der wunsch auf ein wiedersehen

Von Bernhard Jenny @bernhardjenny

„zigmal hätte es mit mir vorbei sein können, aber immer ist irgendwie eine wende eingetreten.“ das sagte mir marko feingold einmal in einem gespräch, voller staunen und verwunderung, wie das leben spielt.

darüber, wie das leben spielt, kann wohl niemand so gut erzählen, wie es marko feingold konnte. einer, der die verfolgung als jude in vier konzentrationslagern mit allen vorstellbaren und unvorstellbaren leiden erleben musste und dennoch durch kaum fassbare umstände immer wieder überleben konnte, hat sich der aufklärung und der vermittlung verschrieben.

alle, die seinen ausführungen gehör schenken wollten, konnten nicht nur erahnen, was sich damals in der shoa ereignet hatte. diese schilderungen waren immer auch mit der ernsthaften mahnung verbunden, dass es wohl unser aller aufgabe und verpflichtung sein muss, dafür aufzustehen und wenn nötig auch zu kämpfen, dass derartiges nie mehr wieder passieren darf.

dass es viel zu viele nicht wirklich ernst mit dem lernen aus der geschichte meinen und im gegenteil schnell wieder in derartige fahrwasser abtriften, musste marko feingold immer wieder zur kenntnis nehmen.

als mich die nachricht seines todes erlangte, war das erste bild, das in mir entstand: der junge mensch im konzentrationslager weiss nicht einmal, ob er die nächste stunde, den nächsten tag erleben wird. ob er irgendwann in den nächten damals sich erträumen konnte, dass er noch die erste generation von menschen des nächsten jahrhunderts sehen würde, wie sie erwachsen wird?

er hat so unvorstellbar weit gewirkt. er war so unvorstellbar viel unterwegs. und er war stets getrieben, die wahrheiten auszusprechen, die niemand wirklich hören wollten. von der fehlenden oder halbherzigen aufarbeitung der verbrechen des nationalsozialismus bis zur fehlenden bereitschaft, wirklich unsere gesellschaft ehrlich zu öffnen.

feingold konnte mit viel humor und gelassener grösse immer wieder darauf aufmerksam machen, dass so manches getue rund um holocaust und gedenken wohl nur eine art von folkloreveranstaltung wäre, wenn gleichzeitig die nackten folgen der verbrechen des nationalsozialismus oft bloss mit achselzucken kommentiert würden. geradestehen wollte wirklich niemand dafür,

mit dem tod von marko feingold (106) ist es nun endgültig an uns, sein vermächtnis zu ehren. damit meine ich keine lobhudeleien und keine festveranstaltungen. das vermächtnis feingolds ist viel grundsätzlicher: wir müssen für eine offene und ehrliche demokratische gesellschaft kämpfen, die sicher stellt, dass das oft schnell dahin gesagte „nie wieder“ auch wirklich ein echtes und konsequentes „nie wieder“ bleibt. gelegenheiten dazu ergeben sich täglich.

marko feingold, wir verneigen uns vor der unglaublichen lebensgeschichte und dem unermüdlichen engagement. was wir erfahren und hören durften, wird uns verpflichtung. mit tiefem dank verbunden ist eine sehnsucht,

der wunsch auf ein wiedersehen.

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