Transzendente Gottheiten wie Simhamukha sind Emanationen bzw. Projektionen erleuchteter Wesen und da sie Archetypen sind, können sie als Meditationsgottheiten verwendet werden. Diese Erscheinungsformen werden grundsätzlich in drei Klassen unterteilt, da die Meditation auf sie als Gegenmittel für die drei Hauptgifte dient, die das menschliche Bewusstsein heimsuchen:
- Meditation auf friedvolle, ruhige Gottheiten wandelt Verwirrung um.
- Meditation auf zornvolle Gottheiten transformiert Wut.
- Meditation auf lustvolle bzw. freudvolle Gottheiten transformiert Begierde.
Woher stammen Ornamente, Kleidung und Attribute einer zornvollen Gottheit? Gemäß dem Tantra gab es in prähistorischen Zeiten auf einer Insel im indischen Ozean einen Schwarzmagier und Dämonenkönig namens Matam Rudra, der das blanke Überleben der noch primitiven menschlichen Rasse bedrohte. Daher verschafften sich die Bodhisattvas Hayagriva und Vajrapani Zugang zu seinem gigantischen Körper und ließen ihn von innen heraus explodieren. Daraufhin nahmen sie seine Kleidung und seinen Schmuck an sich und unterwarfen anschließend die niederen Dämonen, wobei sie durch ihre grimmige Erscheinung Schrecken verbreiteten. Simhamukha trägt dieselben Ornamente. Als Königin der Nacht hält sie die alptraumhaften dämonischen Wesen auf Distanz, die versuchen, aus den jenseitigen Bereichen des Zwielichts in unser Bewusstsein der Sonnenlichtwelt einzudringen. Als aktive Manifestationen von Leerheit und Weisheit zerstreut ihr Löwengebrüll das diskursive Denken und sie ist nackt, da sie gleichsam frei von diskursiven Gedanken ist.
Aus dem „Secret Book of Simhamukha“ von Lama Vajranatha (John Myrdhin Reynolds; 1987); deutsche Übersetzung von Florian Lobsang Dorje (Florian Schnitzer, 2014) dankend übernommen und nachbearbeitet vom Ngak’chang Rangdrol Dorje (Enrico Kosmus, 2015).