"Unfassbar!" titelt Wolfgang Storz in seinem "Medientagebuch" auf der Webseite "DER FREITAG". Welch schreckliches Ereignis begackert er dort?
" „Bild“-Report zur Griechen-Krise bekommt einen Journalistenpreis für "exzellenten Wirtschaftsjournalismus". Zählt differenzierte Berichterstattung gar nichts mehr?"
Unfassbar für mich ist es, dass es der Autor nicht nötig hat, zu den prämierten Bild-Berichten von NIKOLAUS BLOME und PAUL RONZHEIMER und anderen zu verlinken, ja, dass er nicht einmal Artikel-Titel nennt. Fürchtet er, dass sonst Leute auf die Idee kommen könnten selber nachzulesen, worum es bei der Verleihung Herbert Quandt-Medienpreises 2011 (hier die Laudatio von Roland Tichy) überhaupt ging? Offenbar spekuliert Storz darauf, dass den meisten Leserinnen und Lesern des "FREITAG" das Reizwort "BILD" genügt, um seine Polemikergüsse zu bejubeln, ohne sich selber sachkundig zu machen.
Nach dem Motto 'Wir sind die Guten; da müssen wir uns doch nicht mit Fakten auseinandersetzen, da ist es völlig unerheblich, dass der Preis für eine konkrete Artikel-Reihe verliehen wurde: BILD ist halt blöd, und somit dürfen die auch für (ggf.) gute Artikel keinen Preis bekommen, basta!'
Differenziert? Seriös? Oder eher Krakeeler ("Krakeeler dominieren" lautet eine Zwischenüberschrift seines Artikels, in dem er u. a. "erklärende[n] und differenziert informierende[n] Journalismus" fordert, der in der Griechenland-Berichterstattung nur in der Nische zu finden sei.)? Das mag sich der Autor selber fragen, wenn er in den Spiegel schaut!
Aber nun zur BILD-Reihe selbst. Soweit ich feststellen konnte, handelt es sich um eine fünfteilige Serie darüber, wie sich Griechenland (mit Hilfe unserer eigenen rot-grünen Regierung!) die Zugehörigkeit zur Euro-Zone erlogen hat:
"BILD-Report Geheimakte Griechenland" lautet der Reihentitel und die einzelnen Artikel darin:
- "Wie Athen sich den Euro erschwindelte" Die weiteren Artikel:
- "So frisierten die Griechen ihre Bilanzen"
- "So räumte Rot-Grün den Griechen den Weg zum Euro frei"
- "So machte Finanzminister Eichel den wichtigsten Kritiker platt" (daraus besonders bemerkenswert - und mutatis mutandis zweifellos auch für andere Problemkandidaten, also aktuell Kroatien, gültig, ist in diesem Artikel die Feststellung - meine Hervorhebungen-: „Es gab von vielen Seiten ‚codierte Warnungen‘“, erinnert sich ein deutscher Spitzendiplomat.„Keiner wollte offen Nein sagen, aber jeder wollte auch ein bisschen gewarnt haben, um im Fall des Falles sagen zu können, dass man ja gewarnt habe.“) und schließlich
- "So winkte die EU den Euro für die Griechen durch" (Daraus: "In den deutschen Zeitungen wird nach dem Gipfel ausführlich über Feira berichtet. Doch der griechische Beitritt ist den meisten Blättern nur eine Fußnote wert" - das gilt entsprechend ebenfalls für Kroatien!)
Wenn die BILD-ZEITUNG in diesen Berichten etwas unzutreffend dargestellt hätte, würde Herr Storz das sicherlich erwähnt haben. Da er aber insoweit schweigt, muss ich die Inhalte für korrekt halten - und fühle mich über die Hintergründe des griechischen Euro-Beitritts von BILD vorzüglich informiert (und in meiner Skepsis gegenüber dem aktuell anstehenden Kroatien-Beitritt vollauf bestätigt!).
Herr Storz ist offenkundig nicht in der Lage, anspruchsvolle Recherchen wie die BILD-Redation durchzuführen. Und wahrscheinlich passt es ihm auch nicht, dass das Volk solche für SPD und Grüne ebenso wie für die EU und Griechenland peinlichen Wahrheiten erfährt. Deshalb lenkt er rasch vom Thema der BILD-Serie ab und prügelt auf die BILD-Berichterstattung über die Griechenland-Krise allgemein ein, pfeift das linke Lied von den armen Griechen (auch hier natürlich ohne im Detail auf die BILD-Berichterstattung einzugehen) und den bösen Rating-Agenturen, nach deren Pfeife die Politik angeblich tanzt.
Der Hauptakteur des Dramas aber, der (nicht nur:) deutsche Steuerzahler, bleibt außen vor bei Storz' Forderung nach einem erklärenden und differenziert informierenden Journalismus (und ebenso der griechische Steuerhinterzieher).
Natürlich sind die Kürzungen hart, natürlich treffen sie teilweise die Falschen - und die Reichen, wie auch die erpresserischen Bediensteten der griechischen Staatsbetriebe, bleiben in der griechischen Wirklichkeit bei den Belastungen außen vor.
Storz ist sich aber offenbar nicht über die ökonomische Gesamtlage in Sachen Griechenland im Klaren, oder er will seine Leser nicht darüber aufklären.
Dabei lässt sich diese Lage in einem einzigen Satz erschöpfend schildern. Diesen Satz formuliert Gérard Bökenkamp bei "eigentümlich frei" in seinem äußerst instruktiven Ländervergleich "Griechenland und Tschechien: Wo der böhmische Löwe sitzt, muss die attische Eule erst hin" tut (Hervorhebung von mir):
"Griechenland hat durch seine hohe Verschuldung einen Lebensstandard erreicht, der oberhalb seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegt."
Um genau diese Differenz muss der griechische Lebensstandard jetzt fallen - und das ist nicht die Schuld von Banken oder Rating-Agenturen.
Oder Europas Steuerzahler müssen die Differenz finanzieren. (Manche fordern gar noch einen Marschall-Plan für die griechische Wirtschaft, also weitere Zahlungen. Dieses Geld würde natürlich ebenso im Konsum versickern, wie die bisherigen Hilfszahlungen der EU.)
Aber griechische Korruption, Klientelismus (Familiarismus) usw. gehören in der Vorstellungswelt des Herrn Storz offenbar in die Kategorie "Bodensatz primitiver Interpretationsmuster".
Sind es wirklich nur 'die anderen', die BILD-Leser, die nicht lesen können (oder wollen)? Diese Frage geht nicht nur an Hr. Storz, sondern mehr noch an jene FREITAGS-Freunde, die ihm in ihren Leser-Kommentaren in FREITAG sekundieren.
Andererseits: die BILD-Artikel sind verdammt lang; bei Herrn Storz dagegen ist die Analyse mit geschätzt 80% informatorischem Rabatt zu haben. Kein Wunder also, dass die Ein-Gebildeten Intelligenten unter den FREITAGS-Lesern lieber bei ihm ihre Kondensmeinung einkaufen als sich mit dem fünfteiligen Original abzumühen!