Ein spezifischer Diskussionsstrang, der sich letzthin in den Kommentaren entwickelt hat, ist meine Unterscheidung von "Verhandlungen", die ich als Mittel der Außenpolitik ablehne, in Kontrast zu Verhandlungen, die durchaus begrüßenswert sind. Im Laufe der Diskussion realisierte ich, dass es etwas mehr Raum brauchen würde zu erklären, was ich damit meine. Ich gliedere diese Diskussion daher hierher aus. Um meinen Standpunkt deutlich zu machen möchte ich mit einer kleinen Parabel starten.
br> Angenommen, ich besitze einige rechtmäßig erworbene Erbstücke, die seit drei Generationen im Besitz meiner Familie sind. Ein anderer Zweig der Familie besaß sie vorher und besitzt eine stärkere emotionale Bindung zu diesen Erbstücken, aber für mich sind sie aus anderen, für die Parabel irrelevanten Gründen wichtig. Nun brechen diese Verwandten bei mir ein und stehlen die Erbstücke. Ich rufe die Polizei, und die verkündet, dass dieser Konflikt über Verhandlungen gelöst werden muss. Die vorgeschlagene Lösung: Meine diebischen Verwandten behalten die Erbstücke, und die Polizei verpflichtet sich, künftig nicht mehr einzugreifen, wenn die Verwandtschaft zu mir ins Haus kommt. Klingt absurd? Das ist die Argumentationslinie im Krim-Konflikt und ein Beispiel für "Verhandlungen".
br> Wenn ich von "Verhandlungen" in Anführungszeichen schreibe meine ich nicht das reale Ding, wo Diplomaten und andere Vertreter um Tische sitzen und in aufreibenden Nachtsitzungen Kommuniquees und Vertragsentwürfe erstellen. Ich meine einen rhetorischen Zauberstab, der geschwungen wird und einen Mangel an Substanz überdeckt. Der Einsatz dieses rhetorischen Mittels verläuft dabei immer gleich: Konflikt --> "Verhandlungen" --> * --> Lösung. Das Problem ist, dass das Sternchen ein Platzhalter ist, bei dessen Auflösung in der Fußnote genausogut stehen könnte "hier wird Magie eingesetzt", weil es grundsätzlich nie erklärt wird. Es gibt nämlich Konflikte, in denen sind Verhandlungen einfach keine Option; stattdessen gibt es dann "Verhandlungen".
br> Das ist im Übrigen kein Aufruf zur Kriegstreiberei. Zwischen Verhandlungen und offenem Krieg gibt es eine ganze Bandbreite von möglichen Lösungen, manche besser, manche schlechter. Gerade der Krim-Konflikt zeigt das eigentlich auf. Mir wäre schließlich nicht bekannt, dass die NATO jüngst Militärinterventionen in Ukraine oder Georgien gestartet hätte.
br> Wann also haben wir es mit "Verhandlungen" zu tun? Ich möchte dafür neben der Feststellung, dass an ihrem Ende ein Kompromiss stehen muss, in dem beide Seiten aufeinander zugehen, grob zwei Kategorien vorschlagen.
br> Die eine ist, wenn eine Seite alle ihre Ziele erreicht hat und das Ergebnis der vorgeschlagenen Verhandlungen nur diesen Status festschreiben würde. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn NATO-Kritiker fordern, dass man mit Russland eine Anerkennung des Status Quo in der Ukraine verhandeln müsste. Das würde Putin sicherlich gerne tun, keine Frage.
br> Aber das sind keine Verhandlungen, das ist die Unterzeichnung einer Kapitulationsurkunde, ohne den Betroffenen hinzuziehen. Es wäre dasselbe wie Chamberlain, der 1938 die tschechoslowakische Regierung zur Annahme des ohne sie "verhandelten" Sudeten-Kompromisses zwang.
br> Ein anderer solcher Fall wäre, wenn Israel auf Basis des aktuellen Status Quo einen Friedensvertrag mit den Palästinensern verhandeln würde. Für Israel wäre das ein ziemlicher Erfolg. Das Land hält schließlich das umstrittene Territorium, das es haben will, komplett. Die Akzeptanz des Gegners ist das einzige, was zum Sieg fehlt.
br> Ein letztes Beispiel wäre eine Verhandlungslösung im syrischen Bürgerkrieg. Der mörderische Diktator des Landes hätte nichts lieber, als dass seine Feinde im Bürgerkrieg eine Waffenruhe unterschreiben. Diese würden ihnen nichts und Assad alles bringen.
br> Auf einer solchen Grundlage können keine Verhandlungen stattfinden, nur "Verhandlungen". Es ist auch kein Zufall, dass die Verhandlungspartner in diesen Lösungen nie die eigentlich Betroffenen einschließen. Ob die NATO per Vertrag die Souveränität der Ukraine preisgeben soll, ob die USA und die arabischen Anrainerstaaten ihr Plazet zum künftigen Schicksal der Palästinenser geben sollen oder ob Russland und die USA unter sich ausmachen, ob Assad Diktator bleiben darf - die eigentlich Betroffenen werden immer übergangen.
br> Das andere ist, wenn ein Konflikt besteht, in dem eine Kompromisslösung per definition ausgeschlossen ist. Das wäre besonders plakativ im Fall eines Völkermords der Fall. Zwischen Juden und Nazis, zwischen Tutsi und Hutu, zwischen Kosovo-Albanern und Serben kann es keine Verhandlungslösung geben, solange eine Seite die andere vernichten will.
br> Wohlgemerkt: Das betrifft nicht solche Konflikte, in denen es um den Besitz von etwas geht, das nur eine Seite behalten kann. Die Krim kann durchaus im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrags an Russland überschrieben werden, ob als Resultat eines Krieges (Friedensvertrag) oder echter Verhandlungen (etwa gegen Kompensationszahlunge, Sicherheiten, Handelsverträge). Nur muss das von betroffenen, souveränen Nationen gemacht werden, und das tun "Verhandlungen" selten.
br> Beispiele für erfolgreiche Verhandlungen gibt es natürlich auch.
br> Da wären etwa die 2+4-Verhandlungen, die einen (juristischen) Schlussstrich unter den Zweiten Weltkrieg zogen und die Nachkriegsordung für Deutschland für alle Seiten akzeptabel festlegten.
br> Da wäre das Iran-Abkommen, das das Interesse der westlichen Welt an einem atomwaffenfreien Iran ebenso wie das Interesse Irans an einer gleichberechtigten Souveränität berücksichtigte (sicherstes Mittel zu erkennen, dass dem so ist: Hardliner beider Seiten hassen das Abkommen).
br> Da wäre der Scheidungsvertrag zwischen Tschechien und Slowakei von 1993, der zu einer bemerkenswert friedlichen Trennung der beiden Staaten führte.
br> Da wäre praktisch alles, was irgendwie mit der EU zusammen hängt.
br> Deswegen wirken die Vorschläge für "Verhandlungen" auch immer so surreal. Es ist völlig unklar, wie eine nachhaltige Friedensordnung entstehen soll, wenn eine Seite alles gewinnt. Deswegen ist die jeweils schwächere der beiden Seiten auch völlig unwillig, solche "Verhandlungen" zu führen - ob Ukraine, ob Palästinenser, ob syrische Rebellen - und basieren alle solchen Vorschläge immer darauf, dass diese Parteien durch mächtige Faktoren von außerhalb zur Akzeptanz des Abkommens gezwungen werden. Häufig genug gibt es dafür überhaupt keine sinnvollen Gründe. Die Magie wird nicht zur Anwendung kommen, weil "Verhandlungen" eben ein rhetorischer Trick und keine reale Strategie sind.
br> In diesem Zusammenhang muss auch die Debatte um die Rüstungsausgaben der NATO-Länder gesehen werden. Selbstverständlich werden weder Europa noch die Welt sicherer, wenn Deutschland seine Rüstungsausgaben veranderthalbfacht. Das muss auch kein dauerhafter Zustand sein. Aber wer nicht glaubhaft mit Alternativen operieren kann, wird nie Verhandlungen führen können, sondern immer nur "Verhandlungen", in denen nur der Status Quo des mächtigen Gegenübers bestätigt wird. Was will man denn auch tun? Eine Möglichkeit hat man nicht. Das kann zu der paradoxen Situation führen, dass gerade die Bereitschaft zu verhandeln dazu führt, dass das Gegenüber aggressiver reagiert. Warum auch nicht, wenn er sich einfach nehmen kann, was er will, und dann nachher "verhandelt", um die rechtliche Bestätigung seines Handelns zu erhalten?
br> Die Gegenseite dieser Medaille ist, dass alles schnell eskalieren kann, wenn beide Seiten glauben, das Militär statt den Verhandlungstisch nutzen zu müssen. Aber das ist eine Problematik kluger und vorsichtiger Außenpolitik, nicht eine systemische.
br> Angenommen, ich besitze einige rechtmäßig erworbene Erbstücke, die seit drei Generationen im Besitz meiner Familie sind. Ein anderer Zweig der Familie besaß sie vorher und besitzt eine stärkere emotionale Bindung zu diesen Erbstücken, aber für mich sind sie aus anderen, für die Parabel irrelevanten Gründen wichtig. Nun brechen diese Verwandten bei mir ein und stehlen die Erbstücke. Ich rufe die Polizei, und die verkündet, dass dieser Konflikt über Verhandlungen gelöst werden muss. Die vorgeschlagene Lösung: Meine diebischen Verwandten behalten die Erbstücke, und die Polizei verpflichtet sich, künftig nicht mehr einzugreifen, wenn die Verwandtschaft zu mir ins Haus kommt. Klingt absurd? Das ist die Argumentationslinie im Krim-Konflikt und ein Beispiel für "Verhandlungen".
br> Wenn ich von "Verhandlungen" in Anführungszeichen schreibe meine ich nicht das reale Ding, wo Diplomaten und andere Vertreter um Tische sitzen und in aufreibenden Nachtsitzungen Kommuniquees und Vertragsentwürfe erstellen. Ich meine einen rhetorischen Zauberstab, der geschwungen wird und einen Mangel an Substanz überdeckt. Der Einsatz dieses rhetorischen Mittels verläuft dabei immer gleich: Konflikt --> "Verhandlungen" --> * --> Lösung. Das Problem ist, dass das Sternchen ein Platzhalter ist, bei dessen Auflösung in der Fußnote genausogut stehen könnte "hier wird Magie eingesetzt", weil es grundsätzlich nie erklärt wird. Es gibt nämlich Konflikte, in denen sind Verhandlungen einfach keine Option; stattdessen gibt es dann "Verhandlungen".
br> Das ist im Übrigen kein Aufruf zur Kriegstreiberei. Zwischen Verhandlungen und offenem Krieg gibt es eine ganze Bandbreite von möglichen Lösungen, manche besser, manche schlechter. Gerade der Krim-Konflikt zeigt das eigentlich auf. Mir wäre schließlich nicht bekannt, dass die NATO jüngst Militärinterventionen in Ukraine oder Georgien gestartet hätte.
br> Wann also haben wir es mit "Verhandlungen" zu tun? Ich möchte dafür neben der Feststellung, dass an ihrem Ende ein Kompromiss stehen muss, in dem beide Seiten aufeinander zugehen, grob zwei Kategorien vorschlagen.
br> Die eine ist, wenn eine Seite alle ihre Ziele erreicht hat und das Ergebnis der vorgeschlagenen Verhandlungen nur diesen Status festschreiben würde. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn NATO-Kritiker fordern, dass man mit Russland eine Anerkennung des Status Quo in der Ukraine verhandeln müsste. Das würde Putin sicherlich gerne tun, keine Frage.
br> Aber das sind keine Verhandlungen, das ist die Unterzeichnung einer Kapitulationsurkunde, ohne den Betroffenen hinzuziehen. Es wäre dasselbe wie Chamberlain, der 1938 die tschechoslowakische Regierung zur Annahme des ohne sie "verhandelten" Sudeten-Kompromisses zwang.
br> Ein anderer solcher Fall wäre, wenn Israel auf Basis des aktuellen Status Quo einen Friedensvertrag mit den Palästinensern verhandeln würde. Für Israel wäre das ein ziemlicher Erfolg. Das Land hält schließlich das umstrittene Territorium, das es haben will, komplett. Die Akzeptanz des Gegners ist das einzige, was zum Sieg fehlt.
br> Ein letztes Beispiel wäre eine Verhandlungslösung im syrischen Bürgerkrieg. Der mörderische Diktator des Landes hätte nichts lieber, als dass seine Feinde im Bürgerkrieg eine Waffenruhe unterschreiben. Diese würden ihnen nichts und Assad alles bringen.
br> Auf einer solchen Grundlage können keine Verhandlungen stattfinden, nur "Verhandlungen". Es ist auch kein Zufall, dass die Verhandlungspartner in diesen Lösungen nie die eigentlich Betroffenen einschließen. Ob die NATO per Vertrag die Souveränität der Ukraine preisgeben soll, ob die USA und die arabischen Anrainerstaaten ihr Plazet zum künftigen Schicksal der Palästinenser geben sollen oder ob Russland und die USA unter sich ausmachen, ob Assad Diktator bleiben darf - die eigentlich Betroffenen werden immer übergangen.
br> Das andere ist, wenn ein Konflikt besteht, in dem eine Kompromisslösung per definition ausgeschlossen ist. Das wäre besonders plakativ im Fall eines Völkermords der Fall. Zwischen Juden und Nazis, zwischen Tutsi und Hutu, zwischen Kosovo-Albanern und Serben kann es keine Verhandlungslösung geben, solange eine Seite die andere vernichten will.
br> Wohlgemerkt: Das betrifft nicht solche Konflikte, in denen es um den Besitz von etwas geht, das nur eine Seite behalten kann. Die Krim kann durchaus im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrags an Russland überschrieben werden, ob als Resultat eines Krieges (Friedensvertrag) oder echter Verhandlungen (etwa gegen Kompensationszahlunge, Sicherheiten, Handelsverträge). Nur muss das von betroffenen, souveränen Nationen gemacht werden, und das tun "Verhandlungen" selten.
br> Beispiele für erfolgreiche Verhandlungen gibt es natürlich auch.
br> Da wären etwa die 2+4-Verhandlungen, die einen (juristischen) Schlussstrich unter den Zweiten Weltkrieg zogen und die Nachkriegsordung für Deutschland für alle Seiten akzeptabel festlegten.
br> Da wäre das Iran-Abkommen, das das Interesse der westlichen Welt an einem atomwaffenfreien Iran ebenso wie das Interesse Irans an einer gleichberechtigten Souveränität berücksichtigte (sicherstes Mittel zu erkennen, dass dem so ist: Hardliner beider Seiten hassen das Abkommen).
br> Da wäre der Scheidungsvertrag zwischen Tschechien und Slowakei von 1993, der zu einer bemerkenswert friedlichen Trennung der beiden Staaten führte.
br> Da wäre praktisch alles, was irgendwie mit der EU zusammen hängt.
br> Deswegen wirken die Vorschläge für "Verhandlungen" auch immer so surreal. Es ist völlig unklar, wie eine nachhaltige Friedensordnung entstehen soll, wenn eine Seite alles gewinnt. Deswegen ist die jeweils schwächere der beiden Seiten auch völlig unwillig, solche "Verhandlungen" zu führen - ob Ukraine, ob Palästinenser, ob syrische Rebellen - und basieren alle solchen Vorschläge immer darauf, dass diese Parteien durch mächtige Faktoren von außerhalb zur Akzeptanz des Abkommens gezwungen werden. Häufig genug gibt es dafür überhaupt keine sinnvollen Gründe. Die Magie wird nicht zur Anwendung kommen, weil "Verhandlungen" eben ein rhetorischer Trick und keine reale Strategie sind.
br> In diesem Zusammenhang muss auch die Debatte um die Rüstungsausgaben der NATO-Länder gesehen werden. Selbstverständlich werden weder Europa noch die Welt sicherer, wenn Deutschland seine Rüstungsausgaben veranderthalbfacht. Das muss auch kein dauerhafter Zustand sein. Aber wer nicht glaubhaft mit Alternativen operieren kann, wird nie Verhandlungen führen können, sondern immer nur "Verhandlungen", in denen nur der Status Quo des mächtigen Gegenübers bestätigt wird. Was will man denn auch tun? Eine Möglichkeit hat man nicht. Das kann zu der paradoxen Situation führen, dass gerade die Bereitschaft zu verhandeln dazu führt, dass das Gegenüber aggressiver reagiert. Warum auch nicht, wenn er sich einfach nehmen kann, was er will, und dann nachher "verhandelt", um die rechtliche Bestätigung seines Handelns zu erhalten?
br> Die Gegenseite dieser Medaille ist, dass alles schnell eskalieren kann, wenn beide Seiten glauben, das Militär statt den Verhandlungstisch nutzen zu müssen. Aber das ist eine Problematik kluger und vorsichtiger Außenpolitik, nicht eine systemische.