Desaster und Frustation

Von Nadine

Es ist 02.07 Uhr, Samstag Nacht. Ich bin unfassbar müde und dennoch hellwach. Durch meinen Kopf wirbelt gerade ein Orkan. Ich bin genervt, frustriert – und hungrig.

Im Moment läuft es einfach nicht rund. Mein Sohn hat in den letzten Tagen wieder ordentlich gewütet. Und er hört in keiner Weise mehr auf mich. Sicher eine Folge dessen, dass er wieder mal viel zu kurz kommt.

Seine Schwester schreit seit einer Woche extrem viel. Und ist sie endlich ruhig, würde ich am liebsten auch einfach mal ein paar Minuten Pause machen. Aber da ist ja noch mein kleiner Junge, der mit mir spielen will. Den ich immer wieder vertrösten muss.

Freitag zum Beispiel. Ich gehe nur kurz zur Toilette. Unumgänglich. Aber er wollte mit mir spielen. Wütend donnert er immer wieder die Wohnzimmertür gegen die Kommode. Ich rufe ihm zu, er soll es bitte lassen, ich bin ja in zwei Minuten wieder bei ihm. Er hört nicht auf. Ich rufe erneut. Er hört nicht auf. Ich schimpfe, inzwischen wütend. Er hört nicht auf. Als ich von der Toilette komme – ist ein Loch in der Tür. Ich werde laut. Er zertrümmert sein Duplo-Krankenhaus und schlägt mir mit den Teilen auf den Kopf. Wir beide schaukeln und gegenseitig völlig hoch. Ich bin verzweifelt. Und ratlos. Weil ich nicht weiter weiß, schicke ich ihn in sein Zimmer.

Ich bin frustriert. Ich komme viel zu oft an den Punkt, wo ich einfach nicht mehr weiter weiß. Sicher liegt der Fehler bei mir. Ich fahre viel zu oft aus der Haut. Weil ich mit reden nichts bei ihm erreiche. Doch wenn ich wütend bin, erreiche ich noch weniger. Das weiß ich selbst, aber in dem Moment muss es raus.

Böse Zungen würden jetzt behaupten, ich bin einfach nicht konsequent genug mit ihm. Aber darüber sollte sich keiner ein Urteil bilden. Denn keiner weiß tatsächlich wie ich bin und wie er darauf reagiert.

Ich weiß, dass seine Wut und Frustration eine Folge dessen sind, dass wir ihm einfach viel zu wenig Zeit widmen. Widmen können. Und genau da liegt das Problem. Ich kann an dieser Situation nicht viel ändern. Sicher – ich könnte seine Schwester einfach schreien lassen, was eh öfter vorkommt, als mir lieb ist. Ich könnte auf meine eigenen kleinen Verschnaufpausen verzichten. Ich könnte und sollte weniger auf mein Handy starren.

Aber was bleibt dann für mich? Woher hole ich Kraft, wenn ich nie mal durchatmen kann?

Es ist ein Teufelskreis, aus dem es momentan keinen Ausweg gibt.

Am Freitag stand ein Besuch bei Freunden meines Sohnes an. Eigentlich wollte ich nur ihn mitnehmen, die Kleine zuhause bei Papa lassen. Der hatte aber keine Zeit. Er muss zu viel arbeiten, hechtet von einer Geschäftsreise zur nächsten und im Büro häuft sich währenddessen die Arbeit virtuell bis unter die Decke. So nahm ich die Kleine schließlich doch mit und die Hälfte der halbstündigen Fahrt hat sie nur gebrüllt, während mein Sohn alle 10 Sekunden “Mama” sagte und mich mit irgendwelchen Fragen löcherte. Völlig gestresst kam ich dort an. Während die Großen zusammen spielten und mein Sohn einen seiner Freunde mit dem Gartenschlauch nassspritzte, musste die Kleine irgendwie betüddelt werden. Es klappte zwar besser als erwartet, aber dennoch war ich nicht wirklich entspannt. Nur unter großem Protest traten wir gegen 18.00 den Heimweg an. Die Kleine schrie zunächst, schlief dann nach etwa 5 Minuten jedoch ein. Mein Sohn sagte alle 10 Sekunden: “Aber ich will nicht nach Hause!” Er war aber ebenfalls hundemüde. Er wurde immer leiser und quengliger, aber er wiederholte diesen Satz bis kurz vor der Haustür.

Abendessen unter Protest, zu Bett gehen unter Protest. Das Mädchen hellwach, hatte ja im Auto noch schön geschlafen. Als sie endlich schlief und wir uns gerade etwas zu Essen machen wollten, stand mein Sohn wieder auf und wollte nach unten kommen.

Der Abend war nervenaufreibend. Dachte ich. Aber da wusste ich auch noch nicht, dass der nächste Abend noch schlimmer werden würde. Und die Nacht ebenso.

(Es ist jetzt übrigens 02.48 – ich sollte jetzt wirklich versuchen zu schlafen.)

Der Samstag fing ganz normal an. Wir saßen harmonisch am Frühstückstisch und gleich danach machte ich mich auf den Weg zum Friseur. Wirklich entspannend war der Termin aber nicht, hatte ich doch noch im Kopf, was ich danach in nur kurzer Zeit alles zu erledigen hatte. Zuerst stand der Wocheneinkauf auf dem Programm. Aber weil es schon so spät war, fuhr ich nur zwei der drei geplanten Geschäfte an. Wieder zuhause wurden die Einkäufe schnell eingeräumt. Dann schnell eine Kleinigkeit gegessen.

Meine Eltern hatten heute ihren 45. Hochzeitstag. Wir würden später essen gehen. Ich musste noch das Geschenk einpacken, mit meinem Sohn noch ein Bild für Oma und Opa malen und vom Abendbrei und Babyspielzeug bis hin zu Bespaßungsmöglichkeiten für meinen Sohn alles in die Tasche packen, damit der Abend nur ja nicht in einem Desaster endet. Doch das hat letztendlich nicht viel gebracht.

Während der Fahrt weinte das Tochterkind unaufhörlich, weshalb ich mir alle zwei Minuten fast den Arm auskugeln musste, um nach hinten zu greifen und ihr den Schnuller zu geben. Im Restaurant angekommen, ging es zunächst ganz gut. Der Kellner kam und wollte nach den Getränken fragen, da sagte mein Sohn als erstes “Ich hätte gerne Pommes!” Wir waren beim Chinesen. Aber zum Glück gab es dort auch Pommes. Während die Männer sich ihr Essen vom Buffet holten, ging das Geschrei schon wieder los. Bis ich dazu kam, mir auch etwas zu holen, dauerte es eine ganze Weile. Mit wenig Ruhe verschlang ich dann meinen nur semi vollen Teller, während mein Sohn ständig wegrannte, den Kellnern unter die Füße lief, die zum Glück echt auf Zack waren, und ich ständig um die riesigen Porzellan-Vasen fürchtete, die überall rumstanden.

Als mein Teller leer war, nahm ich meinem Mann die Kleine wieder ab, damit er die zweite Runde einläuten konnte. Zwischendurch übernahm Oma die Kleine, aber ich hatte wegen dem Großen nicht genug Ruhe, meinen Teller noch mal zu füllen und holte daher für ihn Eis und für mich nur noch Obst vom Dessert-Buffet. Papa fütterte dann die Kleine, die danach von oben bis unten mit Brei verschmiert war. Mein Sohn rannte immer wieder weg und ich stand total unter Strom. Außerdem war es brüllend heiß in dem Laden. Gegen 19.00 verabschiedeten wir uns genervt. Ich hatte gehofft, es würde besser klappen. Aber gut. Kaum im Auto schläft das kleine Mädchen ein. Oh nein, bitte nicht! Der Wildfang quengelte wie üblich alle paar Sekunden: “Aber ich will nicht nach Hause!”

Dort angekommen, artete das in einen richtigen Heulanfall aus. Er blieb stur unten im Flur auf dem Boden liegen, während ich seine Schwester bettfertig machte. Danach legte ich sie ab und ging wieder zu ihm und versuchte ihn zu beruhigen. Papa musste derweil noch seinen Koffer packen. In Null Komma nix war es auch schon fast 20.00 Uhr und ich brachte das noch allzu wache Baby ins Bett, während Papa mit dem inzwischen wieder gut gelaunten Wildfang rumblödelte.

Wie ich befürchtet hatte – an Schlaf war bei der Kleinen nicht zu denken. Stattdessen war Terror angesagt. Als ich dachte, sie sei endlich eingeschlafen, so gegen 20.30, schlich ich mich aus dem Schlafzimmer und ging runter zu meinem Mann. Just in diesem Moment fing sie wieder an zu schreien. Ich ging wieder hoch. Und dort blieb ich dann auch. Sie schlief einfach nicht ein. Mein Abend war gelaufen. Ich lag neben ihr und habe die ganze Zeit geheult. Ich wollte den Abend mit meinem Mann verbringen, den ich die nächsten fünf Tage nicht mehr zu Gesicht bekomme, weil er zur Messe muss. Aber unsere Tochter hat uns einen gewaltigen Strich durch die Rechnung genacht. Gegen 21.30 überlegte ich schon, ihr noch mal eine Flasche zu geben, aber wenige Minuten später hat sie endlich die Kurve gekriegt. Und ich auch.

Keine zwei Stunden später weinte sie wieder. Etwa im 30-Minuten-Takt verlor sie ihren Schnuller und hielt mich damit bei (schlechter) Laune. Mein Mann war  offensichtlich unten auf dem Sofa eingeschlafen und da habe ich ihn auch gelassen. Er musste ausgeruht sein für die Fahrt. Und so starrte ich eine gefühlte Ewigkeit in die Dunkelheit und fand keinen Schlaf mehr. Da fing ich halt an zu schreiben. Aber auch das machte mich nicht wirklich müde.

Doch schließlich schlief ich irgendwann nach 03.00 wieder ein, um drei Stunden später wieder geweckt zu werden, das Tochterkind zu füttern und erneut keinen Schlaf zu finden.

Irgendwann aber schlief ich wieder. Gegen 08.00 weckte mein Mann mich heute Morgen, um sich zu verabschieden. Die Kleine war damit auch wieder wach und kurze Zeit später sprang mein Sohn auch schon auf mir herum.

Kaum gefrühstückt ging der Terror weiter. Die Kleine schreit und schreit, Ohne erkennbaren Grund. Wenn sie wenigstens einen Schub hätte, dann würde ich es ja verstehen. Auch wenn das die Sache nicht leichter machen würde.

Im Moment ist einfach irgendwie der Wurm drin. Ich bin permanent gestresst und genervt und kann gar nichts mehr richtig genießen. Mein Mann ist jetzt fünf Tage weg – und allein der Gedanke daran, keine Pause zu haben in der Zeit, stresst mich schon. Und in zwei Wochen ist er wieder die ganze Woche unterwegs. Ich weiß, es ist auch für ihn stressig. Trotzdem nervt es mich. Ich habe gerade mal wieder das Gefühl irgendwie auf der Strecke zu bleiben. Der Alltag ist zu einem Kraftakt geworden. Wieder mal.

Manchmal wünsche ich mir Schokolade. Viel Schokolade. Und ein, zwei Tage nur für mich. Ich Egoist. Als Mutter kann man nicht einfach mal hinschmeißen, wenn man eine Pause braucht. Letztendlich habe ich mir dieses Leben ja auch genau so ausgesucht. Und außerdem – ich würde die ganze Bagage hier sowieso fürchterlich vermissen.

Aber es wäre trotzdem schön, wenn die Zeiten mal wieder ein bisschen weniger anstregend sind.