Der Zug ist abgefahren, das Problem bleibt

Von Frank Benedikt
Der Castortransport hat erwartungsgemäß sein Ziel in Gorleben erreicht – trotz zahlreicher Versuche, ihn aufzuhalten. Es bleibt die Frage, was aus seiner strahlenden Fracht werden soll.
Vor dem Hintergrund der massenhaften Proteste gegen den neuerlichen Castor-Transport scheint die Frage “Wohin nur mit dem Zeug?” in den Hintergrund getreten, dabei sollte sie doch die Kernfrage überhaupt sein. Die Verbringung von Atommüll nach Gorleben, das zunehmend schon rein sicherheitstechnisch nicht den Anforderungen an ein Endlager zu genügen scheint, zu verhindern, löst ja nicht das Grundproblem der Entsorgung. Über 8.000 Kubikmeter hochradioaktiven Materials werden bereits heute in Europa zwischengelagert und jährlich wächst diese Menge um rund 280 Kubikmeter an.
Seit über einem halben Jahrhundert fällt in deutschen Kernkraftwerken hoch radioaktiver Abfall an und jährlich kommen etwa 450 Tonnen hinzu. Mit der jüngst von Schwarz-Gelb beschlossenen Laufzeitverlängerung um weitere 12 Jahre werden, wenn der letzte Reaktor abgeschaltet ist, rund 21.600 Tonnen stark strahlendes Material auf ihre Entsorgung warten. Entsorgung? Wie entsorgt man eine derartige Menge gefährlichen Atommülls, der bis zu einer Million Jahre sicher verwahrt werden muß?
Bereits in den frühen 60er Jahren wurde im Rahmen des Zweiten Atomprogramms die Entsorgung der Abfälle beschlossen und mit dem “Versuchsendlager Asse” ab 1967 der Forschungs- und Versuchsbetrieb aufgenommen, der 1978 wieder eingestellt wurde. 1977 fiel dann die (weitgehend politische) Entscheidung, im niedersächsischen Gorleben nach Möglichkeiten für eine Endlagerung zu forschen. Nachdem zwischen 1979 und 2000 der Gorlebener Salzstock für über eine Milliarde Euro auf seine Eignung geprüft und keine weiteren Alternativen in Betracht gezogen wurden, erließ die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 im Rahmen der Ausstiegsvereinbarungen mit der Atomindustrie einen vorübergehenden Forschungsstop, der erst im Oktober 2010 von Schwarz-Gelb aufgehoben wurde.
Da bereits 1983 aus einem ersten Gutachten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig die zweifelhafte Eignung von Gorleben als Endlager hervorging, wurden von der Politik mittlerweile 27 Jahre versäumt, in denen man nach weiteren möglichen Standorten hätte suchen können und müssen. Stattdessen produzierten die deutschen AKWs weiter Jahr für Jahr strahlenden Müll, für den es keine sichere Entsorgungsmöglichkeit gibt – weder im Inland noch im Ausland, denn kein Land der Welt verfügt bisher über ein funktionsfähiges und sicheres Endlager. So ist auch der erneute Versuch, deutschen Atommüll nach Russland zu verbringen, angesichts der katastrophalen Sicherheitsstandards dort unverantwortlich und verlagert das Problem nur.
Was aber tun mit dem ganzen hochradioaktiven Abfall? Im Laufe der Jahre wurden die unterschiedlichsten Vorschläge gemacht: So sollte beispielsweise das hochkontaminierte Material in der Antarktis gelagert werden – dies würde zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Trennung von Biosphäre und Atommüll gewährleisten, ist aber wegen der strengen Umweltschutzvorgaben für den polaren Kontinent wohl nicht zu realisieren. Auch ein Transport ins Weltall – mit Kurs zur Sonne – wurde angedacht, aber bei den bereits vorliegenden Mengen und den nötigen Sicherheitsvorkehrungen wäre dieser Plan mit der gegenwärtig  vorhandenen Technologie unfinanzierbar. Ein weiterer, zyklisch immer wieder auftauchender, Gedanke ist der der Transmutation – der Umwandlung langlebiger strahlender Partikel in kurzlebigere. Erst jüngst wurden wieder Fortschritte auf diesem Gebiet gemeldet, generell jedoch scheint diese Technologie noch längst nicht einsatzreif. Und auch die Verklappung von radioaktiven Abfällen im Meer, die jahrzehntelang praktiziert wurde und bis heute nicht komplett eingestellt ist, ist alles andere als eine “Lösung”, bedroht sie doch Fauna und Flora im Meer.
Letzten Endes läuft wohl alles auf eine neue Standortsuche hinaus, die allerdings mit erheblichem Widerstand gerade der unionsgeführten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zu rechnen hat. Da die Bundesregierung einen möglichen Standort nicht einfach dekretieren kann, sondern das jeweilige Bundesland seine Zustimmung erteilen muß, sind der jeweiligen Regierung die Hände gebunden, falls das angedachte Bundesland diese Zustimmung verweigert. Hinzu kommen die zu erwartenden Proteste der örtlichen Bevölkerung, die sich – ähnlich wie in Gorleben – gegen ein geplantes Endlager zur Wehr setzen dürfte. Dies aber ist zu kurzsichtig, sollte sich wirklich ein Standort finden, der alle nötigen Sicherheitskriterien erfüllt und nach Möglichkeit auch nicht in private Hände übergeben, sondern staatlich betrieben und beaufsichtigt wird.
Der Müll ist nun einmal faktisch vorhanden und wird nicht durch Blockaden, sondern – wenn überhaupt – nur durch einen allgemeinen Konsens sicher entsorgt. Die Laufzeitverlängerung durch Schwarz-Gelb ist dabei jedoch alles andere als hilfreich – eine allgemeine Endlagerungsdiskussion wäre sinnvoller gewesen.

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