Derzeit laufen in den deutschen Kinos zwei Filme, die gleichermaßen viele Gemeinsamkeiten zu haben scheinen, aber auch unterschiedlicher nicht sein könnten. In den letzten Jahren hat sich ein Schauspieler aus den Schatten und dem Dasein des ewigen Nebendarstellers hervor gearbeitet und ist innerhalb kürzester Zeit zum Star avanciert. Ryan Gosling ist ein unglaublich cooler Typ, dem die Frauen (und auch viele Männer) zu Füßen liegen, der aber fernab von den Eigenschaften eines klassischen Sex-Symbols auf schauspielerischer Ebene immer wieder zu überraschen weiß. Ein interessanter Darsteller, dessen Karrieresprung vor allem zwei Filmen aus den letzten Jahren zu verdanken ist. Den Achtungserfolg gab es 2010 in Derek Cianfrance' „Blue Valentine“ und das zweite Standbein auf der Karriereleiter erfolgte durch Nicolas Winding Refns viel gerühmten Flim „Drive“. Jetzt ist der Londoner Schauspieler in Filmen beider Regisseure wieder da und die Erwartungen an diese Werke sind natürlich extrem hoch. Wie schon gesagt, haben beide Filme ihre Gemeinsamkeiten aber auch gravierende Unterschiede. Aber, der Reihe nach...
The Place Beyond The Pines
Luke gehört zu einer Gruppe von Fahrgeschäftsbetreibern. Zwischen Achterbahnen, Schießbuden und Zuckerwatte liefert er mit zwei Kollegen eine atemberaubende Stuntshow mit Motorrädern. Eines Tages kommt er in eine kleine Stadt, in der er vor einem Jahr bereits Station gemacht hat. Sein letzter Besuch hatte ungeahnte Folgen. Romina, ein One-Night-Stand, hat einen Sohn bekommen und Luke ist der Vater. Obwohl er gleich wieder abreisen wollte, entschließt sich der Stuntman nun, sich im Ort nieder zu lassen und für das Kind zu sorgen. Auch, wenn Romina ihm versichert, seine Hilfe nicht zu brauchen, beharrt Luke darauf, für das Kind da zu sein, weil sein Vater seinerzeit nicht für ihn da war. Luke bekommt relativ schnell einen Job in einer Autowerkstatt Hier verdient er allerdings nicht genug Geld und sein Kumpel, rät ihm, einfach eine Bank zu überfallen. Lukes Fähigkeiten als Motorradfahrer bieten die idealen Voraussetzungen für den Fluchtplan. Die ersten beiden Überfälle gelingen tatsächlich, doch beim dritten Mal geht es schief. Auf der Flucht wird Luke vom Polizisten Avery gestellt.
Die Story ruft sofort Erinnerungen an „Drive“ hervor. Stuntfahrer übt illegale Aktivitäten aus, um seiner Liebsten ein schönes Leben zu machen. Doch dem Film gelingt ein recht überraschender Umschwung, nach etwa einem Drittel der Laufzeit. Selten zuvor habe ich in einem Film einen derartigen Story-Twist erlebt, der gleichzeitig total überzeugend und stimmig vollzogen wird. Dabei kann man nicht einmal ein besonders sensibles, oder elegantes Vorgehen erkennen. Cianfrance macht das einfach und es funktioniert. Die Figuren sind, ob ihrer reinen Schlichtheit, nahezu perfekt konstruiert. Jede Figur hat eine Aufgabe in der Geschichte zu erfüllen und das tut sie auch. Alles was darüber hinaus geht, ist unwichtig. Trotzdem sind die Figuren nicht oberflächlich oder blass. Das Kunststück, Figuren auf das wesentliche zu reduzieren, ohne sie zu Platzhaltern verkommen zu lassen, ist auf verblüffende Weise gelungen. Natürlich führt man im Vorfeld Vergleiche zu „Blue Valentine“ auf, merkt aber relativ schnell, dass es da nicht viel zu vergleichen gibt. Und eben auch die befürchteten Parallelen zu „Drive“ sind schnell vergessen. Cianfrance präsentiert alles in der bekannten rohen Handkamera-Ästhetik, die man aus seinen früheren Produktionen schon kennt. Der aufreibenden Atmosphäre eines Banküberfalls und einer anschließenden Verfolgungsjagd entsprechend, wirkt dieser Stil sogar angemessener, als einem Beziehungsdrama. Hier kommt ein weitere Phänomens der Arbeit Cianfrances zum Tragen. Die Kamera ist übertrieben hart, fast schon dogmaesk. Dadurch wirkt das spröde Spiel der Hauptdarsteller aber irgendwie viel natürlicher. Gerade Ryan Goslings reduziertes Spiel wirkt dadurch noch intensiver. Da ist es fast schon ein Jammer, dass seiner Figur so – verhältnismäßig - wenig Platz eingeräumt wurde. Ich will natürlich nicht meckern und der Schritt, den Regisseur und Autoren gewagt haben. ist nicht nur mutig, sondern auch konsequent. Die Gosling-Fanboys werden sich auch wieder beruhigen, denn schließlich läuft da ja noch ein weiterer Film.
„The Place Beyond the Pines“ ist unerwartet intensiv. Angesichts der scheinbaren Banalität der Geschichte hätte ich das nicht erwartet. Die Intensität pflanzt sich fort bis zu den Figuren und zum Ende des Films erschließt sich eine simple, wie auch universelle Botschaft. Ein Film, voller Überraschungen, der den Vorgängerfilm „Blue Valentine“ in beinahe jeder Hinsicht übertrifft.
The Place Beyond The Pines (USA, 2012): R.: Derek Cianfrance; D.: Ryan Gosling, Bradley Cooper, Eva Mendes, u.a.; M.: Mike Patton; Offizielle Homepage
Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.