Desaster in Zypern

Junge Welt, 19.03.2013
»Retter« aus Brüssel und Berlin in Erklärungsnot: Enteignungspläne für Kleinsparer sorgen für Wut und Enttäuschung bei den Betroffenen. Euro-Banken versuchen zu beschwichtigen

Haben sich die selbsternannten Euro-Retter in Brüssel und Berlin diesmal verkalkuliert? Die den Zyprern im Rahmen eines »Hilfspaketes« aufgenötigte Teilenteignung von Bankguthaben, ist ein Tabubruch der bisherigen Krisenpolitik und löste am Montag Turbulenzen an den Finanzmärkten aus. Der Euro gab binnen weniger Stunden um 1,9 Prozent gegenüber dem US-Dollar nach. Die Zinslast Spaniens und Italiens stieg rasch an, der Aktienleitindex Euro Stoxx gab um 1,6 Prozent nach. Und während Zyperns Kleinsparer übers Wochenende verzweifelt versuchten, an ihr Geld zu gelangen, bemühen sich die Regierungen der anderen südeuropäischen Krisenstaaten, ähnliche Stürme auf ihre Banken durch Beschwichtigungen zu verhindern. Der griechische Finanzminister bezeichnete das wirtschaftlich eng mit seinem Land verflochtene Zypern als einen »Sonderfall«, Spaniens Wirtschaftsministerium versicherte, die Lage dort könne nicht auf Spanien »umgerechnet« werden.
Auch will keiner Schuld sein: Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble beeilte sich Sonntag abend, alle Verantwortung Berlins für diesen neuerlichen Krisenschub (per Fehlbeschluß), zurückzuweisen. Die Regierung in Nikosia, die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) hätten darauf bestanden, auch Kleinsparer mit Guthaben unter 100000 Euro an der Enteignung zu beteiligen, so Schäuble. Hingegen hätten Bundesregierung und der IWF die »Einlagensicherung respektieren« wollen, behauptete der Minister in den Tagesthemen.

In den vergangenen Wochen und Monaten trat Deutschlands Regierung in der Zypern-Frage vor allem als Bremser auf. Ziel war es, einen neuerlichen Bailout (gemeint ist das per EU-Gesetzen verbotene »heraushauen« pleitebedrohter Staaten durch Kredite) nach Möglichkeit in die Zeit nach der Bundestagswahl zu verlegen.

Inzwischen tauchen im Ausland jedoch Berichte auf, die gerade die Bundesregierung als den zentralen Urheber dieser Enteignungsaktion benennen: »Sie versuchen, uns zu zerstören«, mit diesen Worten reagierte laut der Financial Times (FT), Zyperns Präsident Nikos Anastasiades auf die ultimative Forderung Schäubles, rund sieben Milliarden Euro durch Teilenteignungen von Sparern zum »Hilfspaket« beizusteuern. Dieses am Rande des letzten EU-Gipfels gestellte Ultimatum befand sich im direkten Widerspruch zu den kurz zuvor gemachten Zusicherungen der Bundeskanzlerin gegenüber der zyprischen Verhandlungsdelegation, bei denen nur ein geringer »Haircut« von 3,5 Prozent für Guthaben unter 100000 vereinbart worden sein sollte (sieben Prozent bei größeren Guthaben).

Anastasiades habe keine Zeit gehabt, sich von diesem Schock zu erholen, da tauchte Jörg Asmussen, deutscher Chef­unterhändler der EZB, bei ihm auf, um mitzuteilen, daß die Europäische Zentralbank die Versorgung der zweitgrößten Bank des Landes mit Liquidität einstellen werde, sollte Nikosia nicht den deutschen Forderungen zustimmen. Diese Position wurde demnach vom IWF, Finnland, der Slowakei und eingeschränkt auch von den Niederlanden unterstützt, währen die Europäische Kommission sie ablehnte. Das Schicksal der zyprischen Kontoinhaber sei »in Berlin besiegelt« worden, so die FT.

Die Bundesregierung habe den Inselstaat letztendlich vor die Wahl gestellt, entweder die »Bankguthaben zu besteuern« oder die »Euro-Zone zu verlassen«, meldete das Wirtschaftsportal Business Insider (BI) unter Berufung auf Quellen aus dem Finanzministerium in Nikosia. Dieses Vorgehen verdeutliche, daß Berlin trotz wachsendem Widerstand in Südeuropa weiterhin »seine Regeln« in der Euro-Zone durchsetzen könne, so BI. Mit der »Steuer« auf Bankguthaben wollte Angela Merkel dem restlichen Europa eine »Lektion« erteilen, daß es künftig keine »Freifahrt« bei Bailouts geben werde. Laut New York Times sei die Kanzlerin zudem darüber »besorgt« gewesen, daß ein großer Teil der Rettungsgelder für Zypern in den Händen »russischer Gangster und Oligarchen« landen würde. Dies sei durch Berichte »deutscher Geheimdienste« genährt worden, obwohl die Regierung in Nikosia dem heftig widersprochen habe. Rußlands Präsident Wladimir Putin hat das Vorgehen der EU in der Zypern-Krise umgehend als »ungerecht, unprofessionell und gefährlich« bezeichnet.

Wegen der erzeugten Schockwellen, deuten sich indes Nachverhandlungen (siehe Keller) über die geplante Teilenteignung an. Während die Abstimmung im Parlament auf Dienstag verschoben wurde, ist eine Reduzierung der »Steuersätze« für Kleinsparer und eventuell eine Einführung von Freibeträgen im Gespräch. Doch seien insbesondere die langfristigen Folgen des Tabubruchs in Zypern kaum revidierbar, bemerkte der Kolumnist Wolfgang Münchau in der Financial Times: »Wenn man das politische Klima für Aufstände in Südeuropa anheizen will, dann ist das genau der richtige Weg.«

Die Zyprer, aber auch die Bürger der anderen südeuropäischen Krisenstaaten, würden nun »rational handeln«, wenn sie ihre Ersparnisse abheben, so Münchau weiter. Zypern verdeutliche, daß die Liquidität einer Einlagensicherung »nur so gut ist wie die des jeweiligen Staates«.

Und wie steht es nun mit der (in BRD-Medien zumeist abgestrittenen) Systemrelevanz? »Wenn Zypern so unbedeutend ist, wie kann von der kleinen Insel dann ein Systemrisiko für die gesamte Euro-Zone ausgehen?« fragte die Frankfurter Allgemeine Zeitung noch am 17. März. Die Antwort darauf dürfte im Verlauf dieser Woche deutlicher werden.


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