Des Widerspenstigen Zähmung

Von Alexander Steinfeldt

Kroatien, die Türkei und Island sind es schon. Serbien kann es möglicherweise bald werden – offizieller Beitrittskandidat der EU. Schon in diesem Jahr wird die Europäische Kommission über den Kandidatenstatus Serbiens entscheiden. Was hat die EU mit diesem Land aus der Krisenregion Balkan vor?

Als Oberbefehlshaber der Armee der Serbischen Republik muss Ratko Mladić etliche Kriegsverbrechen während des Bosnienkrieges von 1992-1995 verantworten. Besonders wegen des von ihm organisierten “Massakers von Srebrenica”, bei dem 8.000 Menschen ermordet wurden, wird er seit 1995 vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht – vergeblich. Seine Flucht gefährdet nun auch noch die Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU. Denn als Voraussetzung fordert die EU seine Auslieferung, doch die verhinderten meist in letzter Sekunde Informanten in der serbischen Ermittlungsbehörde.

Im Dezember 2009 stellte Serbien den Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union. Nach zahlreichen Verhandlungen und Veränderung im eigenen Land sehnt sich Serbien nach den politischen und vor allem wirtschaftlichen Vorteilen einer EU-Mitgliedschaft. Doch für den Beitritt gelten strenge Regeln, die so genannten Kopenhagener Kriterien. Neben der Wahrung der Menschenrechte und einer rechtsstaatlichen Ordnung innerhalb des Staates, die mit den Gesetzen der EU vereinbar sind, müssen auch demokratische Institutionen fest im Staat verankert sein.

Dass der Kriegsverbrecher Mladić immer noch nicht ausgeliefert wurde, ist ein Indiz dafür, dass es auf diesen Gebieten Nachholbedarf gibt. Außerdem gilt die fehlende Anerkennung des Kosovos, welches als serbische Region 2008 seine Unabhängigkeit erklärte, als Hindernis für kommende Verhandlungen mit der EU. Korruption und illegaler Handel mit Rauschgift und gestohlenen Autos sind weitere Probleme, denen sich Serbien stellen muss, um die Normen der EU zu erfüllen. Die allgemeine schwache Wirtschaftskraft, zusätzlich geschwächt durch die Weltwirtschaftskrise, steht außerdem zwischen der EU und Serbien.

Und was wird passieren, wenn Serbien tatsächlich Mitglied der EU wird? Das wirtschaftlich schwache Serbien wird Schwierigkeiten haben, mit den mächtigen und starken Staaten der EU überhaupt mithalten zu können. Aber auch innerhalb der EU gibt es Vorbehalte. Eine Erweiterung schwächt ihre Handlungsfähigkeit. Jeder weitere Mitgliedsstaat verlängert die jetzt schon zähen Verhandlungen und kostet außerdem etliche Fördergelder, die dann an anderer Stelle fehlen. Auch in der Balkanregion kann eine EU-Mitgliedschaft Serbiens zu einem Ungleichgewicht unter den Ländern und dadurch zu Spannungen und instabilen Verhältnissen führen.

Doch seit einiger Zeit ist Serbien bereits potenzieller Beitrittskandidat der EU. Ende letzten Jahres gaben die EU-Außenminister das Beitrittsgesuch Serbiens an die Europäische Kommission weiter, die im Herbst über den weiteren Status entscheiden wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Serbien dann Beitrittskandidat wird. Die EU verfolgt also, aller negativen Zustände zum Trotz, gegenüber Serbien einen Kurs, der Richtung Mitgliedschaft weist. Denn seitens der EU ist das Beitrittsverfahren ohne Alternative, um serbische Bemühungen zu einem demokratischen Staat und den Frieden in der Region zu unterstützen.

Im Jahre 2003 hat die Europäische Union den Ländern im Balkan, also auch Serbien, eine “Europäische Perspektive” versprochen. Dieses Versprechen ist der Motor dieser Staaten, wirtschaftliche und politische Reformen zu verwirklichen. Fällt diese Motivation nun weg, ist die Stabilität und der Frieden in der gesamten Region gefährdet. Die Aufnahme Serbiens kann außerdem als Vorbild für andere Balkanstaaten dienen und die Entwicklung der gesamten Region beschleunigen. Die EU ist schon seit längerer Zeit der wichtigste Handelspartner Serbiens. Um Serbien weiterhin an sich zu binden, darf sie den Beitrittsprozess jetzt nicht stoppen.

Als Beitrittskandidat kann die EU dann auch mehr Druck auf Serbien ausüben, um weitere Reformen umzusetzen oder den Kriegsverbrecher Mladić auszuliefern. Solange Serbien die Voraussetzungen nicht erfüllt, wird es im Kandidatenstatus verharren – und das kann auch etliche Jahre andauern, wie das Beispiel Türkei, die seit 1999 EU-Kandidat ist, zeigt. Reift jedoch Serbien weiterhin zu einem demokratischen und rechtsstaatlichen Land heran, steht einer EU-Mitgliedschaft nichts mehr im Weg.

Erschienen unter: http://jebz.jeb-bb.de/2011/02/des-widerspenstigen-zahmung/