Der Y-Buddhismus der Nicht-Buddhisten oder: Warum auch Laruelle nichts Neues bringt

Einst warf ich Matthias Steingass auf dem Unbuddhisten Faulheit vor. Das nehme ich zurück. Inzwischen hat er eine Art Gebrauchslexikon für den "Spekulativen Non-Buddhismus" (SNB), den ich Y-Buddhismus nenne, übersetzt. Wenn man darauf reagiert wie ich gleich hier, kommen jedoch nach wie vor die Anwürfe, man habe nicht gelesen oder nicht verstanden. Im Grunde könnte man darauf antworten: "Ihr ja auch nicht, wie kommt ihr z.B. darauf, dass es in der Buddhalehre keinen atman gebe?" Lieber will ich einräumen, dass ich das "Querlesen" gewöhnt bin, ich verschaffe mir also einen schnellen Überblick über das Gesagte und bewerte, ob es die Mühe vertiefter Lektüre lohnt. So habe ich etliche Werke von Jack Kornfield auf Anregen einer Userin in einer Buchhandlung durchgesehen. Einige wenige Stellen genügten, um mir klarzumachen, dass diese Werke das Althergebrachte erzählen und die alten Klischees transportieren (z.B., dass jeder bekommt, was er [sich] verdient).    Mit den Y-Buddhisten ist es ähnlich, die Beschäftigung mit ihnen dauert zwar schon länger an, aber je mehr dabei herauskommt, desto deutlicher kristalliert sich heraus, wie sie - ähnlich Sam Harris - für ihre eigene Ideologie, ihr eigenes Gedankengebäude begeistern wollen. Glen Wallis hält so viel von seinem Ansatz, dass er meint, im Grunde könnten alle  (X-) Buddhisten sich damit von ihrer innerbuddhistischen Verblendung befreien: "Wobei unter Berücksichtigung des X-Buddhismus und der Heuristik, der aufmerksame Leser auf Schlussfolgerungen und Erkenntnissen kommen wird, die seine Beziehung zum X-Buddhismus radikal verändern werden." Das sehe ich mit einem Lächeln, hat doch Steingass auch diesen Blogger zuweilen unter "X-Buddhismus" eingeordnet, und hätte damit der X-Buddhismus bereits den Beweis erbracht, dass er das auch selbst leisten kann (schließlich schreiben mir hier oder per email Leser, dass und wie ihnen durch Information und die Darstellung von Zusammenhängen die Augen geöffnet wurden). 
   Leider ist der SNB zu kompliziert für ein solches Unterfangen - und zudem unglaubwürdig. Immer wieder lässt sich zeigen, dass er selbst tut, was er den anderen vorwirft, z. B. eine "Entscheidung" trifft, d. h. "die Festlegung, (...) eine grundsätzliche Wahrheit zu verkünden" (s.o.), und dabei von seinem "Charisma" abhängt, das in diesem Fall etwa Laruelle oder Althusser heißt. Klammheimlich werden Begriffe entscheidend anders übersetzt, aus anicca wird "Verschwinden" statt "Vergänglichkeit" oder "Unbeständigkeit", und es gibt unverrückbare Prämissen wie diese: "Die kognitive Entscheidung des Buddhismus besteht aus demPostulat der raumzeitlichen Wechselhaftigkeit (samsara) als bedingt Gegebenem und aus demjenigen der Kontingenz (paticcasamuppada) als dessen bedingender Tatsache." (Bitte ggf. für eine Kritik hier im Blog nach Y-Buddhismus googeln).Dies sind die erklärten Ziele des SNB:"1) Aufdecken der syntaktischen Struktur des Buddhismus (die vom Buddhismus selbst nicht gesehen wird); 2) Untersuchung der Bedeutung und Tauglichkeit buddhistischer Sätze; 3) Prüfung aller zeitgenössischen Formen des Buddhismus in Bezug auf ihre Tendenz zum ideologischen Exzess."Alle diese Aussagen gelten nur für einen Teilbereich des Buddhismus. Sowohl in der buddhistischen Akademie sowie in Blogs wie diesem hier als auch in praktischer Schulung (etwa mit Koan) werden z. B. syntaktische Strukturen reflektiert und die Bedeutung von Dogmen oder "buddhistischen Sätzen" in Frage gestellt. Das ist ein wesentliches Charakteristikum des Zen. Und ich tue das auch mit der Syntax und den "Sätzen" der Y-Buddhisten und ihrem "ideologischen Exzess". Hierzu hatte ich zunächst Matthias geschrieben, dass sich die führenden Y- oder Nicht-Buddhisten freiwillig weiter an den Buddhismus binden, und zwar überwiegend durch die Meditation oder speziell das Vipassana. Im Einzelfall ist das für die Gegenwart nicht immer nachweisbar, da sich die Y-Strategen verständlicherweise ein wenig bedeckter halten, was ihre Meditationspraxis angeht, als andere. Hier meine Ergebnisse:a) Glen Wallis auf der Seite seiner Meditationsgruppe: 
"We sit in stillness, silence, and attentiveness. Attentive to what? Wallace Stevens has an answer: For the listener, who listens in the sitting, And, nothing himself, beholds  Nothing that is not there and the nothing that is."Diese Sprache ist uns geläufig. Bei Chih-i heißt das schon im 6. Jh.: "Da gibt es keinen Wissenden, keinen Sprecher. Wenn es kein Wissen und kein Sprechen gibt, ist es weder existent noch nicht-existent. Man ist weder Wissender noch Nicht-Wissender. Abgesehen von diesen Extremen verweilt einer da, wo es nichts zu verweilen gibt ... im stillen Reich der Wirklichkeit."Wesentlicher Bestandteil der Vipassana-Meditation ist die Schulung der Achtsamkeit (attentiveness), die Parallele ist sofort deutlich.
Um es zu pointieren - eine gänzlich andere Meditation könnte etwa so aussehen: "Wir meditieren in der Bewegung, im Lärm und in der Zerstreutheit, indem wir dem Gedankenchaos freien Lauf lassen."
Weiter O-Ton Wallis: "My first practice was vipassana [insight meditation]. Later, I practiced with the Soka Gakkai, which provided the tight discipline and structure that I needed at that time. After that, I practiced with both Soto Zen and traditional Theravada communities in Berlin ..."
Es folgt dann das übliche biographische Durcheinander, das von Dogen über Seung Sahn bis Dzogchen reicht. Wallis ist aber seiner Vorliebe fürs Dhammapada treu geblieben, das er übersetzt hat.

"Plötzlich entsteht in euch ein starker Wille, ihr greift die Tasche mit euren Schalen und wandert an tausend verschiedene Orte. Ich frage euch: Was fehlt euch? Alle Menschen haben die Buddha-Natur, doch ihr würdet sie selbst dann nicht erkennen, wenn sie direkt vor euren Augen wäre." (Yün-men)
b) Tom Pepper: Verlinkt sich auf seiner Facebook-Seite mit der "Buddhist Faith Fellowship of Connecticut", die dem Shin-Buddhismus zugehört, sowie einer marxistischen Gruppe in Großbritannien, die meint, ein guter Buddhist sei ein guter Marxist. Dem Wallis-Blog entnahm ich, dass Pepper ebenfalls vom Vipassana kommt:  "My original understanding of Vipassana meditation", "
and we can begin, also in 'sati' meditation, to examine the causes and the effects of this particular construction of conventional self", "Vipassana as I’ve encountered it over the last couple of years" etc. 
c) Der von Steingass gern zitierte Philosophie-Professor Thomas Metzinger meditiert täglich und forderte: "Die Mindestausstattung [bei der Erziehung von Kindern] sollte aus zwei Meditationstechniken bestehen."
d) Sam Harris (den ich hier zu den "Nicht-Buddhisten" zähle, ohne ihn mit den "Spekulativen" in einen Topf zu werfen, später mehr zu ihm): "For beginners, I always recommend a technique called vipassana."Der Y-Buddhismus der Nicht-Buddhisten oder: Warum auch Laruelle nichts Neues bringtIm Grunde liest sich daher vieles, was die Y-Buddhisten tun, als ein Versuch, mit den eigenen biographischen Verirrungen abzuschließen (man schaue sich an, was insbesondere Wallis und Pepper da an Irrfahrten durchmachen oder durchgemacht haben müssen). Ob ihnen dabei hinreichend bewusst ist, dass sie sich selbst bei ihrer Kritik Erkenntnissen aus dem Buddhismus selbst bedienen? Mit den X-Buddhisten haben sie überwiegend eine Anhaftung gemein, nämlich die, meditieren zu wollen. Ich stelle das einfach fest, ich kritisiere das noch nicht. Was ich kritisiere ist die Blindheit für die Tatsache, damit automatisch auch in einem buddhistischen Referenzkontext zu landen. Am deutlichsten wird das, wenn man mal verstanden hat, dass Laruelle, ob er das nun wusste oder nicht, eine Parallele im Zen hat, nämlich in Tozans "Fünf Rängen". Nehmen wir diese Kernaussage der Y-Buddhisten:"Non-Philosophie arbeitet typischer Weise folgendermaßen: Alles wird dem Verfahren einer Dualität (von Problemen) unterworfen, die weder eine Zwei noch ein Paar konstituiert, und dem einer Identität (von Problemen, und daher einer Lösung), die keine Einheit oder Synthese konstituiert. (François Laruelle, A Summary of Non-Philosophie, 2.1.2)"Weder zwei noch ein Paar ist bei Tozan "die Erscheinung inmitten des Wirklichen" und "das Wirkliche inmitten der Erscheinung". Die "Identität" (Lösung) heißt bei Tozan:  "Die Ankunft bei gegenseitiger Integration", wo sich "zwei Klingen kreuzen, ohne dass Rückzug nötig wäre" (d. h., dass keine Einheit oder Synthese konstituiert wird). Das was in Tozans letztem Rang "Einheit" genannt wird, könnte leicht den Eindruck erwecken, es müsse sich ums Gegenteil der Larueschen Forderung handeln. Doch Tozan fragt: "wer fällt in weder-sein-noch-nicht-sein" und erfüllt damit, was Wallis unter "Leere Realität" subsumierte: "Die leere Realität ist im 'einfach so' des Alltags gegeben." Eine erneute Prämisse: "Allerdings ist es keinem X-Buddhist möglich, diese Annullierung tatsächlich durchzuführen. Das wäre unmöglich. Daher: Non-Buddhismus." ist aus meiner Sicht zu formulieren: "Es ist einem Zen-Übenden möglich, diese Annulierung durchzuführen, darum: Zen!" Das könnte freilich aufs Gleiche hinauslaufen, da Zen so verstanden kein X-Buddhismus ist (allerdings auch kein Y-Buddhismus, da er für die "Meditation" keine Stille und Aufmerksameit einfordert). Wie Annulierung in meinen Augen aussehen kann, will ich gegen Jahresende noch einmal am Thema "Karma" verdeutlichen. Etliche Beispiele habe ich im Lauf der Zeit bereits beim "Unbuddhisten" genannt, zuletzt, wie die Annulierung des Dalai Lama funktionieren würde, nämlich durch Selbstverbrennung. Das andere "einfach so" des Alltags zeigt sich etwa im konkreten Loslassen von immateriellem (Beziehungen) und materiellem Besitz. Es ist wirklich nicht nötig, dafür ein Lexikon zu entwerfen, ganz simple Beispiele genügen: Wenn Warren Buffett oder Bill Gates 90 Prozent ihres Einkommens und Besitzes spenden und damit Milliarden über Milliarden, ist das nicht "einfach so", da sie erst dann losgelassen hätten, wenn sie sich des rechtfertigenden Restbesitzes entzögen, den sie auf Kosten anderer erwarben und den sie für die Sicherheit und das Wohlergehen der ihren für nötig halten. Annulierung bedeutet, dass ich dies und das nicht wirklich brauche, selbst die Meditation nicht. Das Ausmaß der eigenen Anhaftungen erweist den Mangel an vollzogener Annulierung. Das erkennt der Non-Buddhismus nur unscharf, da sein erklärter Feind die "Transzendenz" ist (womöglich sogar bedingt durch eine selektive Lesart Laruelles). Die Transzendenz jedoch ist gerade das non-buddhistische am Buddhismus; seine historisch frühen Erkenntnisse eines Nicht-Selbst, der Unbeständigkeit und einer meditativen Einsichtsmöglichkeit sind es nicht. 
   Wie sich der Buddhismus selbst von zum Non-Buddhismus macht, das soll zum Schluss noch einmal Chih-i (538-597) ausdrücken: "Sieht einer Buddha, dann sieht er ihn nicht als Buddha an; es gibt da keinen Buddha, der Buddha wäre, und es gibt auch kein Buddha-Wissen, um ihn zu verstehen."
[Foto: Keller/Blick auf Bangkoks Zentrum; bitte anklicken zum Vergrößern]

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