Am Donnerstag, den 17.11.2011,erinnerte im Bildungszentrum der BStU unter Anwesenheit des damals beteiligtenAktionskünstlers Frank Willmann erstmals eine Ausstellung an eine Kunstaktion,die im November 1986 stattfand: Der Weiße Strich. Diese Kunstaktion hatte sichungewollt zu einem Politikum entwickelt. Anlass waren fünf junge Männer, dieeinen einfachen weißen Strich auf Augenhöhe entlang der Berliner Mauer zogen. Wasals bloße Aktion gedacht war, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die alsalltäglich empfundene Mauer zu ziehen, endet für einen der Aktionskünstler ineiner siebenmonatigen Stasihaft. Sie präsentiert vor allem Stasiüberwachungsberichte,Vernehmungsprotokolle, Radioberichte und schließlich Frank Willmann selber alsZeitzeugen aus. Präzise wird dem Werdegang der fünf damaligen Punksnachgegangen, die sich mit ihrer Kunstaktion als unbequeme Akteure erwiesenhatten.
Die fünf jungen Männer, Wolfram Haschund Frank Willmann, dazu Frank Schuster und die Brüder Thomas und JürgenOnißeit waren alle engagierte Mitglieder der Weimarer Punk- und DadaistenSzene. Natürlich eckten sie dabei mit dem DDR-Regime an. Sie standen seit ihrerJugend im Visier der Stasi, die vor allem empfindlich auf ihre Kunstaktionen,Boykotte von Wahlen und Ausreißerversuche reagierte. Die Stasi erteilte ihnenin unterschiedlicher Härte Stadt- oderReiseverbot. Die Drangsalierungen und Ausweisungsdrohungen wurden 1984 gegen dieAnfang Zwanzigjährigen Punks immer akuter, so dass diese selber beschlossen,nach West-Berlin auszureisen. Frank Willmann war der erste, der im WestteilBerlins ankommt. Die anderen zogen bis zum Sommer 1985 nach. Sie bereistenEuropa, holten ihr Abitur nach, waren weiterhin künstlerisch tätig: Sie genossendie Freiheit des Westens und fühlten sich als Bohemien.
Dennoch nahmen sie als DDR-Exilanten daranAnstoß, wie die Bevölkerung auf der Westseite die Mauer wahrnimmt. DieAufregung um die Berliner Mauer aus den 1960er Jahren war Mitte der 1980erJahre gewichen. Sie wurde als normaler Alltagund wenig störend empfunden. Sie ersonnen deshalb den tollkühnenPlan, die fast 43 Kilometer lange Mauer mit einem einzigen weißen Strich aufAugenhöhe zu versehen. An einem grau verhangenem Morgen am 3. November 1986machten sie sich ans Werk. Ausgestattet mit eimerweise weißer Farbe undverkleidet mit Gipsmasken begannen sie ihre Aktion am Mauerstück beimMariannenplatz in Kreuzberg: Dabei brauchten sie etwas länger als gedacht.Zumal, weil zwei von ihnen immer Wache schoben, einer den Bollerwagen mit derAusrüstung zog, und die anderen zwei den 20 Zentimeter breiten Strich malten.Sie nahmen dabei weder Rücksicht auf die schon vorhandenen Kunstwerke an derMauer, noch schenkten sie spottenden Passanten, mahnenden Polizisten oder demWachdienst des Axel Springer Gebäudes Beachtung. Sie malten beständig weiter.Dort, wo die Mauer durch Zäune, Hecken oder eben durch das Axel SpringerHochhaus verdeckt war, zogen sie den Strich einfach drüber. Die DDR Grenzerreagierten zunächst verdutzt. Doch am Checkpoint Charlie kam es zu einemZwischenfall mit der Grenzpolizei: Fast wäre Frank Schuster in Gewahrsamgenommen worden, außerdem entrissen die DDR Grenzer ihnen Eimer und Pinsel. Am Abendhatte die Aktionsgruppe dennoch knapp 7 Kilometer geschafft und sich imTiergarten niedergelassen.
Dort schlugen sie abends ihre Zelteauf, waren sich aber nicht ihrer momentanen Lage bewusst: Schon den ganzen Tagwurden sie von der Grenzpolizei und der Stasi beobachtet, die jeden ihrerSchritte überwachte. Denn bei ihrer Aktion hatten sie DDR-Staatsgebiet betreten.Der Mauer war nämlich ein anderthalb Meter breiter Streifen vorgelagert, der zuInspektionszwecken diente und staatsrechtlich Territorium der DDR war. DieStasi wertete nach anfänglicher Überraschung die Kunstaktion als einen Angriffauf die Souveränität der DDR.
Frank Willmann und Wolfram Hasch machtensich am Morgen des 4. November auf, ihr Werk fortzusetzen. Doch schon um halb zwölfgeschah etwas, was die Aktion endgültig zum Politikum werden ließ: Unbemerkttraten DDR-Grenzer durch eine Tür in der Mauer auf die Westweise und zerrtenHasch in den Osten. Der wenig entfernte Willmann konnte fliehen und die Gruppeinformiert die Presse und Rundfunkanstalten. Hasch wurde noch am Tage seinerVerhaftung in das zentrale Stasi Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausenverschleppt. Im Januar verurteilte ihn ein Gericht zu ganzen drei Jahren Haft,aber die BRD konnte ihn nach sieben Monaten wieder freikaufen.
Der Zusammenhalt unter den Mitgliedernder Gruppe wurde danach immer loser. Erst zur Ausstellung und der im Vorfeld damitverbundenen Publikation trafen die Unangepassten von damals wieder aufeinander.Zu Jürgen Onißeit haben sie aber allerdings heute alle keinen Kontakt mehr: Erstellte sich im Rahmen der Buchrecherche als Stasi-IM heraus.
Zur Berliner Mauer siehe auch: