Erwiderung zu Jan Falks Beitrag - Pferdelasagne und Amazon-Leiharbeiter: Sind wirklich die Konsumenten schuld? Sollte ursprünglich kein eigener Beitrag werden, aber bietet sich nun doch an.
1. Ich widerspreche grundlegend, was deine Lösung betrifft. Das Kernproblem ist nicht zu wenig, sondern zu viel Regulierung - sowohl bei Lebensmittelqualität als auch bei Leiharbeit. Du begründest deine Kurzsicht mit weitschweifigen Allgemeinplätzen, die ein Versagen staatlicher Regulierung von vornherein ausschließen: 'Gewinnmaximierung der Unternehmer um jeden Preis ... von Unternehmen moralisches Verhalten zu verlangen, ist wie ...' . Wenn etwas trotz staatlicher Regulierung schief läuft, ist dein Reflex: mehr Staat, more of the same, und von den "besseren" Regulierern. Das ist staats-fundamentalistisch.
2. Um die Macht der Verbraucher geht es hier nicht primär. In diesem Zusammenhang wirst du das von mir auch nie hören und man hat es auch noch nicht. Ob bei kik, Amazon, Apple usw. - Kaufverhalten ist nicht das geeignetste und stärkste Mittel Missstände bei Produktion und im Vertrieb zu beseitigen. Da muss man an die Ursachen, warum Menschen gezwungen sind solche Arbeitsbedingungen zu akzeptieren: ein Reserveheer von ost- und südeuropäischen Arbeitslosen und Verarmten, zu wenig Arbeitsplätze durch Überregulierung und Wohlfahrtsstaat usw. Wir haben durch den Zusammenbruch des Ostblocks und durch Finanz- und Eurokrise insofern wieder früh-kapitalistische Zustände. Leiharbeit ist zudem, wie ich dir schon sagte, Flucht der Arbeitgeber aus unserem verkrusteten Arbeitsmarkt mit seinen regulierten Arbeitsformen. Leiharbeit selber ist ein staatlich geschaffenes (!) künstliches Arbeitsverhältnis, das erst aufgrund vorangegangener Regulierung des Arbeitsmarktes erforderlich wurde. Eine unbestreitbare Interventionsspirale. Klar, man kann die Regulierung wieder korrigieren / weiter regulieren - damit löst man ein Problem, das man selber geschaffen hat, kurzfristig. Man kann den Amazon-Leiharbeitern flink helfen - das mag in der Tat auch erforderlich sein - nur ist das keine grundsätzliche und langfristige Lösung des Kernproblems. Und selbst bei Amazon ist die Situation nicht so verheerend wie in der ARD-Doku propagiert.
3. Was Produktqualität angeht - wie kommt man am besten zu effektiver (!) Kontrolle und Transparenz? Deine Lösung ist: schärfere Standards und mehr Kontrolle. Warum durch den Staat? Wie wär's mit dem Markt? Dazu muss man ihn erstmal lassen. Foodwatch ist eine von wenigen privaten Verbraucherschutzorganisationen/NPOs/NGOs - die es trotz und neben staatlicher Regulierung gibt. Ohne staatliche Autorität, auf die man sich als Kunde und Unternehmer verlässt; die einem die Verantwortung erst abnimmt und Marktlösungen verdrängt, würde es noch mehr geben. Solche privaten Organisationen/Vereine/Stiftungen sind notwendiger und selbstverständlicher Teil einer freien Marktwirtschaft. Und wer ist aggressiver? Foodwatch/Greenpeace & Co - oder staatliche Behörden? Bei Behörden hat man das bekannte Problem: entweder schießen sie - vermittels ihrer autoritären Macht bzw. weil sie sich dadurch korrumpieren lassen - übers Ziel hinaus oder versagen fundamental ... Schweinegrippe/Vogelgrippe - Milliardenkosten und elende Gesundheitsschäden nach Impfung, Ekelrestaurants, Pferdefleisch usw ... Der Pferdefleischskandal stellt sich scheinbar als typisches staatliches Versagen dar. Auf Hinweise wurde zwei Jahre nicht reagiert. Wäre das bei einer privaten Organisation denkbar? Und wenn es schlicht an Geldnot / Einsparungen läge, das ist ja schon das grundlegende Problem staatlichen Handels - die Mittel sind begrenzt, aber neue Aufgaben gibt es immer zu erfinden. Denn der Staat versage doch nicht, Gott bewahre, er habe eben nur nicht genügend Geld in die Hand genommen.
Dass solche Ergebnisse mehr oder weniger zwingende Folge staatlichen Handelns sind, leugnest du als Staatsgläubiger. Im Nachhinein kann man jede Schwachstelle, jeden Regulierungsfehler benennen und korrigieren - nur der nächste Fehler, der nächste Skandal, kommt bestimmt. Unternehmerisches Gewinnstreben aber ist nicht das "Problem" des Marktes, sondern Grund, warum er funktioniert, warum er im Wettbewerb Qualität hervorbringt - gleichgültig, ob man von einer vermeintliche "Unmoral" des Einzelnen fabulieren will, also die Flucht ins Nebulöse antritt. Moral oder Unmoral des Marktes ist eine philosophische Frage. Dass der Staat per se "moralischer" sei, mitnichten. Insbesondere maßt du dir beispielhaft an "moralisch" zu handeln, indem du sogar Entscheidungen für einen Verbraucher treffen und ihn für exzessive staatliche Verbraucherschutztätigkeit zahlen lassen willst, worauf er im konkreten Falle vielleicht keinen Wert legt. Das mag gut gemeint sein, aber unter "moralisch" stelle ich mir hier doch eher das Gegenteil vor.
4. Es mag sein, dass in manchen Fällen der Markt nicht alle oder vor allem: nicht schnell genug Informationen bereit stellt, die man meint haben zu müssen (eine Lebensmittel-Ampel, Angabe des Grundpreises, Gewinnwahrscheinlichkeiten im Glücksspiel oder was weiß ich). Aber dann muss der Grundsatz gelten: so wenig Staat wie nötig. Allgemeine Hygiene- oder ein Teil der Lebensmittelkontrolle kann durchaus auch in kommunale Verantwortung gelegt werden, wenn Bürger dies wünschen, direkt beeinflussen und überwachen können.
Du driftest mit deiner Rhetorik und Forderungen nach "mehr ... besseren ... allgemeinverbindlichen" Standards aber ins gefährliche und kontraproduktive Autoritäre. Ein solcher Staatsglaube kennt keine Grenzen - angefangen bei lapidaren Zweckkontrollen geht er über immer schärfere sinnlose Vorgaben und Produktverbote nach Gutdünken, leider alles begleitet mit unintended consequences ... Preise werden getrieben, das Angebot wird verknappt, Verbraucher werden bevormundet ... Empfehlungen und Transparenz-Vorgaben etwa bzgl. fett-reduzierter Lebensmittel führen gerade deswegen zu kontraproduktivem vermehrtem Konsum oder Ausweichverhalten... oder im umgekehrten Falle: die jahrzehntelange Sanktionierung von (unschädlichem, wie man heute weiß) Saccharin half dem Staat Amerikaner in die Fettleibigkeit zu treiben usw. - The Food-Safety Fallacy (pdf) - More Regulation Doesn’t Necessarily Make Food Safer.
"Eine Verbesserung der Produktionsverhältnisse insgesamt erreichen wir nicht an der Kasse, sondern in der Wahlkabine" - ja, eine grundlegende und dauerhafte Verbesserung erreichen wir, indem wir weniger Regulierung und eine Reduzierung von Staatsaufgaben verlangen. Wir sind nicht uneins darin, dass man - kurzfristig - mit exzessiver Regulierung und Kontrolle viel bewirken könnte, aber wir sind uneins darin, ob das eine dauerhafte und effektive Lösung sein kann.
5. Umweltschutz ... wer hat in der Wahlkabine entschieden Katalysatoren verpflichtend zu machen? Das Wahlvolk? In unserer repräsentativen Demokratie mit ihrer Allmacht verkommen konkrete Entscheidungen zur Irrelevanz. Wir haben sowohl Katalysatoren als auch Atomkraft gewählt = das heißt, es wurde uns hinterher erst untergeschoben, dazu gefragt wurde keiner. Und das begrüßt du? Die Kat-Pflicht wurde 1984 beschlossen. So, ich hab mal das CDU/CSU-Wahlprogramm (pdf) von 1983 gesucht und nachgeschaut ... 27 maschinengeschriebene Seiten. Was steht darin über Katalysatoren? Richtig, nichts. Nur Allgemeinplätze, die man so bei allen Parteien findet, drei Absätze zu Umweltschutz, etwa:
"Wir werden die Umwelt schützen (...) Wir werden die Umweltschutznormen, wo notwendig, verschärfen und vor allem anwendbar gestalten. Wir werden Investitionen für den Umweltschutz fördern und den technischen Fortschritt in den Dienst des Umweltschutzes stellen."
Und selbst wenn in Wahlprogrammen zu jeder Frage ein Vorschlag gemacht würde, es würde weiterhin keiner lesen, am Desinteresse würde sich nichts ändern, nicht zuletzt weil man keine faktische Wahl hat. Nur wenige Themen stilisieren sich zur Richtungswahl hoch - wie die Laufzeitverlängerung 2009, und selbst da unterlag Rot-Grün dem Steuersenkungshype von Schwarz-Gelb. Also was soll das Gerede vom Abstimmen in der Wahlkabine? Verantwortungsbewusstsein verträgt sich nicht mit Zentralisierung und politischer Machtfülle. Umweltschutz steht nicht in der Verantwortung des Einzelnen. Das ist eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe mittels direkter Demokratie und nicht mittels einer allwissenden, dirigistischen und ach-so-moralischen Autorität von oben, legitimiert durch den Popanz repräsentativer Demokratie.
6. Was meinen Rant über den Umgang von Spiegelfechter & Co mit Amazon betrifft, überinterpretierst du. Ich beklage einzig deren fehlende Konsequenz, wenn jemand selber an einen Boykott glaubt und/oder sich dazu hinreißen lässt (was ja auch völlig in Ordnung ist). Wer ein Fass aufmacht - wie SF - und mit Getöse das (belanglose) Amazon-Affiliate-Programm fallen lässt, kann seriöserweise dann Amazon nicht das große Geld über eigene Buchverkäufe hinterherwerfen. SF hat sich nach Kritik rausgeredet, ein kleiner Verlag hätte da nicht das große Sagen. Das ist Unfug, erst recht kleine linke Verlage würden sich da engagieren, wenn man das möchte - wetten, dass ein Verlag bei Amazon ein Buch in 5 Minuten gelöscht haben kann? Sich dieser Konsequenz zu entziehen ist das gleiche heuchlerische Spiel, das Julia Schramm trieb - die sich mittlerweile für ihre Dollarzeichen in den Augen und mangelnde Geradlinigkeit pseudo-entschuldigte. Das wird genauso sein mit manchen Lesern und Kommentatoren, die empört nach diesem Beitrag innerlich oder schriftlich drohen sich vom Oeffinger Freidenker nun endgültig abzuwenden - die alte Leier, denn es wird ja doch nicht geschehen. =) Bis zum nächsten Mal.