III. DIE AUSSICHTEN DES ZIONISMUS
In der Weltgeschichte wie in der des Judentums haben häufig Bewegungen in ihren ersten Anfängen ganz andere Wirkungen hervorgerufen als später, da ihr wahres Wesen erkannt worden war. So manche messianische Erhebung, die schließlich logisch zum Christentum führte oder das religiöse Empfinden durch Mystik und Aberglauben vergiftete, begann damit, daß sie anscheinend einen frischen Zug in das religiöse Leben ihrer Anhänger brachte. Und wenn das beim Zionismus sicherlich und zuweilen der Fall war und ist, so soll es weder abgeleugnet noch überschätzt werden, denn auch diese Tatsache kann über seinem wahren Charakter und sein Endziel nicht hinwegtäuschen.
Theoretisch können wir kein Interesse an einer Partei haben, die im Widerspruche zu unserer jüdischen Religion steht und damit unser kostbarstes Gut zerstört. Und trotz mancher entschieden vorhandenen Anregung, die der Zionismus der jüdischen Religion gebracht hat, ist er auch von diesen praktischen Gesichtspunkten aus bekämpfenswert, weil er auf den jüdischen Körper dem aufreizenden Gift gleich wirkt, das zwar die Nerven aufpeitscht und den Schein frisches Leben erweckt, dem aber die völlige Erschlaffung, ja der Tod mit absoluter Sicherheit folgt. Wen aber selbst diese Erwägung nicht davon bringen kann, der Bewegung durch wohlwollende Neutralität und finanzielle Unterstützung die Wege zu ebnen, den möge ein Blick zunächst auf die Aussichten und dann auf die sichtbaren Wirkungen des Zionismus nachdenklich werden lassen.
Man hat sich daran gewöhnt, seine praktischen Aussichten mit dem Wort Utopie abzutun. Freilich bedarf ein so wegwerfendes Urteil, selbst wenn es von dem größten Teil der deutschen Judenheit ausgesprochen wird, einer ernsten Begründung. Es läßt sich aber sehr leicht nachweisen, daß die Endaussichten der Bewegung deshalb sehr trübe sein müssen, weil die ganze Wirkung der Arbeit verfehlt ist. Das gilt negativ und positiv. Negativ, indem den eigentlichen Tätigkeitsgebieten viel zu wenig Aufmerksamkeit zugewendet und viel zu viel Kraft entzogen wird, positiv, indem die Bemühungen sich auf ein aussichtsloses Beginnen konzentrieren und Kraft und Gut nutzlos vergeuden, ohne daß sich auch nur die Aussicht auf den Gegenwert ergibt.
Das nichtzionistische Hilfswerk in Westeuropa hatte das Problem der wirtschaftlichen Judennot richtig erfaßt. In den Hauptländern Rußland, Galizien und Rumänien sitzt eine Masse von fast sieben Millionen Juden, und die Judenfrage wurde schon frühzeitig dahin präzisiert, daß durch die politische, wirtschaftliche und Bildungsarbeit das Problem im Niederlassungslande seiner Lösung näher geführt werden müsse, daß aber Auswanderung nur ein Notbehelf der Zeit sein könnte.
Allein in der Auswanderung desjenigen Teiles des Judentums, der sich nicht assimilieren will und kann – und das ist nach seiner Auffassung der allergrößte – in eine rechtlich gesicherte Heimatstätte sieht der Zionismus die Erlösung aus der Judennot. Logisch ist es unmöglich, einem so großen Volke durch dieses Mittel eine nur teilweise Befreiung aus der Schwierigkeit zu schaffen, denn Volksmassen sind keine Schachfiguren. Historisch ist auch kein Beispiel vorhanden, daß auf diesem Wege größere Massen als die französischen und österreichische Protestanten es waren, sich Rat geschafft hätten, denn die Zeit der Völkerwanderung ist aus mannigfachen Gründe kein Vergleichsobjekt. Man mag zwar einwenden, daß das zionistische Projekt den Vorzug der Großzügigkeit genießt. Aber diese Eigenschaft besitzt eine jede Wahnidee, ja, die zur Unvernunft gesteigerte Großzügigkeit ist ein charakteristisches Kennzeichen für Pläne, die sich vom Boden der Wirklichkeit und des Verständigen entfernen.
An dem Hilfswerk, an der Arbeit, die wir Nichtzionisten zur Besserung der wirtschaftlichen Lage unserer Glaubensgenossen im „Niederlassungslande“ leisten, beteiligt sich der Zionismus kaum, weil er weiß, daß jeder erfolgreiche Schritt auf dem Wege zur Lösung der Judenfrage ihm etwas von seiner Bedeutung und Agitationsfähigkeit raubt. Nur aus der schrillen Dissonanz des Elends schöpft er seine Kraft, und es ist Selbsterhaltungstrieb, wenn er offen dokumentiert, daß er an einer Besserung der jüdischen Lage in den „Niederlassungsländern“ kein Interesse zeigt.
Vier Aufgaben ergeben sich für die Arbeit im Osten, es muß versucht werden, die Juden geistig zu heben, um ihnen Kräfte für wirtschaftlich lohnendere Gebiete zu geben. Den so vorbereiteten Massen müssen Erwerbsmöglichkeiten neuer Art erschlossen werden, was teilweise eng mit der dritten Aufgabe, der Erringung politischer Freiheit, zusammenhängt. Hand in Hand mit dieser positiven Arbeit geht natürlich die Hilfe für den Augenblick, die Wohltätigkeitsaktionen, die auch dem Juden von heute, der die Freiheit der Zukunft nicht erleben wird, ein etwas menschenwürdiges Los bereiten wollen. Der Zionismus beteiligt sich nur zögernd und schwach an dieser ernsten wichtigen Arbeit! Er lebt nur in die Zukunft, sieht mit einer gewissen mitleidigen Verachtung auf alles herab, was die Westjuden an emsiger Arbeit für die Judenheit geleistet haben, und es ist natürlich viel, viel leichter über „Rachmonusjudentum“ seicht zu witzeln als durch Arbeit und Geld zu helfen. Die geistige, wirtschaftliche und politische Hebung im Niederlassungslande ist für den Zionismus überflüssig und bloße Kraftvergeudung, und er, der bombastisch vorgibt, die Erlösung für die ganze Judenheit, für das ganze jüdische „Volk“ zu bringen, kümmert sich um die realen Existenzmöglichkeiten dieses Volkes nicht, sondern wendet seine konzentrierte Fürsorge den wenigen, ach so wenigen, zu, die sich von dem Schicksal ihrer Brüder trennen und sich in Palästina eine neue Heimat schaffen können. Wer aber dasselbe zu Hause oder sonstwo auf dem weiten Erdenrunde zu erreichen versucht, ist in den Augen der Zionisten ein materiell denkender „Verräter“ an der Sache des „jüdischen Volkes“. Der Zionismus hat große Geldmittel aufgehäuft. Mehr als sieben Millionen Mark nennt er sein eigen, sieben Millionen, die zum Teile aus den Pfennigen der Armen und der Ärmsten im Osten gesammelt sind. Aber selbst in den Zeiten der entsetzlichsten Verfolgungen hat sich der Zionismus nicht veranlaßt gesehen, seinen Nationalfonds denen und dem zuzuwenden, wofür es notwendig war, und das Motiv: „Laß sie betteln geh’n wenn sie hungrig sind“ , erscheint nicht mehr als eine Verirrung, weltfremder, idealistischer Zukunftsschwärmer, sondern als eine raffinierte, ausgeklügelte Grausamkeit.
Freilich arbeitet der Zionismus auch unter den Juden des Ostens, indem er ihnen Nationalgefühl predigt und sie auf die Aufgaben der Zukunft vorbereitet. In praxi kommt das darauf hinaus, daß die Verhetzung gegen alle Autoritäten, vor allem die Religion, gezüchtet wird, und die in den Zukunftstaumel hineingerissenen jungen Juden die Fähigkeit verlieren, an den realen Aufgaben der Gegenwart nützlich mitzuarbeiten.
Darin besteht der erste Nachteil der Verlegung der gesamten jüdischen Arbeit nach Palästina – wobei natürlich nochmals hervorgehoben sei, daß kein Nichtzionist daran denkt, die Arbeit in Palästina innerhalb des Gesamtrahmens gering zu schätzen –, daß über den Wert der wirklich ernsten Tätigkeit, falsche, hämische Anschauungen verbreitet und ihr wackere Mitstreiter entzogen werden. Der Zionismus sucht sein herostatisches Vorgehen damit zu entschuldigen, daß er auf die Erfolglosigkeit unserer Bestrebungen hinweist. Aber auch das ist wieder nur ein Beweis dafür, daß er das Judenproblem aus dem engen Gesichtswinkels des Kindes betrachtet, das gleich sehen will, wofür es seine Leistung aufgewendet hat. Auch unter dieser Voraussetzung ist die Behauptung noch falsch; die Erfolge sind schon vorhanden, jedenfalls in dem Maße, daß sie die Richtigkeit unseres Weges beweisen. Hätte sich die Welt nur an solche Dinge wagen dürfen, die auf bequemem Wege sofortigen sichtbaren Erfolg versprechen, so könnte man das Wort „Idealismus“ aus ihrem Sprachenschatze streichen!
Ist also der zionistischen Lösungsversuch schon deshalb aussichtslos, weil er in seinen großen Zügen außerhalb jeder logischen Möglichkeit und jeder historischen Erfahrungstatsache stellt, so wird das Utopistische, das gefährlich Utopistische uns zur Gewißheit, wenn wir die speziellen Schwierigkeiten aufmarschieren lassen.
Die Unmöglichkeiten liegen zuerst in inneren Verhältnissen. Der edle Herzl hatte einst einen Judenstaat gefordert. Das war ein berauschendes Wort, dessen Hohlheit man bald darlegen konnte; es war aber wenigstens aus ehrlichem Herzen gesprochen. Die Führer von heute haben die Wege Herzls verlassen, es gilt als unmodern, in so offener und ehrlicher Weise die logischen Folgen des nationalen Gedankens zu ziehen, und die klugen Diplomaten haben sich auf die Formel einer autonomen Heimstätte unter dem Schutze der Türkei oder der Garantie der Großmächte geeinigt.
Diese Spiegelfechterei kann aber die inneren Schwierigkeiten nicht beheben. Die Frage der Eignung und Fähigkeit, sich selber zu regieren, die gewiß eine Rolle spielt, mag zurücktreten, obwohl der Verlauf der jüdischen Geschichte deutlich erweist, daß gerade in Zeiten nationaler Selbständigkeit die Zwietracht und der Haß geradezu entsetzliche Orgien gefeiert haben, und daß die innere Unfähigkeit, sich selber zu regieren, eine der gewichtigsten Untergangsursachen gewesen ist. Ein so stolzes Kapitel des Kampfes um Jerusalem ist, wenn man auf die heldenmütige Hingabe des gemeinen Mannes schaut, ein so schmachtvolles ist es, wenn man daran denkt, daß Kraft, Gut und Blut des Volkes in so schimpflicher Weise von ehrgeizigen, uneinigen und kurzsichtigen Führern gemißbraucht wurden.
Die wirkliche große Schwierigkeit für jedes jüdische autonome Staatswesen liegt in der Stellung zur Religion. Unsere Zionisten, die eine ferne Vergangenheit neu erstehen lassen wollen, bedenken nicht, daß in der Neuzeit alle staatsrechtlichen Anschauungen sich von Grund auf geändert haben. Im Altertum war die Nationalreligion oder die Religionsnation etwas selbstverständliches! Ein Volk, ein König, ein Gott! Aber es dürfte nicht das geringste Verdienst des Judentums sein, hier einen Wandel hervorgerufen haben, und unter den ethischen Schöpfungen des Judentums ist die erhebendste mit der Begriff der Gewissenfreiheit. Früher hieß es wörtlich: cujus regio, eius religio! Das ist durch das Judentum anders geworden. Der Staat ist zwar eine Zwangsorganisation, der man angehören muß, deren Pflichten man zu erfüllen hat, ob man will oder nicht. Der religiösen Gemeinschaft aber leistet man freiwillig Gefolgschaft, solange man auf ihrem Standpunkt steht, nie und nimmer jedoch darf sie einen Zwang ausüben, um sich ein Mitglied zu erhalten.
So ist auch das Judentum die Zusammenfassung derer, sich gern und freundlich zur jüdischen Religion bekennen. Was könnte nun in einem autonomen Staatswesen geschehen? Zweierlei ist denkbar. Entweder wird das Judentum Staatsreligion, oder Gewissensfreiheit wird proklamiert. Das erstere ist einfach undenkbar! Davon, daß man alle Bürgern das Bekenntnis zum Judentum abnötigte, kann natürlich überhaupt keine Rede sein; aber selbst wenn es nur Staatsreligion in dem Sinne wäre, daß das Judentum die Rechte einer bevorzugten Religion hätte, so würde das angesichts der Tatsache, daß wir im Namen der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung gegen einen christlichen Staat erbittert und nachhaltig Widerspruch erheben, einer Verleumdung unserer gesamten sittlichen Grundsätze bedeuten. Jeder Versuch nach dieser Richtung hin würde die selbe sittliche Fäulnis verursachen, wie wir sie heute im Begriffe des Taufjudentums, der widerlichsten Ausdrucksform des Strebertums und der Heuchelei, haben. Ein solches autonomes Staatswesen würde mit all den sittlichen Mängeln behaftet sein, die wir den anderen Staaten mit Entrüstung vorwerfen, und ein „Verein jüdischer Staatsbürger nichtjüdischen Glaubens“ müßte mit größter Berechtigung in seiner Entstehungsstunde gegründet werden.
Was aber, wenn die autonome Gemeinschaft Gewissensfreiheit proklamiert? Dann brauchte man nicht jüdischer Religion zu sein. Wir wollen die Eventualität christlicher oder buddhistischer Juden weniger in den Kreis der Erörterungen ziehen, aber Atheisten gäbe es sicherlich! Denen müßte doch unbedingt der Zugang zu leitenden Stellen gewährleistet werden! Und was hätte die große Masse der Juden, die jahrtausendelang wegen ihres Glaubens gelitten haben, für ein Interesse daran, als Kristallisationspunkt ihrer gesamten Freiheitsbewegung ein Gemeinwesen zu haben, in denen sich die Religionsfeindschaft breitmachen darf, in dem man sich ohne jede Scheu zu jenen Religionen bekennen darf, die das Judentum so entsetzlich gequält, verfolgt und gehaßt haben, und trotzdem von Rechts wegen die Geschicke einer jüdischen Religionsgemeinschaft mitbestimmt. Ein jüdischer Staat also, in welchen vielleicht Atheisten das große Wort führen, ein jüdischer Staat als Grab der jüdischen Religion. Diesem Ideal auch nur einen Pfennig an Geld, eine Atembewegung an Kraft zu opfern, würde für die Judenheit fast Selbstmord bedeuten.
Ein religiöses, autonomes Staatswesen ist nach den heutigen staatsrechtliche Anschauungen undenkbar. Einer Zeit, die aus der zwingenden Richtigkeit dieses Satzes heraus dem Kirchenstaate den Untergang bereiten mußte, dem autonomen Staat des starken Katholizismus, der dann doch über ganz andere äußere Machtmittel verfügt als das Judentum, wird auch bei diesem ein solches Gebiet nicht entstehen lassen! Und es wäre für jene Zionisten, die lernen wollen, unendlich heilsam, wenn sie sich in die Geschichte des Kirchenstaates versenkten und aus ihr ersähen, zu welchen Zuständen ein solcher prähistorisch anmutender Religionsstaat führt.
Innere theoretische Gründe machen den Judenstaat unmöglich. Daneben aber türmen sich Berge von praktischen Schwierigkeiten, die der Verwirklichung zionistischer Ideen gerade in Palästina für ewige Zeiten, soweit es Menschengeist voraussagen kann, unbedingt ausschließen.
Die oft besprochene Raumfrage braucht man nicht tragisch zu nehmen; sie kann man mit Humor behandeln. Der Zionismus will allen, die sich nicht assimilieren wollen und können, eine rechtlich gesicherte Heimat vorbereiten. Da aber diese – nach zionistischen Maßstäben – mindestens an die Zahl von neun Millionen heranreichen und das heilige Land – an Größe einer Provinz von Polen vergleichbar – höchstens zwei Millionen fassen kann, so hat man dem Zionismus eingewendet, daß auch er bestenfalls eine Teillösung bedeute. Er hat geantwortet, daß man eben auch die Nachbarländer dazu besiedeln wolle, und mit dieser Antwort kann man sich zufrieden geben. Es kommt wirklich nicht darauf an, wenn man schon einmal beim annektieren ist, ob man noch etwas hinzunimmt, und das ganze Judenproblem wäre ja selbst für die Nörgler gelöst, wenn man sein Augenmerk auf Persien und Ägypten richtete. Besonders Ägypten wäre ja sehr geeignet, und man darf eben nur nicht zimperlich sein!
Im Ernste ist es aber ein sehr gefährliches und gewagtes Beginnen, bei den schwankenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Türkei so erhebliche Werte ohne irgendeine Sicherheit dort zu investieren. Heute wissen wir es mehr denn je, wie wenig man im Osmanenreiche vor Überraschungen sicher ist. Die zionistische Politik, die ja die geringsten Schwankungen dort ängstlich beobachtet und oft genug zum Frontwechsel gezwungen ist, hat durch diese Vertiefung in Krähwinkeleien völlig den Blick für die großen bestimmenden Züge türkischer Staatsverhältnisse verloren. Sie übersieht, daß ein Tag des Sturmes imstande ist, Millionen an Kapital und die Arbeit von Jahrzehnten gänzlich zu vernichten. Im Verlauf der gesamten jüdischen Geschichte ist nie eine Konzentration aller Energien an einem Punkte eingetreten oder begünstigt worden, sondern stets sind die Kräfte verteilt gewesen, und nur so hat das Judentum Schläge wie den Untergang Jerusalems und die Vertreibung aus Spanien überstehen können. Alles Interesse, alle Arbeit auf Palästina vereinigen zu wollen, ist ein va banque-Spiel und wer nur etwas politische Einsicht mit einem bescheidenem Maß von Verantwortungsgefühl verbindet, wird wissen, wie besonders gefährlich das blinde Vertrauen auf die Zukunft der Türkei wirken muß.
Selbst wenn man aber mit dem Eintreten stabiler Verhältnisse in der Türkei rechnet – was freilich einstweilen ausgeschlossen scheint – so ist es ein Zeichen ganz besonderer Kurzsichtigkeit, zu glauben, daß dieser Staat das Anwachsen eines neuen jüdischen Gemeinwesen in seiner Mitte irgendwie zu unterstützen oder auch nur zu zulassen, Veranlassung hätte. Daß die Türkei das jüdische Kapital und die jüdische Arbeitskraft in Palästina freudig begrüßt, ist selbstverständlich; denn es kommt einem verödeten und stark vernachlässigten Gebiete zu Gute. Aber schon heute weiß der Eingeweihte, daß man am Goldenen Horn sehr sorgfältig den Sättigungsgrad für Judenaufnahme zu ermitteln sucht, der den Interessen des heiligen Landes und denen der Türkei gerade entspricht; daß es mit ihren Wünschen wirklich nicht übereinstimmt, sich noch einen nationalen Herd, der jeden Augenblick mit Autonomiegelüsten hervortreten kann, mitten im Staatsgebiete künstlich zu schaffen, kann zwar der zionistischer Agitator leugnen, nicht aber der auch nur oberflächlich volkswirtschaftlich und geschichtlich Geschulte. Das Bestreben der Türkei, daß sie gewiß nicht ungeschickt hinter nichtssagenden halben Versprechungen und Zusagen zu verbergen versteht, geht einfach dahin, die Juden wirtschaftlich nach Möglichkeit auszunutzen und sie politisch nie so erstarken zu lassen, daß sie an Autonomie denken. In allen Wogen und Schwanken der gesamten türkischen Judenpolitik ist das der einzige erkennbare feste Grundsatz; der einzige jedenfalls, nach dem praktisch gehandelt wird.
Und außer der Türkei haben noch andere Mächte ein gewichtiges Wort mitzureden! Dabei sollen die politischen Momente, die ja ständig wechseln, nicht einmal als die schwerwiegendsten betrachtet werden. Die ließen sich vielleicht leichter überwinden als die religiösen! Palästina ist auch das Ursprungsland des Christentums. Für jeden gläubigen Christen knüpfen sich an zahllose seiner Stätten die heiligsten Erinnerungen. Glaubt man nun wirklich, die christlichen Mächte würden dulden, daß das Grab Christi in einem jüdischen Gemeindewesen liege? Schon die Vorstellung davon ist absurd; dieser eine Punkt, so unwesentlich und gleichgiltig er zu sein scheint, wäre im Ernstfalle ganz allein imstande, das Nationalprojekt selbst dann noch zu Falle zu bringen, wenn alle anderen Hindernisse aus dem Wege geräumt werden. Wenn der Zionismus, der diese Schwierigkeit nicht unterschätzt, als Lösung empfiehlt, diesen heiligen christlichen Stätten für exterritorial zu erklären und sie unter Schutz der Großmächte zu stellen, so erschiene diesem Vorschlag gegenüber der Weg noch verhältnismäßig einfach, sie alle abzubrechen und in Rom wiederaufzubauen.
Trotz der Kürze unserer Ausführungen wird man erkannt haben, daß das Palästinaideal eine phantastische Utopie ist, daß ein jüdisches autonomes Gemeinwesen innerlich eine logische und staatsrechtliche Unmöglichkeit, äußerlich eine Gründung darstellt, die weder die Türkei noch die Großmächte je gestatten würden. Und darin, daß das zionistische Endziel unerreichbar ist, besteht eine ganz besondere Gefährlichkeit der Bewegung.
Denn wenn das Endziel fortfällt, was bleibt vom ganzen Zionismus?
Nichts und wieder nichts als die gefährliche nationale Verhetzung! Es wird noch weiterhin Gelegenheit sein, auf die ungeheuren schädlichen Folgen dieser Tatsache einzugehen. Hier sei nur hervorgehoben, daß durch Vortäuschung der Erreichbarkeit des Zieles bei den jüdischen Massen, die dem Zionismus verfallen sollten, Hoffnungen erweckt werden, die sich nachher nicht realisieren lassen, und denen naturgemäß eine Zeit der tiefsten Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit folgen muß, sobald sich die Unmöglichkeit der Verwirklichung klar herausgestellt hat. In Verbindung damit, daß der Zionismus nicht zur Religion erzieht, ja sie sogar gefährdet und untergräbt, ist dies das schlimmste! Der Zionismus raubt dem Judentum seine große Vergangenheit; er kann ihm keine Zukunft geben. Ohne daß man darin seiner Anhänger guten Glauben und ehrlichen Willen, dem Judentum, wie sie es verstehen, zu dienen, anzuzweifeln darf, ist des Zionismus praktisches Endergebnis die Zerstörung des Judentums.
Teil 2