicht nur Material wird beispielsweise in Kleidertausch-Parties getauscht. “Die Ideen kommen aus der Gemeinschaft. Deshalb ist es so wichtig, Wissen zu teilen!” Wissen, das Trial & Error einerseits auf der Plattform www.upcycle.it und in dem heiß begehrten Buch dazu zurück in die Community speist: Anleitungen dazu, wie man einen Workshop organisiert oder auch Bauanleitungen. Das Bewusstsein über den Müll wird gespeist von der Sichtbarmachung von Material im Alltag – und nicht durch schicke Öko-Verpackungen.

Müll-Diat
Ganz ohne Verpackungen zu leben, hatte Susanne Hausstein schon ausprobiert. Müllfasten unter der Auflage, kein Plastik, nur wenig Papier und Kompost zu erzeugen war das Motto einer einwöchigen Kur, die zeigte, dass es unser Lebensstil ist, der bestimmte Müllformate bedingt: Der schnelle Kaffee auf dem Weg zur Arbeit, Einkaufen von Fertiggerichten und überhaupt das Leben unter Zeitdruck. Mit ihrem Diplom-Blog [ent]sorgen erforschte sie die Entstehung von Abfall im Alltag und berichtete über persönliche Erfahrungen. Nicht Entwürfe, sondern Impulse nennt sie die Ergebnisse ihrer Untersuchung: Ein Service Konzept für Milchlieferungen in der Stadt und als künstlerische Aussage zum Abfall als Wertstoff-Depot einen schmucken Müll-Barren, der Rohstoffe einschließt, bis wir sie in Zukunft mal wieder benötigen. Ob Sie jetzt nach ihrem Diplom als Produkt-Designerin tätig werden wolle beantwortet Susanne Hausstein so: “Müll als Forschungswerkzeug für Design ist viel zu interessant, um jetzt in einer Agentur Produkte zu entwerfen.” Bald möchte sie im Rahmen einer Dissertation zum Thema Abfall und Design weiterforschen.

Gefühlte Verwertungsrate 100%
Die Emotionen, die im Thema Müll stecken, kennt Sabine Thümler, Pressesprecherin der Berliner Stadtreinigung (BSR) genau – aber auch gerade wegen seiner Komplexität liebt sie das Thema Abfallwirtschaft schon seit 27 Jahren. Die BSR ist ein großes kommunales Unternehmen mit ca. 5300 Mitarbeitern in Berlin (nach der Wende waren es über 11000). In Kooperation mit anderen Sammelsystemen beispielsweise dem grünen Punkt sorgt die BSR für die Abfuhr der Hausabfälle und des Mülls im öffentlichen Raum. 15 Recyclinghöfe in Berlin und drei Müllverwertungsanlagen sorgen für die Verwertungsrate von 100% – das heißt, dass nichts, aber auch nichts auf die Deponie wandert. Die Recyclingrate in Deutschland liegt bei 48% für den Hausmüll, auch ein herausragend guter Wert in Europa.

Momentan engagiert sich die BSR mit Kampagnen und Prämien fürs Mülltrennen; Unternehmensintern wurde ein Ideenlabor eingerichtet, in dem Wissen ausgetauscht werden soll. Trotzdem entzünden sich am Umgang mit dem plötzlich zum Wertstoff gewordenen Müll die Gemüter. Denn warum darf z.B. von den Recyclinghöfen kein Material zum privaten Upcycling geholt werden? Warum gibt es keine allgemeinen Straßen-Sperrmülltermine, die den Tausch von Gegenständen zwischen den Menschen vereinfachen würden?

Zum einen, gibt Sabine Thümler zu bedenken, muss man die Spekulation mit Wertstoffen verhindern – so geschehen vor einigen Jahren mit Altpapier: Der Marktpreis für Altpapier schoß in die Höhe und zog eine Welle von privaten Sammelfirmen nach sich. In der Finanzkrise 2009 gingen in Berlin einige davon pleite und die BSR war für die Entsorgung und Verwertung der Rest- und Lagerbestände dieser Firmen zuständig – kostenlos. Auch mit anderen Wertstoffen, beispielsweise momentan Kupfer, wäre eine solche nicht besonders umweltfreundliche Schattenwirtschaft denkbar, wenn man den Recyclinghof nicht als Einbahnstraße begreifen würde. Es geht also auch um die Kontrolle nachvollziehbarer Stoffströme.

Der offene Straßensperrmüll, der vom Publikum als Wunsch für einen freien Tausch von Wertstoffen vorgebracht wurde, hat folglich auch den Nachteil, dass er zu unkontrollierten Stoffströmen führen kann – auch in die Gegenden, in denen Elektroschrott Umwelt und Menschen vergiftet. Dass mit der hochtechnologischen Aufbereitung von Rohstoffen mutmaßlich so viel Geld zu verdienen ist, bestreitet die Vertreterin des Berliner Entsorgungsunternehmens, dass als kommunaler Dienstleister auch darum bemüht sei, Einkünfte zur Sicherung der Arbeitslöhne und der Preise einzusetzen.

Die drängenden Fragen des Publikums nach aktiverer Zusammenarbeit der Entsorger mit den Bürgern und nach mehr Transparenz sollte der BSR dennoch ein Hinweis sein, wohin das Unternehmen in Zukunft sein Augenmerk richten sollte: statt weiterer Imagekampagnen wünschen sich die Bürger mehr echte Vernetzung und die nötigen Schnittstellen dazu bei der BSR.

Das Wissen um Müll und Konsum in Berlin zu teilen, ist das Angebot von Initiativen wie Trial & Error. Sie fordern: keine endlosen Bewerbungsrituale um Beteiligung, sondern Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Dass ein Unternehmen wie die BSR wiederum nicht alle Initiativen einzeln betreuen kann, sie aber dennoch begrüßt und ermuntert weiterzumachen zeigt, dass man sich trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte doch gegenseitig irgendwie braucht. Dass alle im Müll-Diskurs dasselbe wollen, ist jedoch schlichtweg ein Trugschluss – und muss auch nicht zwingend sein. Die Konzepte für mehr Nachhaltigkeit im Zusammenwirken der unterschiedlichen Interessen von Konsumenten, Entsorgungsunternehmen und Initiativen liegen buchstäblich auf der Straße.  Und da muss der Diskurs hin.

Danke an alle Beteiligten!

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