Der Widerstand gegen Nazis ist in Deutschland strafbar

11.2.2012 – Während in Deutschland noch darüber diskutiert wird, ob Politik und Behörden „auf dem rechten Auge blind sind“, werfen die Staatsanwaltschaft Dresden und der Immunitätsausschuss des Bundestages ein schwerwiegendes Argument in die Waagschale, das den Verdacht einmal mehr bestätigt.

Der Widerstand gegen Nazis ist in Deutschland strafbarAm 9. Februar 2012 hat der zuständige Ausschuss mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD die Immunität der beiden Abgeordneten der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Caren Lay und Michael Leutert, aufgehoben und damit den Weg für ein Ermittlungsverfahren wegen „Sprengung einer Versammlung“ frei gemacht.

Der Widerstand gegen Nazis ist in Deutschland strafbar

Dresden: Größter Nazi-Aufmarsch Europas

Bei der „gesprengten Versammlung“ handelt es sich um den größten Nazi-Aufmarsch Europas, der am 13. Februar 2011 in Dresden stattfinden sollte. Jahr für Jahr kommen hier Nazis aus allen Teilen Deutschlands zusammen, um im Rahmen von „Trauermärschen“ an die Luftangriffe der Alliierten im Februar 1945 zu erinnern.

Den Anfang dieser propagandistischen Tradition der rechten Szene machte am 13. Februar 1990 eine Veranstaltung in Dresden, die von dem britischen Holocaust-Leugner David Irving genutzt wurde, um vor 500 zustimmenden Teilnehmern die Luftangriffe als Völkermord zu bezeichnen.

Seitdem hat sich die Zahl der teilnehmenden Nazis an entsprechenden „Gedenkveranstaltungen“ jährlich erhöht. Im Jahr 2001 versammelten sich rund 750 Rechtsextremisten in Dresden, im Jahr 2004 etwa 2.100 und im Jahr 2005 bereits 6.500. Im Jahr 2010 ist es Gegendemonstranten gelungen, den Nazi-Aufmarsch durch Blockaden zu verhindern. Die Polizei konnte den Marsch der Rechtsextremisten durch den Widerstand auf keiner möglichen Route absichern und untersagte ihn in der Folge. Die Nazis mussten sich auf eine Standkundgebung vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt beschränken.

Auch am 13. Und am 19. Februar 2011 wehrten sich Tausende Bürger, Aktivisten, Politiker und Antifaschisten gegen die Nazi-Demos und konnten den Marsch der Rechtsextremisten wiederum erfolgreich verhindern. Erst Monate später wurde bekannt, dass die Polizei durch eine Funkzellenabfrage Hunderttausende Verbindungsdaten von Demonstranten und auch Unbeteiligten gespeichert hat. Am Abend des 19. Februars 2011 kam es zu rechtswidrigen Durchsuchungen der Büros des Stadtverbandes der Linkspartei in Dresden. Im August 2011 wurde zudem die Dienstwohnung des Jenaer Stadtpfarrers Lothar König von der sächsischen Polizei durchsucht.

Die Aufhebung der Immunität von Caren Lay und Michael Leutert erfolgte auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden, die den beiden Abgeordneten im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an den Demonstrationen gegen die Rechtsextremisten die „Sprengung einer Veranstaltung“ vorwirft.

Der Widerstand gegen Nazis ist in Deutschland strafbar

Eigentlich sollte die Demokratie stolz sein

Lay und Leutert hatten sich an einer Blockade gegen den Naziaufmarsch beteiligt, die am Rande der Gegendemonstrationen des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ stattfand. Um Ermittlungen gegen die beiden Politiker aufnehmen zu können, hatte die Dresdner Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten beantragt.

Die Staatsanwaltschaft regierte damit auf Anzeigen, die durch die NPD gestellt worden waren. Die rechtsextreme Partei hatte einzelne Teilnehmer auf Fotos der Gegendemonstrationen identifiziert und in der Folge unter anderem Caren Lay und Michael Leutert angezeigt.

Dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend, hatte der Immunitätsausschuss im deutschen Bundestag die Immunität der beiden Abgeordneten am 9. Februar 2012 aufgehoben. Die Entscheidung des Ausschusses erfolgte dabei sowohl mit den Stimmen der CDU und der FDP als auch mit denen der SPD.

Vor der Abstimmung wollten Lay und Leutert dem Ausschuss darlegen, dass die Anklage vor dem Hintergrund eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages juristisch nicht vertretbar ist. Allerdings wurde es den beiden Abgeordneten verwehrt, vor dem Ausschuss zu sprechen.

Insgesamt ermittelt die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Gegendemonstrationen gegen rund 200 Teilnehmer. Hierunter befanden sich auch weitere Landtags- und Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien. Gegen diese hatte die Staatsanwaltschaft die Verfahren jedoch gegen Zahlung von rund 500 Euro eingestellt. Darauf wollten sich Lay und Leutert jedoch nicht einlassen. Hierzu Caren Lay:

Ich fühle mich im Recht, ich verbreche nichts, wenn ich mich friedlich gegen Rechtsextremismus engagiere.“

In einem Video vom 10. Februar 2012 äußert sich Caren Lay zu der Aufhebung ihrer Immunität und beschreibt dazu ihre Auffassung über die friedlichen Maßnahmen gegen die rechtsradikalen Aktivitäten in Dresden:

„Uns ist es gemeinsam gelungen, diesen größten Nazi-Aufmarsch Europas zu verhindern und zwar mit friedlichen Mitteln, mit zivilem Ungehorsam. Eigentlich sollte die Demokratie darauf stolz sein. Und vor dem Hintergrund bin ich auch besonders erschrocken, dass der Bundestag unsere Immunität aufgehoben hat.“

Der Widerstand gegen Nazis ist in Deutschland strafbar

Besonders empört zeigt sich Lay darüber, dass die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen ausgerechnet auf eine Anzeige aus den Reihen der NPD reagiert und dass auch die Ausschussmitglieder der SPD für die Aufhebung der Immunität gestimmt haben:

„Alle Erklärungen, die man hier in den letzten Monaten abgegeben hat, nachdem die Terrorzelle bekannt geworden ist, scheinen ja dann für die Abgeordneten von CDU und FDP aber leider auch von SPD doch nur eine Sonntagsrede gewesen zu sein. Denn wenn man es in der Praxis auch ernst meint, mit diesen Erklärungen, dann hätte man unsere Immunität aus meiner Sicht auch schützen müssen.“

Der Widerstand gegen Nazis ist in Deutschland strafbar

Gefährliches Signal für die Gesellschaft

Beobachter können sich nicht vorstellen, dass der Zeitpunkt für den Antrag der Staatsanwaltschaft und die Aufhebung der Immunität zufällig gewählt wurde. Eine solche Entscheidung wenige Tage vor dem 13. Februar 2012 zu treffen, somit unmittelbar bevor in Dresden wiederum Bürger, Aktivisten, Politiker und Antifaschisten zum Widerstand gegen den diesjährigen Nazi-Aufmarsch aufrufen, sendet ein deutliches und gefährliches Signal in die Gesellschaft.

Hierdurch wird der berechtigte, ehrenhafte und zutiefst demokratische Widerstand gegen braunes Gedankengut und rechtsradikale Aktivisten kriminalisiert und zum negativen Exempel statuiert. Den Menschen soll der Eindruck vermittelt werden, dass sie sich strafbar machen, wenn sie sich an den zahlreichen Aktionen gegen den neuerlichen Nazi-Aufmarsch beteiligen, zu denen das Bündnis „Dresden Nazifrei“ auch in diesem Jahr aufruft.

Es wäre eindeutig die Aufgabe des Immunitätsausschusses gewesen, der Dresdner Staatsanwaltschaft entschieden entgegenzutreten und der Behörde deutlich zu zeigen, dass es nicht hinnehmbar ist, den Widerstand gegen Rechtsextremismus und Faschismus zum Ziel strafrechtlicher Verfolgung zu machen. Dass die Immunität von Caren Lay und Michael Leutert im breiten Konsens der Stimmen von CDU, FDP und SPD aufgehoben wurde, muss auch vor dem Hintergrund der Frage nach der Ernsthaftigkeit, mit der diese Fraktionen gegen Rechtsextremismus vorgehen wollen, betrachtet werden.

Wer auf der einen Seite vorgibt, sich gegen rechtes Gedankengut, braune Ideologien und rechtsmotivierten Terror einzusetzen, der kann nicht auf der anderen Seite genau diejenigen strafrechtlich verfolgen lassen, die sich den Nazis entgegen stellen, ohne dabei seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Tatsache, dass die Ermittlungen der Dresdner Staatsanwaltschaft ausgerechnet auf Anzeigen der NPD beruhen, macht die ganze Angelegenheit zusätzlich zur Farce und nährt begründete Zweifel daran, auf welchen ideologischen Grundlagen die Arbeit dieser Behörde beruht.

Es bleibt zu hoffen, dass sich trotz des Versuches, den Widerstand gegen die Nazis zu kriminalisieren, möglichst viele Menschen nicht davon abhalten lassen, den Rechtsextremisten am 13. Februar in Dresden mutig und entschieden entgegenzutreten.

Hinweise auf die geplanten Aktionen und viele weitere Informationen gibt es auf der Internetseite des Bündnisses „Dresden Nazifrei“, dessen Besuch hier dringend empfohlen wird.

 


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