Der Westen lernt vom Osten
Ob mangelnde Hygiene, zu wenig Personal oder gleich mehrere Faktoren die Ursache für die tragischen Todesfälle in Bremen waren: Die Intensivmediziner lässt der Fall nicht kalt. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) widmet ihren Kongress, der derzeit in Leipzig abgehalten wird, dieser Thematik. Aus Sicht der Fachgesellschaft zeigt das Beispiel in Bremen, dass die Versorgung von Neugeborenen verbessert werden muss – und sieht das Potenzial dafür nicht nur in der Hansestadt.
Im vergangenen Jahr haben über 1500 von insgesamt 680.000 Neugeborenen in Deutschland den ersten Lebensmonat nicht überlebt. Die häufigste Todesursache nach angeborenen Krankheiten ist die Frühgeburt. Zwar sei die Sterbensrate in den vergangenen 30 Jahren um das Fünffache gesunken, wie Professor Gerhard Jorch von der Universitätskinderklinik Magdeburg erklärt. Doch dem Kongresspräsidenten mache zu schaffen, dass die Sterblichkeit bei Babys in den Bundesländern sehr unterschiedlich sei.
Sachsen als Vorreiter
Der landesweite Vergleich bringt ein Ergebnis hervor, das auf den ersten Blick mehr als überrascht: Im Nordwesten der Republik ist die Sterberate drei Mal höher als in Mitteldeutschland. «Sachsen ist seit vier Jahren Spitzenreiter, was die geringste Sterberate auf der Intensivstation angeht», sagt Jorch.
Zusammen mit Thüringen und Sachsen-Anhalt sei der Freistaat dem Neonatologen zufolge das beste Beispiel dafür, dass Qualität vor Quantität stehen muss. Während es in ganz Mitteldeutschland insgesamt nur sieben Intensivstationen für Frühchen gibt, sind es allein in Nordrhein-Westfalen ganze 40 Stationen – obwohl das Bundesland kleiner ist als die Mitte der Bundesrepublik.
«Die Kliniken müssen endlich aufhören, um Hochrisikopatienten zu konkurrieren. Wir brauchen im Umkreis von 100 Kilometern keine vier Frühchen-Intensivstationen», kritisiert der Professor und fügt hinzu: «Wir brauchen eine einzige, die dafür aber medizinisch wie personell auf dem allerhöchsten Niveau arbeitet.» Mitteldeutschland ist auch hier Vorreiter: Die Familien müssen bis zu 120 Kilometer bis zur nächsten Station in Kauf nehmen und trotzdem ist die Sterberate gering.
Doch woher rührt der qualitative Unterschied? Klaus Notz, Leiter der Bildungseinrichtungen an den Kreiskliniken Reutlingen, bringt es auf den Punkt: «Die Kliniken leiden unter dem Sparzwang. Und für Weiterbildungen müssen die Kliniken selbst aufkommen. Das ist grundsätzlich nicht gut», erklärt der Pflegeexperte.
Professor Jorch wird noch deutlicher: In der Intensivmedizin sei die erfolgreiche Behandlung der Neugeborenen zu zwei Dritteln der Verdienst des Personals. Umso dramatischer seien die Auswirkungen in Bremen gewesen. Denn Neugeborene sind deutlich weniger immunresistent. In der Klinik waren Keime am Werk, die ein Erwachsener gar nicht gespürt hätte. Mitteldeutschland hingegen kann auf ein Personal mit längerer Berufserfahrung als im Westen Deutschlands zurückgreifen, so Jorch.
Bis 2021 bis zu 500 Kinder mehr retten
«Um überall gleich gut zu werden, müssen wir die Ursachen für die Qualitätsunterschiede erforschen, besser regional zusammenarbeiten und Risiko-Schwangere stärker in den Blick nehmen», appelliert der Professor. Und spricht von der Initiative «Neo 21»: Bis 2021 soll die Sterberate der Neugeborenen durch eine bessere medizinische Versorgung von 1500 auf unter 1000 sinken. Besonders Frühgeborenen, die vor der 30. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen und durch Augen- und Hirnschäden bedroht sind, soll in Zukunft noch besser geholfen werden.
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Tote Babys durch Keime – Der Westen lernt vom Osten
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