ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 582
Von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Mein Lehrer Werner Klemke nannte ihn 1988 einen »Menschenkenner«, dessen Hauptthema der Mensch sei. Er verwies auf Bildnisse, die große Eindringlichkeit ohne schamlose Entblößung zeigen. Takt und Distanz reduzierten sich in seinen Arbeiten „nicht auf bloßes Interesse. Die künstlerischen Mittel sind subtil und kraftvoll genug, um jeweilige Eigenarten zu charakterisieren. Kettner… weiß um die Balance von Pose und Selbstenthüllung. Der Respekt vor dem Dargestellten ergibt die Wahl der Form.«
Da hatten sich zwei bedeutende Zeichner ihrer Zeit – im Wissen und Ausloten ihres Tuns – gut verstanden und über Jahrzehnte zu schätzen gewusst. Beide waren sie geachtete Hochschullehrer in ihrem Fachbereich Grafik. Klemke seit 1956 an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Kettner ab 1969 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Von 1970 bis 1974 hatte er dort auch das Rektoramt inne.
Der Kunstkritiker Lothar Lang wertete 1959 den Künstler in der Zeitschrift Bildende Kunst als »eines der bedeutendsten Talente« der DDR und stellte ihn in seinem legendären Kunstkabinett am Institut für Lehrerweiterbildung in Berlin-Weißensee mehrfach aus. Im von Lang dort herausgegebenen Selbstbildnisse-Katalog von 1965 ist Kettner u.a. neben Altenbourg, Goltzsche und Uhlig verzeichnet. Im Kabinett-Katalog Bildnisse aus dem Jahr 1966 finden sich zwei sensible Kettner-Zeichnungen, darunter das Porträt des Bildhauers Werner Stötzer. Ein Künstler, mit dem Kettner in Weimar 1949 sein Studium begann und der in Vilmnitz auf Rügen noch in den 80er Jahren ein Atelier unterhielt.
In der Sammlung der KulturStiftung Rügen finden sich zwei Lithografien, die immer mal wieder ausgestellt werden. Kettner wurde mit dem Käthe-Kollwitz-Preis der Deutschen Akademie der Künste Berlin ausgezeichnet und 1970 mit der goldenen Medaille für Grafik der Grafik-Biennale in Florenz.
Wer sich allerdings vom schön gestalteten Kettner-Katalog des Jahres 1977 trennte und ihn in das Putbusser Antiquariat Das Wort trug, muss den handschriftlichen Eintrag des Künstlers »Zur Erinnerung an Gerhard Kettner / 19.3.1980« glatt übersehen oder gründlich vergessen haben.
Ich jedenfalls trug ihn dieser Tage als Rarität heim und freue mich über einen Originalbeleg des Zeichners und Menschenkenners Gerhard Kettner. ARTus
Zum 84. Geburtstag von Gerhard Kettner (10.8.1928 – 14.7.1993). Zeichnung: ARTus