„Der Zauber der ersten Seite“

Durchgelesen – „Der Zauber der ersten Seite“ v. Laurence Cossé

Wünschen wir uns als Bücherliebhaber, Lesebegeisterte und Literaturkenner, nicht schon immer eine Buchhandlung, die nur gute Literatur bzw. gute Romane verkauft? Eine Buchhandlung, die sich abhebt vom Mainstream-Angebot, die sich durch keine Bestsellerlisten beeinflussen lässt, geschweige denn Bestseller in ihr Sortiment aufnimmt. Kann eine Buchhandlung, die nur ausgewählte Literatur, zum Teil schon vergessene Werke, Klassiker und Erstausgaben auf Lager hat, überleben und eventuell sogar Erfolg haben? All diese Fragen mögen wir uns als Kunde und Leser stellen. Die Antworten finden wir hier in diesem überaus charmanten Roman, der den Leser in eine ganz besondere Welt der Bücher eintauchen lässt, wie wir sie uns nur in unseren kühnsten Träumen wünschen können.

Laurence Cossé, geboren 1955 in Boulogne-Billancourt, arbeitet als Kolumnistin, Hörfunkautorin und Schriftstellerin. Sie hat mit ihrem Roman „Der Zauber der ersten Seite“ (im Original „Au Bon Roman“), der nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt, laut der französischen Tageszeitung Le Figaro „Eine Hymne auf das Lesen und die Einzigartigkeit des Lebens“ geschrieben. Sie veröffentlichte bereits neun Romane. Ihre Novellen-Sammlung „Vous n’écrivez plus?“ wurde mit dem Prix de la Nouvelle de L’Académie Française 2007 ausgezeichnet.

„Der Zauber der ersten Seite“ beginnt sehr spannend! Drei berühmte Autoren werden jeweils Opfer eines hinterhältigen und subtilen Anschlags. Der Erste ist Paul Néon, der in einem kleinen Dorf in der Nähe von Chambéry lebt. Er wird von zwei Unbekannten in den Wald geschleppt, mit Alkohol vollgepumpt und in der Kälte mit der Flasche in der Hand einfach liegen gelassen. Der zweite Anschlag gilt der Schriftstellerin Anne-Marie Montbrun. Sie wird bei einer ihrer täglichen Autofahrten durch ein plötzlich querstehendes Auto auf der Strasse überrascht, kommt von der Strasse ab und stürzt einen Abhang hinunter. Glücklicherweise überleben sowohl Paul als auch Anne-Marie das Attentat. Armel Le Gall, das dritte Anschlagopfer, fühlt sich bei seinem morgendlichen Spaziergang von zwei jungen Männern verfolgt und bedroht. Zuerst nimmt er es gar nicht so ernst, doch die Angst wird bei jedem Spaziergang größer, die Männer warten auf ihn und er kann gerade noch rechtzeitig fliehen und sich retten. Doch er ist so durcheinander, dass er beschließt Ivan Georg anzurufen:

„«Doch gestern geht’s wieder los, die beiden Kerle warten auf mich. Es regnet, kalter Nieselregen. Meine Nerven flattern. Zehn Meter vor ihnen packt mich die Angst, und ich mache kehrt. Ich will ehrlich sein: Ich mache mich so schnell wie möglich davon, in sehr schnellen Schritten. Aber nicht schnell genug, um nicht noch jemanden grölen zu hören: Fast wie in einem schlechten Krimi, was Le Gall? Mit ordinären Personen und einem grob gestrickten, richtig dümmlichen Plot. Armer Le Gall, wo er die gute Literatur so liebt. Das ist kein guter Roman, was? Können Sie sich das vorstellen, Van? Sie betonten das gut. Gar kein guter Roman…»“

Ab jetzt befindet sich der Leser in einem einzigartigen Krimi, der nicht nur Schriftsteller als Opfer bietet, sondern die gute Literatur an sich. Da hilft nur noch eins: die Polizei muss eingeschaltet werden. Mit Kommissar Heffner wird der Fall aufgerollt und bis ins Detail untersucht. Und damit beginnt die eigentliche Geschichte der besonderen Buchhandlung „Der gute Roman“.

Ivan Georg, ein Buchhändler aus Leidenschaft mit einem nicht ganz konventionellen buchhändlerischen Lebenslauf, und Francesca Aldo-Valbelli, eine junge Mäzenin aus reicher Familie mit großer Liebe zur Literatur und verheiratet mit einem profitgierigen Manager, gründen gemeinsam die Buchhandlung „Der gute Roman“. Eine Buchhandlung, die sich vom klassischen umsatzgesteuerten und nach Massenware orientierten System unterscheiden soll. Ein Ort, der nur gute Romane zu bieten hat, die von einem ausgewählten Komitee vorgeschlagen werden. Insgesamt besteht dieses Komitee aus acht großen Romanciers, die sich entschlossen haben, die Idee des „Guten Romans“ zu unterstützen. Sie alle wissen untereinander nicht von ihrer Mitgliedschaft, sie haben sich alle der Anonymität untergeordnet, welche eine der Grundprinzipien dieses Komitees ist. Jeder Autor hat ein sogenanntes Codewort, was er im Falle einer Kontaktaufnahme benutzen muss. Alle acht Autoren wurden vor der Eröffnung der Buchhandlung aufgefordert, eine Liste mit 600 Romanen aufzustellen, ohne die sie niemals auf eine einsame Insel ziehen würden. Und diese acht Listen wurden dann zu einer Gesamtliste vereint, welche letztendlich das Sortiment “ Des guten Romans“ verkörpern wird. Für Ivan, die geniale Idee und die Basis des neuen Buchhandlung-Konzepts:

„«Unser Vorhaben ist radikal. Eine Revolution der kulturellen Sitten. Alle Welt ist heute der Meinung, es würden zu viele überflüssige Bücher veröffentlicht. Dieses Phänomen betrachten wir als geistige Umweltverschmutzung, deshalb sagen wir einfach: Es reicht! Hören wir auf, uns unseren Geschmackssinn abstumpfen zu lassen. Sorgen wir für frische Luft. Atmen wir. Wir glauben, wir haben eine gute Chance, Gleichgesinnte zu finden.»“

Die Buchhandlung wird im Erdgeschoss eines sehr schönen Hauses in der Rue Dupuytren, in der Nähe vom Place d’Odéon, im 6. Arrondissement von Paris Ende Sommer kurz vor der literarischen Rentrée eröffnet. Begleitet von einem nahe zu genialen Marketingauftritt und Werbeplan, der von Francesca lanciert und betreut wurde, ist die Buchhandlung ab dem ersten Tag ein wahnsinniger Erfolg. Die Menschen strömen in den Laden, lesen sich fest und kaufen die Regale leer. Jeder ist glücklich, der diesen Ort betritt. Endlich eine Buchhandlung, die gute Romane empfiehlt und nur solche verkauft. Und dazu ein Buchhändler, der alles gelesen hat, was in seiner Buchhandlung steht. Ein Konzept, das keine Bestseller wie zum Beispiel Dan Brown vorsieht und das sich nicht durch die Neuerscheinungspakete der Verlage irritieren lässt, indem sie einfach ganz galant abgelehnt werden.

Doch dieser Erfolg wird leider nicht nur mit wohlwollenden Augen betrachtet. Die Konkurrenz und der Neid sind nicht weit entfernt. Deshalb versucht Kommissar Heffner die Drahtzieher der Anschläge und der verbalen Attacken in der Presse und im Internet herauszufinden und zu enttarnen. Die Freunde des „Guten Romans“ lassen sich jedoch nicht beirren, bleiben ihrer Buchhandlung treu und unterstützen sie soweit es geht. Doch die Rache der „normalen“ Buchhandlungen lässt nicht nach, sie provozieren und versuchen alles, um diesen Erfolg zu unterbinden und dem so genannten Elitären ein Ende zu setzen. Es geht schließlich soweit, dass neben des „Guten Romans“ noch zwei weitere Buchhandlungen eröffnet werden mit den Namen „Freude am Roman“ und „Der exzellente Roman“. Wer steckt dahinter, und warum ist der „Gute Roman“ eine solche Bedrohung? Dies alles und noch mehr, vor allem aber auch was das Leben und die Liebe nicht nur zur Literatur betrifft, erfährt der Leser in diesem wahrlich grandiosen und außergewöhnlichen Buch aus der Welt der Buchstaben.

„Der Zauber der ersten Seiten“ ist ein magischer Roman, den man in der Fülle der Auswahl an guter Literatur erst lange suchen muss. Man unterliegt dem Charme, der Idee, der Wirkung und der Spannung dieses Werkes bereits ab der ersten Seite. Der Leser spürt die Leidenschaft, die von dieser Geschichte ausgeht, die sich mit der harten Realität der Buchhandelswelt auseinandersetzt und einen Gegenpol schafft, der nicht besser als die in diesem Buch beschriebene Ideal-Buchhandlung, die sich viele Leser und Buchhändler sicherlich wünschen, sein könnte. Laurence Cossé schreibt äußerst sensibel und respektvoll in ihrem Roman über eine Fülle von anderen mehr oder weniger bekannten guten Romanen, die der Leser neu entdecken oder wieder entdecken kann. Somit tritt der Leser ganz unbeabsichtigt eine Reise an voller Inspiration und Leidenschaft durch die gute Literatur (mit Schwerpunkt auf die französische Literatur), welche ihn zwischen Faszination und Spannung taumeln lässt. Selten wurden die Themen Buchhandel und Literatur so gut in Szene gesetzt und mit der Form des Kriminalromans in einen äußerst mitreißenden Pageturner verwandelt, bei denen es sich in der Regel ja sonst nur um so genannte Bestseller handelt.

„Der Zauber der ersten Seite“ sollte sich nicht zum Bestseller im Sinne des meistverkauften Werkes entwickeln, sondern es sollte das meistgelesene Buch werden, um verstehen zu können, wie eine Ideal-Buchhandlung aussehen könnte. Möge die Utopie einer Buchhandlung wie „Der gute Roman“ nicht nur Utopie bleiben in der heutigen Zeit von Großketten und Stapeltiteln, sondern wenigstens zum Nachdenken anregen! Vielleicht gehen Träume in Erfüllung für den belesenen Kunden und den leidenschaftlichen Buchhändler und möge deshalb vor dem reinen Profit die Liebe zu Büchern und zur Literatur immer an erster Stelle stehen!


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