Es war eine große Überraschung, als der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn 2011 in Cannes, den Preis für die beste Regie gewann. Vorher hatte man von „Drive“ nicht viel gehört. Ein Actionfilm, der von einem Fluchtwagenfahrer handelt. Das erregte sofort Assoziationen an „The Fast And The Furious“ oder an jenen unsäglichen Nicolas Cage-Film „Drive Angry“.
Mit derartigen Filmen hatte dieses Werk aber absolut nichts zu tun. „Drive“ war spannend, intensiv, unglaublich toll fotografiert und bot neben einem neuen Stil gleichzeitig eine Verbeugung an solch Klassiker, wie „Bullit“, oder „The Driver“.
Obendrein bot „Drive“ einen Soundtrack zum Niederknien und katapultierte Ryan Gosling über Nacht an die Spitze der Liste der beliebtesten Schauspieler der letzten Jahre. Ich selbst bin immer noch der Meinung, dass „Drive“ einer der besten Filme ist, die ich je gesehen habe. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die erneute Zusammenarbeit des Duos Refn / Gosling.
Bangkok ist eine große Stadt. Eine riesige Stadt. Buchstäblich ein Moloch. Ein Ort voller Faszination und Gegensätze. Ein Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen und Nationalitäten. Die beiden amerikanischen Brüder Billy und Julian verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit der Ausrichtung von Boxkämpfen, aber reich wurden sie durch den Verkauf von Drogen im großen Stil. Auch in Bangkok ist das illegal, aber hier funktioniert das alles ein bisschen anders. Dem ganzen liegt ein empfindliches Gleichgewicht zu Grunde. Zwischen allen Fraktionen gibt es Abmachungen und Verträge. So lange sich alle an diese Verträge halten, gibt es keine Probleme. Eines Tages taucht Billy in einem Bordell auf. Nachdem er hier nicht das bekommt, was er will, tötet er die Tochter des Bordellbesitzers. Der Polizist Chang, dessen Aufgabe es ist, das Gleichgewicht zu erhalten, tötet Billy. Das wiederum ruft die Mutter der beiden Brüder, Chrystal, auf den Plan. Da Julian offensichtlich nicht in der Lage ist, den Tod seines Bruders angemessen zu rächen, beauftragt sie ein paar Auftragskiller und setzt diese auf Chang an. Das hat allerdings fatale Folgen, denn Chang ist unterwegs, wie ein erbarmungsloser und kompromissloser Racheengel.
Als dieser Film angekündigt wurde, empfand ich alles andere , als Vorfreude. Sofort war gewiss, dass „Only God Forgives“ niemals genau so gut, oder gar besser, als „Drive“ sein kann. Dem entsprechend hoffte ich, dass Refn nicht versuchen würde, sein Meisterwerk noch einmal machen zu wollen. Aber wollte ich einen Film sehen, der ständig mit „Drive“ verglichen werden würde, aber gleichzeitig völlig anders sein musste? Die ersten Bilder ließen die Befürchtungen wachsen. Das sah mir alles zu sehr nach „Drive“ aus. Im Trailer hörte man Musik von Cliff Martinez, die ebenfalls frappierende Ähnlichkeiten zur Musik von „Drive“ aufwies. Und dann saß ich im Kino und stellte als erstes fest: „Only God Forgives“ ist völlig anders. Der gesamte Stil entspricht eher früheren Refn-Filmen, hat mich zwischendurch aber sogar an David Lynch erinnert. Goslings performative Arbeit wirkt noch reduzierter, als in „Drive“. Bis auf einen kleinen Ausraster, scheint seine Figur regelrecht apathisch durch den Film zu schweben. Selbst während der Kampfszene zeigt er keinerlei Regung. Aber auch seine Filmmutter stellt fest, dass mit ihm irgendwas nicht zu stimmen scheint. Ähnlich geartet, aber ungleich gruseliger ist sein Widerpart. Der Polizist Chang tut unfassbar grausame Dinge, ohne, dass er auch nur mit der Wimper zuckt. Ebenso undurchsichtig erscheinen mir dessen Motive. Es ist für mich absolut nicht nachvollziehbar, warum Chang das tut, was er tut. Selbst der treibende Motor der Handlung des gesamten Films erschließt sich mir nicht so recht. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich erst jetzt über „Only God Forgives“ schreiben kann. Im Gespräch mit Falko – dem ominösen Filmvorführer mit einer leichten Affinität zu den bekanntesten 35 Millimetern der Filmgeschichte – stellte er fest, dass Refn einfach alles an der Geschichte im Film auf des Wesentliche reduziert. Seiner Ansicht nach, stellt Chang den Beweis für eine – irgendwie geartete – Existenz Gottes, oder eben dessen Rache dar. Jemand zieht sich seinen Zorn zu und wird eben entsprechend geläutert. Ende der Geschichte! Dieses Konzept ist meiner Meinung nach aber nicht zu Ende gedacht. Gegenüber der simplen Handlung steht nämlich die komplizierte Konstellation der beiden Brüder mit ihrer Mutter. Wen stellt sie denn in diesem Gott-Gleichnis dar? Was auch immer Refn hier nun auf das Wesentliche reduziert haben mag, die visuelle Ebene des Films betrifft das nicht. Nahezu perfekt inszenierte und komponierte Bilder, lassen den Film regelrecht schweben. Größtenteils wirken sie auch eher, wie Traumsequenzen. Irgendwie unrealistisch. Dem gegenüber steht die unfassbar harte Gewaltdarstellung. Derart Schockierendes und mit einer derart kalten Beiläufigkeit ausgeübt, habe ich noch nie in einem Film gesehen. Hier ist mal wieder ein heftiger Slap an die FSK dran. Bei der ersten Prüfung hatte „Only God Forgives“ keine Jugendfreigabe erhalten. Der Verleih ging in Berufung und nach einer zweiten Prüfung wurde der ungeschnittenen Fassung ein Freigabe ab 16 erteilt. Das kann jeder so bewerten, wie es ihm angemessen scheint.
Dass alle bisherigen Filme Refns, inklusive „Only God Forgives“ nichts für schwache Nerven sind, kann man sich allerdings denken und nun muss jedem selbst überlassen sein, zu entscheiden, ob er diese Szenen ertragen kann, oder nicht. Leider sind diese Momente auch fast das Einzige, was mir im Gedächtnis geblieben ist. Dieser Film funktioniert bei mir leider gar nicht. Ich bewundere allerdings den Mut und die Konsequenz Nicolas Winding Refns. Nach „Drive“ hätte es wohl jeder verstanden, wenn er einfach noch mal das Gleiche probiert hätte.
Only God Forgives (F, THA, USA, SWE, 2013): R.: Nicolas Winding Refn; D.: Ryan Gosling, Vitnaya Pansringarm, Kristin Scott Thomas, u.a.; M: Cliff Martinez; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
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